Interview | Gewalt im Berliner Fußball "Gewaltspiralen fangen immer im Verbalen an"

Stand: 02.05.2023 10:33 Uhr

Psychische und physische Gewalt sind auf Fußballplätzen keine Seltenheit. Theresa Hoffmann ist in Berlin für Gewaltprävention zuständig und spricht über mögliche Ursachen.

Beleidigungen, Bedrohungen und Schläge – Gewalt auf Fußballplätzen und insbesondere im Amateurfußball ist oft ein Thema. Spiele in Berlin bilden da keine Ausnahme. Auch deswegen hat der Berliner Fußball-Verband (BFV) in Theresa Hoffmann seit 2021 eine neue wissenschaftliche Referentin für Gewaltprävention. Unter ihrer Führung hat der BFV jüngst den ersten Gewaltreport für die Saison 2021/22 [berliner-fussball.de] veröffentlicht. Rund 860 sportgerichtlich verfolgte Fälle von psychischer und physischer Gewalt wurden darin analysiert.

rbb|24: Frau Hoffmann, der Berliner Fußballverband (BFV) hat jüngst seinen ersten Gewaltreport im Amateurfußball veröffentlicht. Wieso war der wichtig?
 
Theresa Hoffmann: Der war mir persönlich total wichtig, weil ich seit zwei Jahren in dem Bereich arbeite und keine Datengrundlage hatte. Meine Stelle heißt ja aber wissenschaftliche Referentin, weswegen mir objektive Daten sehr wichtig sind. Weil ich keine hatte, habe ich mir gesagt: Gut, dann mache ich es halt selber und gucke, was es an Daten alles so gibt. Ich habe mir die Sportgerichtsurteile der vergangenen Saison genommen und geguckt, was wir überhaupt so an Gewalt haben auf den Plätzen.

Theresa Hoffmann, beim Berliner Fußball-Verband zuständig für Gewaltprävention. / Bild: Berliner Fußball-Verband

Theresa Hoffmann, beim Berliner Fußball-Verband zuständig für Gewaltprävention.

Können Sie das vielleicht kurz zusammenfassen: Was sind die typischen und am meisten auftretenden Gewaltvorfälle auf Fußballplätzen?
 
Interessanterweise halten sich physische und verbale Welt da die Waage. Auf der verbalen Seite sind es Beleidigungen, Bedrohungen, Diskriminierung und andere Unsportlichkeiten. Und auf der anderen Seite steht physische Gewalt, wie man sie sich vorstellt: Treten, Schlagen, Bespucken, Dinge hinterherwerfen – das sind die typischen Sachen, die wir immer wieder haben.

Es geht vor allem darum, Gewalt zu analysieren, die beim Fußball nicht zum Spiel gehört. Ein Ellenbogenschlag im Spiel beispielsweise kann natürlich Absicht sein und gibt immer die Rote Karte, muss aber vielleicht noch keine rohe Gewalt sein. Wo zieht man da bei physischer Gewalt die Grenze?
 
Das ist tatsächlich schwierig gewesen. Ich habe mir die Sportgerichtsurteile angeguckt. Wenn das Sportgericht etwas als Foul gewertet hat, also als Teil des Spiels, ist es nicht als Gewaltvorfall mit in den Report eingegangen. Wenn das Sportgericht aber etwas als eine Tätlichkeit deklariert hat hingegen schon.

Was sehen Sie denn als das größere Problem an: physische oder verbale Gewalt?
 
In den direkten Auswirkungen ist es meistens die tätliche, also die physische Gewalt. Aber wir reden ja auch über Gewaltspiralen, und die fangen immer im Verbalen an. Deswegen ist aus meiner Sicht dieser verbale Teil langfristig der schlimmere Part – weil er sich hochschaukeln und letztendlich in physischer Gewalt enden kann.

Eine der Kernbeobachtungen des Reports war, dass Gewalt vor allem bei Männern und männlichen Jugendteams ab der C-Jugend, sprich ab 14 Jahren, vorkommt. Woran könnte das liegen?
 
Das ist eine gute Frage, die mir seit Jahren gestellt wird. Zu einem gewissen Grad sicherlich an gesellschaftlich vorgegebenen Stereotypen und Sozialisierung. Die gehen, je nach Geschlecht, mit unterschiedlichen Hemmschwellen einher. Aber ich habe noch keine abschließende und wirklich befriedigende Antwort, warum wir im weiblichen Bereich so viel weniger Gewalt haben.

Seit zwei Jahren sind Sie als Sportpsychologin und wissenschaftliche Referentin für Gewaltprävention beim BFV. Was machen Sie in den nächsten Jahren mit diesem Report?
 
Der Report ist eine Grundlage, auf die ich verweisen kann und anhand der wir gucken können, wo wir ansetzen können. Die letzten zwei Jahre war vor allem Gewalt gegen Schiedsrichter bei mir ein dominantes Thema. Der Report zeigt jetzt aber, dass Gewalt unter Spielern zumindest den Zahlen nach ein noch viel größeres Thema ist. Es braucht also ein Konzept zur Gewaltprävention, das nicht nur eine Gruppe des Fußballs im Blick hat, sondern explizit auch die Spielerinnen und Spieler.

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Mit wem gehen Sie da konkret ins Gespräch? Sind es Vereinspräsidenten, die das weitergeben sollen, oder werden eher Trainer eingeladen?
 
Wir haben bereits in der Vergangenheit mit vielen Vereinen und konkret auch mit einzelnen Mannschaften gesprochen, bei denen Gewaltvorfälle gehäuft vorgekommen sind. Da hilft natürlich eine generelle Grundlage wie der Report, um auch ein Verhältnis herstellen können.

In Ihrer Arbeit als Sportpsychologin haben Sie beim BFV auch ein Gesprächsangebot für Schiedsrichter, die sich auf dem Platz bedrängt und bedroht fühlen. Wie regelmäßig wird das angenommen?
 
Mittlerweile sehr regelmäßig. Es hat etwas gedauert einander kennenzulernen und ein Vertrauensverhältnis aufzubauen, aber mittlerweile besteht mein Montag fast nur noch aus solchen Telefonaten. Ich scanne auch alle Sonderberichte zu den Spielen, um zu gucken, was die Schiedsrichterinnen und Schiedsrichter erlebt haben. Im Zweifelsfall rufe ich sie dann auch selbst an.

Sind Schiedsrichter eine so vulnerable Gruppe auf den Fußballplätzen, weil sie eine so exponierte Stellung haben und sich beide Mannschaften, beide Trainer sowie die Zuschauer an ihnen abarbeiten?
 
Auf jeden Fall. Sie sind aus verschiedenen Gründen eine vulnerable Gruppe. Alleine schon wegen des Zahlenverhältnisses: Wir haben elf Personen auf der einen Seite und elf Personen auf der anderen, aber nur eine bis maximal drei Personen als Schiedsrichter beziehungsweise Gespann. Wenn wir noch die Bänke und alle Zuschauer dazuzählen, haben wir ein massives Ungleichgewicht. Dazu müssen Schiedsrichter Entscheidungen treffen, die auch mal unpopulär sind – und in den Augen der Teams auch mal zugunsten des Gegners gehen.

Mit welchen Folgen?
 
Das gefällt niemandem, weil ja jeder gewinnen möchte. Oft sind die Schiedsrichter dann das kleinste Glied der Gruppe, das aushalten muss, die Schuld zugewiesen zu bekommen. Und weil er eben zu keiner der Mannschaften gehört, steht er außen vor, keiner fühlt sich für den Schiedsrichter zuständig. Dementsprechend wird er ganz oft leider gar nicht als Teil des Spiels wahrgenommen.

In einem Interview mit dem "Tagesspiegel" haben Sie mal gesagt, dass Schiedsrichter eine Schlüsselrolle in der Gewaltprävention spielen können. Wie kann das klappen?
 
Schiedsrichter haben eine Verantwortung für die Sicherheit auf dem Platz – sowohl für die aller Aktiven als auch für die eigene. Sie merken, wenn die ersten Provokationen anfangen – die in einem gewissen Rahmen beim Fußball ja auch normal sein können. Die Aufgabe der Schiedsrichter ist, das mitzubekommen und einzugreifen, bevor es sich hochschaukelt. Wenn es hart kommt, durch persönliche Strafen oder Ermahnungen bzw. sogenannte Tatort-Präsenz. Alleine indem sie in der Nähe sind, können sie das ein oder andere unterbinden.

Eine gute Nachricht des Reports ist, dass es sehr wenige Spiele gibt, wo die Dinge komplett aus dem Ruder laufen und es gleich mehrere Vorfälle gibt. Hat Sie das überrascht?
 
Nein, nicht wirklich. In der Öffentlichkeit wirkt das manchmal anders, weil diese Fälle natürlich von den Medien aufgegriffen werden. Es handelt sich zum Glück nur um einen Bruchteil der Spiele. Aber trotzdem: 860 Gewaltvorfälle wurden letzte Saison sportgerichtlich erfasst, in etwas unter 2,8 Prozent aller Spiele. Das klingt erstmal nach sehr wenig und ich bin auch froh, dass der Großteil der Spiele glimpflich über die Bühne geht. Es ist aber natürlich immer noch viel zu viel. Und die Spiele, die aus dem Ruder laufen, laufen leider häufig komplett aus dem Ruder.

Von den 860 Fällen waren jeweils knapp unter 500 physische und verbale Gewalt. Aus Ihrer Sicht: Wie weit lassen sich diese Zahlen realistisch reduzieren?
 
Ich würde mich schon darüber freuen, wenn wir bei den Tätlichkeiten anfangen. Wenn wir die schnell zumindest unter 400, vielleicht sogar 375 Fälle pro Saison bekommen. Bei Tätlichkeiten nimmt schließlich jemand einen körperlichen Schaden beim Fußball. Da bin ich über jeden Fall, den wir verhindern können, froh. Aber klar: Langfristig muss die Zahl in beiden Bereichen sehr viel weiter runter. Es kann nicht sein, dass jeweils knapp 500 Menschen in ihrem Hobby physische oder psychische Gewalt erfahren.

Vielen Dank für das Gespräch!
 
Das Interview führte Simon Wenzel, rbb Sport.

Sendung: rbb24 Inforadio, Vis a vis, 02.05.2023, 10:45 Uhr