Eröffnungsfeier bei den Olympischen Spielen in Tokio. Das Team aus Afghanistan mit den Fahnenträgern Leichatathletin Kimia Yousofi und Teakwondo Kämpfer Farzad Mansouri

Olympische Spiele in Paris Afghanische Sportlerinnen: Zwischen Sportverbot und Olympiateilnahme

Stand: 20.03.2024 20:03 Uhr

Seit der Machtübernahme der Taliban in Afghanistan 2021 ist Sport für Frauen im Grunde komplett verboten. Dennoch hofft das IOC auf ein ausgewogenes afghanisches Olympiateam.

Mindestens eine Frau wird es im Olympiakader Afghanistans im Sommer 2024 in Paris geben müssen. 2020 verabschiedete das IOC die Regel, dass es sowohl einen Flaggenträger als auch eine Flaggenträgerin geben müsse. Ob es darüber hinaus weitere Afghaninnen zu Olympia schaffen, bezweifeln viele. Seit der Machtübernahme der Taliban im August 2021 haben sich die Bedingungen für Frauen dramatisch verschlechtert, ihre Freiheiten massiv beschnitten. Sport dürfen Frauen und Mädchen im Grunde nicht mehr ausüben.

Das IOC hofft dennoch darauf, "dass die afghanische Bevölkerung die Chance haben könnte, auf der großen Bühne der Olympischen Spielen ihr Olympiateam zu sehen, das aus genauso vielen Männern wie Frauen besteht", so IOC-Direktor James Macleod bei einem Pressetermin am Dienstag.

Das IOC-Exkutivkomitee habe beschlossen, weiterhin mit den afghanischen Sportbehörden zusammenzuarbeiten, um "die aktuellen Zugangsbeschränkungen für Frauen und Mädchen zu Sport aufzuheben." Dass dem IOC das gelingt, daran zweifeln viele. Einige fordern stattdessen den Ausschluss des afghanischen Olympischen Komitees.

IOC-Direktor James Macleod: "Unbeeindruckende Maßnahmen"

Die Maßnahmen, die derweil in Afghanistan unternommen werden, seien "keine besonders gute Lektüre", gibt Macleod zu. "Um ehrlich zu sein: Wir sind nicht gerade beeindruckt davon, was sie uns zusenden." Trotzdem möchte das IOC den Dialog aufrechterhalten. "Wir glauben nicht, dass die Isolation der afghanischen Sportgemeinschaft die richtige Herangehensweise ist", so Macleod.

Boris Mijatovic reichen die bisherigen Bemühungen des IOC nicht. Er ist Bundestagsabgeordneter der Grünen und Sprecher für Menschenrechtspolitik und humanitäre Hilfe. Es sei "grotesk und nicht akzeptabel", dass nur durch die Fahnenträgerinnen-Regel gesichert sei, dass das afghanische Aufgebot nicht ausschließlich aus Männern bestehe.

Das IOC müsse Druck auf das afghanische olympische Komitee ausüben, "deutlich mehr Athletinnen die Chance zu geben, bei Olympischen und Paralympischen Spielen dabei zu sein", so Mijatovic. Ein Schlüssel dazu liegt in der Olympischen Charta. Hier ist von Gender-Parität und der Förderung von Frauen im Sport die Rede. Das IOC könnte darauf Bezug nehmend dem Verband einen Ausschluss androhen, wenn sie nicht mehr Frauen nach Paris schicken.

Sportlerinnen als Aktivistinnen

"Afghanische Athletinnen sind vielfach auch Menschenrechtsaktivistinnen", sagt Schahina Gambir. Sie ist Obfrau in der Enquete-Kommission "Lehren aus Afghanistan für das künftige vernetzte Engagement Deutschlands". Schon vor der Machtübernahme der Taliban standen Sportlerinnen für Emanzipation, kämpften für Gleichberechtigung und Anerkennung, bildeten Netzwerke, um Frauen und Kindern den Zugang zu Bildung und Sport zu ermöglichen. Mit der Machtübernahme der Taliban sind die Sportlerinnen nun fast vollständig von der Bildfläche verschwunden oder im Exil.

"Ihre Teilnahme bei den Olympischen Spielen wäre ein Hoffnungsschimmer für alle afghanischen Frauen und ein wichtiges Signal der Weltgemeinschaft, dass die Leistungen der afghanischen Athletinnen in sportlicher wie auch gesellschaftlicher Hinsicht weiterhin gesehen werden und nicht vergessen sind", so Gambir.

Vorwurf des Sportswashing

Andere befürchten, die Teilnahme von einigen wenigen Afghaninnen an den Spielen in Paris könne zum Feigenblatt werden. Sportlerinnen, die bei einer Olympischen Eröffnungsfeier mit der Flagge einlaufen, während Sport für sie in ihrem Heimatland verboten ist, seien ein Paradebeispiel für die Politisierung von Sport.

Das beklagt auch Friba Rezayee im Sportschau-Interview Anfang März: "Das ist Sportswashing. Das zeigt nicht die ganze Realität in Afghanistan und was mit den Frauenrechten dort passiert ist, mit den Menschenrechten und den Rechten von Athletinnen. Sie täuschen die Weltöffentlichkeit. Sie gaukeln vor, dass alles okay ist. Sie belügen die Menschen." Rezayee trat 2004 bei den Olympischen Spielen in Athen als eine der ersten Frauen überhaupt im Judo für Afghanistan an. Nach ihrer Teilnahme musste sie aus Afghanistan fliehen, weil sie bedroht wurde. Mittlerweile lebt sie in Kanada.