Erschütternde Aussagen eines iranischen Sportlers "Wir haben alle Angst" - das Schweigen des Sports zu Iran

Stand: 05.02.2023 20:19 Uhr

Ein iranischer Athlet berichtet anonym aus seinem Land über die Protestbewegung und ihre Folgen. Seine erschütternden Aussagen verdeutlichen: Eine Diskussion über rote Linien für Sportverbände ist überfällig.

Wenn Ahmad über den Sport in seinem Heimatland spricht, schwingt Resignation in seiner Stimme mit. "Für uns Athleten ist es irgendwie so, als hätten wir unser Ziel verloren", sagt der international erfolgreiche Sportler im Interview mit der Sportschau. Ahmads richtiger Name und seine Identität bleiben aus Sicherheitsgründen ungenannt, um ihn und seine Familie im Iran nicht in Lebensgefahr zu bringen.

Ahmad gehört zu den ersten Athleten, die aus dem Iran heraus über die Protestbewegung und ihre Folgen sprechen. "Die ermorden hier Menschen, als ob es ein Klacks wäre, ohne irgendeinen Grund", sagt er. Mit Blick auf die jüngst gefolterten oder hingerichteten Sportler spricht er von "Verbrechen gegen die Menschlichkeit", die "natürlich eine Wirkung auf unsere Gemüter" hätten: "Wir haben alle Angst, vor allem vor unserer Zukunft."

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Perspektiven schwinden, Angst wächst

Ahmad erzählt, dass es nicht nur die Angst vor Willkür-Akten des Mullah-Regimes sei, die den Athletinnen und Athleten im Iran derzeit zu schaffen macht. Seit die Kurdin Mahsa Amini Mitte September in Gewahrsam der Sittenpolizei starb und die wachsende Protestbewegung mit brutaler Gewalt bekämpft wird, spielten auch immer mehr Perspektivlosigkeit und fehlende Planungssicherheit eine Rolle.

"Wir wissen in dieser Situation nicht, wohin diese Regierung, wohin dieses Regime driftet. Wenn diese Revolution fortschreitet, kann es sein, dass der Sport erst mal ausgesetzt wird. Wir gehen irgendwie ohne Ziel vor", sagt Ahmad. Erst kürzlich flüchtete auch deshalb Ski-Rennläuferin Atefeh Ahmadi aus dem Land. Sie war die einzige iranische Athletin bei den Olympischen Spielen in Peking, wo sie vor einem Jahr bei der Eröffnungsfeier noch stolz die Fahne getragen hatte.

Opferlisten immer länger

Doch durch die Gewalttaten des Regimes sterben auch immer mehr Athleten. Die Opferlisten von Menschenrechtsorganisationen wie dem Center of Human Rights im Iran werden immer länger. Darauf stehen unter anderem die Namen des Fußballers Mohammad Ghaemi Far, des Volleyballers Ali Mozzafari oder des Kraftsportlers Ehsan Ghasemifar, die alle bei Protestkundgebungen getötet wurden.

Und natürlich steht dort auch der Name Mohammad Mehdi Karami. Der Karate-Meister wurde am 7. Januar im Anschluss an einen Schauprozess, den er ohne Rechtsanwalt bestreiten musste, wegen der angeblichen Tötung eines Milizionärs gehängt. In sozialen Medien tauchte danach ein Video auf, das Karami beim spielerischen Training mit seinem Vater zeigte. Es sind möglicherweise die letzten Bilder vor seiner Verhaftung. Vor allem solche verwackelten Aufnahmen aus dem Netz, tausendfach geteilt, machen das Grauen im Iran derzeit greifbar. Freie Berichterstattung aus dem Land ist seit Monaten nicht mehr möglich.

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Stille Diplomatie läuft ins Leere

Die Sportfachverbände und das Internationale Olympische Komitee schweigen weitgehend zu der dramatischen Situation, obwohl Athletinnen und Athleten ganz offensichtlich zu den Gruppen gehören, an denen das Mullah-Regime gerne Exempel statuiert. Das IOC schrieb auf ARD-Anfrage, es sei mit Blick auf den Iran "extrem besorgt". Man stehe in Kontakt mit dem iranischen NOK und "höchsten Stellen", behandle die Situation "im Rahmen der Zuständigkeiten". Präsident Thomas Bach habe kurz vor der Hinrichtung Karamis ein Gnadengesuch an den iranischen Führer Ayatollah Chamenei gestellt - vergeblich. Stille Diplomatie, die ins Leere läuft.

"Das Leben der Athleten im Iran hängt auch von der Fähigkeit des IOC ab, sich bei seinen Partnern stärker einzusetzen", sagt Minky Worden, Direktorin für globale Initiativen und Sportpolitik-Expertin bei Human Rights Watch, im ARD-Interview. Und der IOC-Partner, das Nationale Olympische Komitee, sei gleichzusetzen mit der iranischen Regierung.

"Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit"

Kritiker des IOC vermuten, dass Bachs stille Diplomatie vor allem deshalb so still ist, weil das Geschäftsmodell des Ringeordens nicht gefährdet werden soll. Wichtige Partner könnten sicht- und hörbare Einmischung als störend empfinden. Maximilian Klein, Beauftragter für internationale Sportpolitik bei Athleten Deutschland, sieht längst eine "große Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit" in der sogenannten Weltregierung des Sports.

Maximilian Klein - "IOC muss Worten Taten folgen lassen"

Sportschau, 05.02.2023 13:36 Uhr

"Das IOC hat eine menschenrechtliche Gesamtverantwortung als Dachorganisation der olympischen Bewegung. Es hat diese in seiner Menschenrechtsstrategie nun endlich anerkannt. Und diesen Worten müssen jetzt auch Taten folgen. Und da haben wir unsere Zweifel", sagt Klein.

Athleten Deutschland fordert schon seit mehr als zwei Jahren, den Iran wegen andauernder, massiver Verstöße gegen Menschenrechte aus dem Weltsport auszuschließen. Die Athleten aus dem Land sollen aber unter neutraler Flagge starten dürfen. Ein Sonderrecht, das russischen und belarusischen Athleten nach Meinung der Lobby-Organisation wegen des Angriffskrieges in der Ukraine nicht mehr gewährt werden sollte.

Debatte über rote Linien fehlt

Klein betont, dass der Iran, Russland und Belarus nur drei von vielen Problemländern seien. Er verweist auf die eklatanten Menschrechtsverstöße in Afghanistan, Katar oder China und den mehr oder weniger spürbaren, in jedem Fall aber unkoordinierten Umgang des Sports damit. Ein Umgang, der auch massiv davon beeinflusst wird, wie mächtig das jeweilige Land im Weltsportgefüge ist.

"Da ist eine Fülle von Problemen und über die wird einfach hinweggegangen. Dahinter steht ein größeres systemisches Problem: Es gibt keine Debatte zu Sanktionskriterien und roten Linien", sagt Klein.

"Am Ende wieder Licht sehen"

Ahmad glaubt, dass das iranische Volk vor allem selbst dafür verantwortlich sei, eine Wende in seinem Heimatland herbeizuführen. Harte Maßnahmen bis zu einem Olympiaausschluss 2024 in Paris würde er dennoch begrüßen.

"Wenn das eine Wirkung hat, wenn das Früchte trägt, wenn dieses Regime verschwindet und eine gute Regierung an die Macht kommt, dann bin ich dafür, kein Problem! Wir verlieren dann vielleicht zwei oder drei Jahre unserer Jugend, aber wir hätten dann einen klaren Morgen, eine klare Zukunft vor uns", sagt er: "Wir sind dabei, ins Dunkel zu gehen. Wir müssen weitergehen, bis wir am Ende wieder Licht sehen."