Zuschauer in Glasgow zeigen Palästina-Flaggen

Experte fordert Absage des Länderspiels Zwischen Meinungsfreiheit und Antisemitismus

Stand: 31.10.2023 16:43 Uhr

Der Krieg zwischen Israel und der Terrororganisation Hamas wirkt sich auch auf den Sport aus. Wo sind bei Palästinaflaggen und Social-Media-Posts die Trennlinien zwischen Meinungsfreiheit und (strafbarem) Antisemitismus? Ein Experte fordert die Absage des Länderspiels gegen die Türkei.

"Der 7. Oktober ist ein Einschnitt, wie wir uns ihn nie hätten vorstellen können", sagte Sabena Donath vom Zentralrat der Juden, als sie in Dortmund einen "Meldebutton" vorstellte, mit dem antisemitische Vorfälle im Sport erfasst und ausgewertet werden sollen.

Das Massaker, das die Terrororganisation Hamas am 7. Oktober 2023 in Israel anrichtete, führte zu einer Eskalation eines Konflikts im Nahen Osten, der weltweite Auswirkungen hat. Seitdem tritt Antisemitismus, der seit Jahrhunderten bekannte Hass auf Juden, verstärkt auf, er wird stärker wahrgenommen, thematisiert und diskutiert. Es gibt etliche Vorschläge von Vertretern aus Politik und Gesellschaft, wie er künftig härter sanktioniert werden sollte.

Philip Raillon, Sportschau, 30.10.2023 16:40 Uhr

Viele Juristen sehen allerdings keinen Bedarf. So sagte Rechtsanwältin Dr. Kati Lang dem "Mediendienst Integration", dass es bei antisemitischen Straftaten "keine Strafbarkeitslücke" gebe. "Gewaltaufrufe gegen Juden und Jüdinnen, die Unterstützung oder Verherrlichung der Hamas, das Verbrennen von Israelfahnen – all diese Handlungen sind bereits strafbar." Lang sieht ein "Vollzugsdefizit" , das sich darin äußere, "dass antisemitische Hetze nicht als solche erkannt wird, sondern mit Bezug auf die Meinungsfreiheit erlaubt wird".

"Juden Jena" als "szenetypischer Fanbegriff" abgetan

So sah das auch Benjamin Steinitz, Geschäftsführer des "Bundesverbandes der Recherche- und Inforamtionsstellen Antisemitismus" (RIAS), am Montag (30.10.2023) bei der Vorstellung des "Meldebuttons" in Dortmund. "Antisemitismus wird häufig von Strafverfolgungsbehörden nicht erkannt", sagte Steinitz, der das mit Beispielen aus Thüringen belegte. Die Bezeichung von Fans des FC Carl Zeiss Jena als "Juden Jena" sei bei acht aufgetretenen Fällen zwischen 2015 und 2018 nur ein Mal als antisemitische Hetze verfolgt worden, sieben Mal hingegen als "szenetypischer Fanbegriff" oder "allgemeine politische Aussage" abgetan worden.

Es ist schwierig, zu trennen zwischen strafrechtlich relevantem Antisemitismus und vom Grundgesetz gedeckter freier Meinungsäußerung, die häufig in den Bereich des "Antisemitismus unterhalb des Strafrechts der Strafbarkeitsgrenze" abgleite, wie es Derviş Hızarcı bezeichnet.

Hızarcı ist Sohn türkischer Gastarbeiter, Muslim und Vorsitzender der "Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus". In einem Interview mit der Tagesschau zeigte er auf, wo für ihn zulässige Kritik an Israel "endet und Antisemitismus beginnt".

"Wir mussten in die Kabine rennen, uns verstecken, bis die Polizei kam"

Mit der Sportschau sprach Hızarcı auch über seine eigenen Erfahrungen als Sportler. Seit acht Jahren spiele er nun als einziger Muslim in einer Fußballmannschaft des jüdischen Vereins TuS Makkabi in Berlin: "Die erste Saison war sehr hart. Wir mussten in die Kabine rennen, uns verstecken, in der Kabine Schutz suchen, bis die Polizei kam." Seitdem hätte es "fast gar keine Probleme mehr gegeben". Im ersten Spiel der "7er Herren" (entspricht in dem Fall etwa einer Ü30) nach dem 7. Oktober habe es sogar auf Initiative des türkischen Schiedsrichters und des Gegners 1. FC Wacker Lankwitz eine Schweigeminute zugunsten der Opfer des Hamas-Terrors gegeben.

"Da musst du hinkommen, jeweils den Menschen im Anderen zu sehen. Es geht also um Empathie", sagte Hızarcı, wohlwissend, dass es häufig anders ist. Der Träger des Bundesverdienstordens wuchs in Neukölln auf, spielte in der Nähe der Sonnenallee Fußball, an jenem Brennpunkt, an dem seit Wochen Antisemitismus offen zutage tritt. Einige zeigen Sympathien für die Hamas, feiern getötete Juden.

Derviş Hızarcı

Israel-feindlicher Erdoğan beim Länderspiel?

Die Sonnenalle ist deutschlandweit in den Schlagzeilen, und Derviş Hızarcı fürchtet, dass bald ein anderer Ort in Berlin über die Staatsgrenze hinaus in den Blickpunkt der Berichterstattung über antisemitische Vorfälle geraten könnte. Am 18. November ist ein Länderspiel der deutschen Fußballnationalmannschaft gegen die Türkei im Olympiastadion angesetzt.

Denkbar, dass auch Recep Tayyip Erdoğan das Spiel vor Ort sehen will. Der türkische Staatspräsident sieht in der Hamas keine Terrororganisation, er bezeichnete Israel als "Kriegsverbrecher" und "Besatzungsmacht".

Derviş Hızarcı sagte der Sportschau: "Ich würde das Spiel absagen mit der Begründung, dass uns gerade nicht danach ist, weil wir in Deutschland gerade um Gemeinschaft ringen und uns die Entwicklungen in der Türkei in dieser Sache große Sorgen bereiten." Es seien "pro-palästinensische Chöre" zu erwarten, die man in einer Demokratie erdulden müsse, was "halbwegs okay" sei, aber: "Anti-Israel-Chöre und israelfeindliche Chöre sind nicht okay."

Flagge Palästinas für Makkabi-Präsident "vollkommen in Ordnung"

Das sind die Trennlinien, um die es derzeit auch geht. Alon Meyer, Präsident des jüdischen Turn- und Sportverbandes "Makkabi Deutschland", zieht sie ähnlich. Die Flagge Palästinas bei einem Sportereignis zu zeigen, sei "vollkommen in Ordnung", sagte er der Sportschau. Es spreche zwar so kurz nach dem Massaker "vielleicht für fehlendes Feingefühl", doch dafür würde er "niemanden an den Pranger stellen".

Judenhass auf Deutschlands Sportplätzen

Sport inside, 27.01.2023 11:17 Uhr

Zweifelsfrei überschritten sei die Grenze, "wenn jemand den Palästinensern jetzt den bedingungslosen Sieg wünscht oder eben postet 'From the river to the sea, Palestine will be free'. Das ist kein Ausdruck der Unterstützung der palästinensischen Bevölkerung, sondern das ist definitiv im Hintergrund der Gedanke oder zumindest die Unterstützung der Bewegung, ein großes palästinensisches Reich dort im Nahen Osten aufzubauen, ohne Israel, ohne die Juden."

"From the river to the sea, Palestine will be free" - einen Post mit dieser Parole hatte Anwar El Ghazi geteilt. Der Fußballprofi des 1. FSV Mainz 05 war daraufhin von seinem Klub zunächst suspendiert worden, später erhielt er eine Abmahnung, darf nun wieder trainieren und spielen. Die Parole fordert ein freies Palästina vom Fluss (river) Jordan bis zum (Mittel)-Meer (sea).

Die meisten sehen darin den Wunsch, dass Israel ausgelöscht wird - das könnte als Billigung von Straftaten gesehen werden und damit strafrechtlich relevant sein. Es gibt aber Meinungen, dass jemand sich unter Nutzung der Parole lediglich für eine Zwei-Staaten-Lösung ausspreche, die selbst angesehene Diplomaten wie der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn befürworten.

Verschwörungstheoretischer Antisemitismus

Der Einzelfall und Kontext müsse stets betrachtet werden, sagt auch Derviş Hızarcı. Für den Experten steht jedoch fest, dass "'Du Jude' immer eine Beleidigung" sei.

"Rechtsextreme Kleidung ist auch immer antisemitisch. Wer ein SS-Tattoo trägt, ist auch immer Antisemit", so Hızarcı weiter, der zudem noch den "verschwörungstheoretischen Antisemitismus" als gefährliches Phänomen nennt. "Wir wissen ja, wer das alles kontrolliert", sei etwa eine sogenannte Umwegkommunikation, um seinen Antisemitismus zu chiffrieren.

Zentralrat der Juden sieht andere Leitlinien

Trainer, Spieler und Funktionäre im Sport müssten daher besser geschult werden, um Antisemitismus und Rassismus zu erkennen, auch wenn er nicht so offen zutage tritt wie mit einem Davidstern, der an eine Häuserwand gemalt wird, oder einer verbrannten Israelfahne.

Für Sabena Donath vom Zentralrat der Juden haben sich seit dem Massaker durch die Hamas die Leitlinien bei der Sensibilisierung verschoben: "Die Parole 'Free Palestine' war vor dem 7. Oktober okay, jetzt ist sie das nicht mehr."