Reiten | Maimarkt-Turnier Reiten bedeutet für Para-Reiter Noah Kuhlmann Freiheit
Als Noah Kuhlmann wegen eines unheilbaren Gendefekts neu laufen lernen muss, gibt er auch wegen seines Wallachs San nicht auf. Mittlerweile startet er erfolgreich im Para-Sport.
Mit einem Grinsen im Gesicht lobt Noah Kuhlmann seinen Wallach Staatslegende, den er liebevoll San nennt. Auf dem Mannheimer Maimarkt-Turnier sind die beiden gerade zu kraftvollen AC/DC-Klängen durchs Dressurviereck getanzt. "Es ist total Freiheit, weil es auch nicht normal ist, dass man mit so einer Einschränkung so einen Sport ausüben kann", erzählt Noah im Interview mit SWR Sport. Eine neue Bestleistung in der Kür bedeutet den Sieg zum Abschluss des traditionsreichen Turniers.
Die Belohnung für den Erfolg: die deutsche Nationalhymne bei der Siegerehrung. "Das Gefühl kann man nicht überbieten. Das ist einfach etwas ganz Besonderes", gibt der 22-Jährige zu. Der Dressurreiter aus Rielasingen-Worblingen (Kreis Konstanz) reitet seit drei Jahren im Para-Sport. Wegen eines seltenen Gendefekts fehlt ihm Kraft in seinen Beinen. Weil er sie deswegen auch schlecht koordinieren kann, läuft er etwas staksiger als gesunde Menschen. Die meisten schiefen Blicke erntet er dafür aber nicht auf dem Turniergelände oder im Stall, sondern wenn er auf der Straße unterwegs ist: "In der Regel lässt mich das kalt, weil ich laufe halt, wie ich laufe. Da kann ich jetzt nichts mehr dran ändern."
Noah ist ehrgeizig, aber nicht verbissen. Der 22-Jährige lacht viel, auch mal über sich selbst. Dass er an einem Gendefekt erkrankt ist, wird erst spät diagnostiziert. Dabei hatte Mutter Rita von Anfang an das Gefühl, dass Noah "komisch läuft". Zwar haben verschiedene Ärzte immer wieder Ideen, eine Diagnose gibt es aber lange nicht. "Einer hat sogar mal gesagt, das Kind wäre faul und müsste sich einfach nur mehr Mühe geben", erinnert sich Mutter Rita fassungslos.
Kurz vor dem Abitur: Noah muss neu laufen lernen
Weil Noah weder Schmerzen hat, noch große Beeinträchtigungen verspürt, wird die Ursachenforschung erstmal beendet - bis zum 27. Januar 2020. An diesem Tag bricht Noah in der Dusche zusammen, weil er zwischenzeitlich seine Beine nicht mehr spürt. Als sein Vater ihn zum Reiten abholen möchte, merkt er sofort, dass mit seinem Sohn etwas nicht stimmt. "Ich habe gesagt: Noah, du läufst wie ein Roboter. Wir können doch jetzt nicht reiten gehen", erzählt Raphael Schwarz. Doch Noah setzt sich durch und trainiert.
Das war eins der größten Wunder im Reitsport, dass er überhaupt aufs Pferd kam. Im Nachhinein war das Wahnsinn, was wir da gemacht haben. Noahs Vater Raphael Schwarz über den 27.01.2020
Erst nach der Reitstunde geht es für Noah zur ärztlichen Untersuchung: Es folgen zehn Tage Krankenhaus und fast vier Monate Reha. Erst später wird die Ursache von Noahs Beschwerden gefunden: Er leidet unter einer Hereditären Spastischen Spinalparalyse (HSP) - ein Gendefekt, der unheilbar ist. Eine Art Schub löst die heftigen Beschwerden bei Noah aus. Mit 17 Jahren, kurz vor seinem Abitur, muss er neu laufen lernen. "Am Anfang war es schon sehr hart", erinnert sich Noah. Seine Eltern unterstützten ihn, so gut es geht. Doch persönliche Treffen im Krankenhaus und in der Reha sind wegen der damaligen Restriktionen aufgrund der Corona-Schutzmaßnahmen nahezu unmöglich.
Noah Kuhlmann kämpft sich wieder in den Sattel
Gedanken ans Reiten und vor allem an seinen besten Kumpel San helfen Noah in dieser schwierigen Zeit. Er weiß, er muss wieder aufs Pferd - egal wie. "Er hat das auch so formuliert: 'Auch wenn ich nur noch im Schritt geführt werden kann, ich will auf jeden Fall wieder reiten'", erzählt Mutter Rita. "Das hat ihm viel Kraft gegeben, auch in der ganzen Entwicklung und in der Verarbeitung der Erkrankung." So wie Noah neu laufen lernen musste, musste er auch neu reiten lernen. Seine Beine kann er nicht mehr so einsetzen wie zuvor. Spezielle Steigbügel helfen ihm dabei, dass er den Halt nicht verliert.
Wenn ich mich zwischen etwas und dem Reiten entscheiden müsste: Ich würde mich immer fürs Reiten entscheiden. Para-Dressurreiter Noah Kuhlmann
"Im Nachhinein betrachtet, ist es auf jeden Fall das Beste, was ich machen konnte: mich an dieses neue Gefühl zu gewöhnen", sagt Noah, der sich als Foto- und Videograf selbständig machen möchte. Manchmal sei es schon ärgerlich, dass er jetzt gewisse Sachen nicht so machen könne wie andere Menschen. "Aber am Ende bin ich glücklich, dass ich reiten kann. Glücklich, dass es mit San so toll klappt, wir so viele schöne gemeinsame Erinnerungen und Erfolge sammeln können. Und das ist am Ende das, was zählt und was mich glücklich macht und weshalb ich auch nie aufgeben will."

Noah Kuhlmann kann auf dem Maimarkt-Turnier gleich mehrfach strahlen: Er gewinnt in Mannheim neben der Grand Prix Kür auch den Grand Prix. Zudem darf er sich zusammen mit dem deutschen Team über den Sieg im Nationenpreis freuen.
Der große Traum von den Paralympics
Trainiert wird Noah Kuhlmann von Dressurreiterin Tiggy Lenherr. Die Schweizer Meisterin war schon bei Welt- und Europameisterschaften am Start. "Ohne sie wären San und ich niemals dort, wo wir jetzt sind. Ich habe riesiges Glück, sie und ihr Team um mich herum zu haben", betont Noah. Zusammen mit Tiggy Lenherr hat er ein großes Ziel vor Augen: ein Start bei den Paralympics. "Darauf werde ich natürlich fleißig hinarbeiten. Am Ende gehen die Besten dahin und da wollen wir dazugehören", sagt er selbstbewusst. Dass Noah Kuhlmann und sein San das Potenzial dazu haben, haben sie auf dem Mannheimer Maimarkt-Turnier bewiesen.