
Interview | Team-Psychologe Markus Flemming Interview | Team-Psychologe Markus Flemming: "Riesenvorteil, dass wir den Schmerz authentisch leben konnten"
Die Spielzeit des frisch gekürten Titelverteidigers Eisbären Berlin wurde geprägt vom Tod des Mitspielers Tobias Eder. Team-Psychologe Markus Flemming erinnert sich an Tränen in der Kabine, die Anteilnahme und Druckbewältigung in der Trauer.
rbb|24: Herr Flemming, die Eisbären touren nach ihrer erfolgreichen Titelverteidigung von einem Festakt zum nächsten. Geschäftsführer Thomas Bothstede befürchtete vergangene Woche: Nach der Saison werden viele Spieler in ein Loch fallen. Was glauben Sie?
Markus Flemming: Das lässt sich schwer verallgemeinern, weil jeder Mensch ganz unterschiedlich damit umgeht. Man fällt nach einer Saison in ein Loch, weil es einfach neun oder zehn Monate eine sehr intensive Zeit war, rein sportlich betrachtet. Die Geschichte bei den Eisbären ist natürlich nochmal eine unbeschreiblich emotionale, mit einer unfassbaren Tragödie, die uns ereilt hat.

Die Saison wurde geprägt vom Tod des Eisbären-Spielers Tobias Eder in der laufenden Spielzeit, Anfang März. Können Sie die mentale Situation beschreiben, in der sich seine Teamkollegen befanden?
Das fing schon an mit der schrecklichen Nachricht, dass Tobi an schwerem Krebs erkrankt ist. Das war von Beginn an eine unglaubliche Belastung, die wir innerhalb des Teams hatten. Gleichwohl stand und steht uns der wunderbare, besondere Mensch Tobi immer als Vorbild, weil er so unglaublich positiv war. Ich kann mich an eine Situation erinnern, wo es mir persönlich nicht gut ging und ich sehe ihn: kurzes Gespräch, kurzes Lächeln - und er zaubert mir wirklich ein Lachen ins Gesicht. Nachdem der dann auch plötzliche Verlust von Tobi uns allen den Boden unter den Füßen weggerissen hat, waren wir alle einfach fertig. Ein Riesenvorteil war es, dass wir diesen Schmerz und diese Trauer in der Gruppe so authentisch leben konnten.
Können Sie uns teilhaben lassen am Umgang miteinander?
Wir haben in der Kabine gesessen, haben miteinander geweint. Wir haben miteinander geredet. Das war alles so offen im Schmerz und gleichzeitig auch so gut, weil wir darüber geredet haben, weil wir auch mal geschwiegen haben, weil wir einfach nur da saßen, weil wir es einfach zugelassen haben. Jeder auf seine Art und auf seine Weise. Wir hatten auch eine Trauerbegleiterin dabei, die uns unterstützt hat, weil das einfach so emotional war. Es fällt mir immer noch schwer, das irgendwie in Worte zu fassen und darüber zu reden.
Haben Sie ein Büro, in das die Spieler kommen, wenn ihnen danach ist? Wie läuft die Zusammenarbeit ab?
Ich habe ein Büro am Schul- und Leistungssportzentrum in Berlin, das heißt ich bin am Sportforum. Mindestens ein, zwei Mal die Woche bin ich in der Kabine, vor allen Dingen vor und nach den Trainings. Scherzeshalber wird in der Mannschaft gemunkelt, dass ich immer dann da bin, wenn es Mittagessen gibt. Aber ich möchte hier nochmal ganz deutlich sagen, dass das Zufall ist!
Natürlich!
Die Spieler kommen auf mich zu. Ich bin nun seit 18 Jahren bei den Eisbären, sodass der Umgang mittlerweile so wunderschön normal geworden ist. Wie der Onkel, der eben da ist und mit dem man über alles reden kann, weil er seine Schweigepflicht hat. Teilweise laufen die Gespräche in der Kabine, manchmal in einem Raum daneben, aber natürlich auch bei mir im Büro, auch mal bei einer Tasse Kaffee. Wenn die Spieler unterwegs sind, gibt es die Möglichkeit, auch mal über Video-Call etwas zu machen.
Das Wichtigste war zu aller erst, dass wir alle wussten, dass Tobi will, dass wir weiterspielen, das hat uns auch die Familie widergespiegelt.
Fällt es den Spielern leichter, Sie aufzusuchen, weil Sie als ehemaliger Aktiver einer von ihnen sind?
Ich bin mittlerweile so alt, dass die meisten ja gar nicht mehr wissen, dass ich gespielt habe. Vielleicht wissen sie es, aber meine aktive Karriere ist wirklich weit weg. Generell hilft es aber und ich glaube auch, dass das die Zukunft der Sportpsychologie ist: Sportlerinnen und Sportler, die in ihrer aktiven Zeit selbst ein sportpsychologisches Angebot genutzt haben, werden durch ihre positiven Erfahrungen motiviert, dann Psychologie zu studieren oder Sportpsychologie. Dadurch können sie authentisch die Athleten und Athletinnen und auch die Trainer, Trainerinnen oder Eltern in diesem Bereich irgendwann sportpsychologisch begleiten. Ich glaube, dahin geht so ein bisschen der Weg.
Im Sport geht es wie in wenigen Branchen um Leistungsdruck. Bei den Eisbären tat sich da in dieser Saison ein gewaltiges Spannungsfeld auf: Die Trauer um Tobias Eder, die sportliche Aufgabe der Titelverteidigung. Ty Ronning weinte beim Torerfolg gegen die Ice Tigers, im ersten Spiel nach dem Tod von Eder.
Das Wichtigste war zu allererst, dass wir alle wussten, dass Tobi will, dass wir weiterspielen, das hat uns auch die Familie widergespiegelt. Es war uns wichtig zu sagen, wir spielen mit Tobi, wir spielen nicht für ihn. Und alles, was wir erreichen, erreichen wir gemeinsam. Das war die Voraussetzung, um in die Spiele zu gehen. Wobei ich auch wirklich eine Lanze brechen muss für die Sportwelt.
Bitte.
Die Anteilnahme, die war enorm. Allein schon in der Eishockey-Liga war es für alle Mannschaften schwer, weil Tobi ein wunderbarer Mensch war. Er wurde von allen respektiert und wertgeschätzt, ob in Düsseldorf, in der Nationalmannschaft, auch als Gegenspieler. Bei aller Rivalität, da merkt man, dass man wirklich eine wunderbare Familie ist. Die Aktion von Mannheim, als sie bei uns gespielt haben, nachdem die Krebserkrankung von Tobi öffentlich wurde: Sie trugen beim Warmmachen Trikots mit seinem Namen. Das hat alle umgehauen.

Seit Serge Aubin die Eisbären trainiert, haben die Berliner noch keine Playoff-Serie verloren. Druckbewältigung scheint mittlerweile als eine Schlüsselfähigkeit etabliert zu haben.
Er lässt den Druck gar nicht zu. Weil es immer wieder neu das Spiel ist, das wir lieben. Das ist auch meine Mentalität. Die ganzen Faktoren von außen, die akzeptieren wir. Wir wollen ja in die Playoffs, wir wollen ja in die Finalspiele. Aber wenn man es runterbricht, geht es immer wieder um das wunderbare Spiel, das wir so lieben, in das alle Arbeit investieren.
Was wird die große mentale Herausforderung für die Eisbären in der kommenden Saison sein?
Es wird gerne geschrieben oder auch kommuniziert, weil es so auch so spannend ist: 'Jetzt müssen wir den Titel verteidigen.' Nee, müssen wir nicht. Wir haben den gewonnen, der ist bei uns und der ist Geschichte, eine wunderbare Geschichte. Jetzt schreiben wir eine neue Geschichte.
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Shea Westhoff, rbb-Sportredaktion