Bianca Schmidt (Potsdam) jubelt nach dem Tor zum 1:0 gegen den FC Gütersloh): (Bild: IMAGO / Fotostand)

Aufschwung bei Fußball-Frauen Turbine Potsdam: Zurück in die Zukunft

Stand: 20.11.2023 18:12 Uhr

Nach dem Abstieg und finanziellen Schwierigkeiten drohte Turbine Potsdam zu Saison-Beginn die nächste sportliche Talfahrt. Doch Mannschaft, Trainer und Verein haben die Kehrtwende geschafft – auf beeindruckende Art und Weise. Von Fabian Friedmann

Bei Turbine Potsdam war man zuletzt Kummer gewohnt: Abgänge von Führungsspielerinnen, Trainer-Entlassung, Rücktritt des Präsidenten, zerstrittene Gremien, dazu fehlende sport-fachliche Kompetenz – sprich heilloses Durcheinander an allen Ecken und Enden. Negativer sportlicher Höhepunkt war im Sommer der Abstieg aus der Bundesliga für einen Verein, der über Jahrzehnte einer der prägendsten und erfolgreichsten Klubs im deutschen Frauen-Fußball gewesen war. Gerade noch Pokal-Finalist und nur knapp an der Qualifikation für die Champions League gescheitert – und ein Jahr später komplett abgestürzt.

Turbine-Kapitänin Jennifer Cramer (picture alliance/Fotostand)
Siegesserie von Turbine Potsdam gerissen

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Fehlstart in der Liga, beeindruckende Kehrtwende

Ehrgeizig präsentierte der Klub dann im Mai 2023 einen 20-Punkte-Plan, der den sechsfachen gesamtdeutschen Meister und zweifachen Champions-League-Sieger zurück in die sportliche Erfolgsspur führen sollte. Der zentrale Punkt: der sofortige Wiederaufstieg in die erste Liga.
 
Und die neu formierte Mannschaft? Verschlief den Saison-Start in der 2. Bundesliga. Drei Niederlagen ohne eigenes Tor folgte das Pokal-Aus gegen den VfL Wolfsburg. Zu diesem Zeitpunkt musste man sich ernsthafte Sorgen machen, dass der Brandenburger Traditionsverein den direkten Durchmarsch in die Regionalliga hinlegen würde. Doch es kam schließlich anders.
 
Die Potsdamerinnen schafften die von vielen Beobachtern des Vereins kaum noch für möglich gehaltene Kehrtwende. Denn was folgte, war eine beeindruckende Serie von sieben Siegen in Folge ohne Gegentor, darunter war auch ein 2:0-Heimerfolg gegen Spitzenreiter Hamburger SV. Einziger Schönheitsfehler: das 1:1 vergangenes Wochenende gegen den SG Andernach, unterm Strich aber ein Punktgewinn, da man über eine Halbzeit durch eine rote Karte gegen Kapitänin Jennifer Cramer in Unterzahl agieren musste.

Mit harter Arbeit zur neuen Leichtigkeit

Turbine ist nach diesem kuriosen Saison-Verlauf momentan auf dem dritten Tabellenplatz und hat beste Chancen, sein Ziel Aufstieg doch noch zu verwirklichen. Aber worin liegt der plötzliche Aufschwung begründet? "Wir haben von Anfang an gesagt, dass wir Zeit brauchen", sagte Turbines Offensivspielerin Viktoria Schwalm nach dem Spiel gegen Andernach rbb|24. "Wir mussten viele Spielerinnen im Sommer neu integrieren und uns als Mannschaft erstmal finden. In der zweiten Liga ist alles etwas robuster und kämpferischer."
 
Der Knoten platzte schließlich gegen die zweite Mannschaft von Bayern München. Man gewann mit 1:0 und ist seitdem in acht Spielen ungeschlagen.
 
Die Leichtigkeit ist also zurück bei Turbine Potsdam. "Aber die kommt auch von harter Arbeit“, sagt Schwalm, und von der charakterlichen Stärke aller Beteiligten nach einem solchen Fehlstart zurück in die Spur zu finden. "So wiederzukommen und so eine Moral zu zeigen, das ist natürlich auch ein Verdienst der Führungspersonen. Aber jeder übernimmt auf und neben dem Platz Verantwortung und das macht uns auch aus", erklärt die Angreiferin, die in dieser Saison bereits zweimal treffen konnte.

So wiederzukommen und so eine Moral zu zeigen, das ist natürlich auch ein Verdienst der Führungspersonen. Aber jeder übernimmt auf und neben dem Platz Verantwortung und das macht uns aus.

Heinrichs: "Jetzt gilt es, die Spannung hochzuhalten"

Zwei der erwähnten Führungspersonen sind die Trainer: Ex-Bundesliga-Profi Marco Gebhardt und Co-Trainer Dirk Heinrichs, gleichzeitig auch Team-Chef. Die Entscheidung, nach dem Abstieg weiterhin auf die beiden zu setzen, scheint aufgegangen zu sein. Gebhardt und Heinrichs haben eine kampf- und spielstarke Mannschaft geformt, gegen die es äußerst schwierig ist, Tore zu erzielen. Nur fünf Gegentreffer in elf Spielen machen Turbine zur mit Abstand besten Abwehr der 2. Liga.
 
"Wir haben eine super Serie gespielt, den Tabellenersten geschlagen. Jetzt gilt es, die Spannung hochzuhalten. Wir sind dabei, wir spielen mit. Und der Punkt heute war unheimlich wichtig für die Moral", sagte Co-Trainer Dirk Heinrich nach dem 1:1 gegen Andernach vergangenen Sonntag.
 
Aus Heinrichs Sicht spiegelt der Fehlstart keinesfalls das Leistungsvermögen der Mannschaft wider. Zu Beginn sei nicht alles schlecht gewesen. "Wir haben immer daran geglaubt, dass das, was wir und vorgenommen haben, funktionieren kann. Das haben wir auch in den Spielen gezeigt, in denen wir verloren haben", so Heinrichs. "Aber mit einem Mal macht es eben Klick." Die Überzeugung kam zurück, mit ihr das Selbstvertrauen und die Euphorie, es in die höchste deutsche Spielklasse schaffen zu können.

Wirtschaftliche Lage momentan stabil

Auch Turbines Präsident Karsten Ritter-Lang zollt Mannschaft und Trainer-Team seinen größten Respekt, diesen Turnaround hinbekommen zu haben. "Wir freuen uns einfach, dass wir eine Mannschaft haben, die zusammengewachsen ist."
 
Die wirtschaftliche Lage ist laut Ritter-Lang momentan stabil, obwohl der Hauptsponsor, die AOK, vor Saisonbeginn die Zusammenarbeit mit Turbine für beendet erklärt hatte. Man müsse an einigen Ecken den Rotstift ansetzen, so der Präsident. "Das betrifft vor allem die Ausgaben." Man freue sich daher über jegliche finanzielle Hilfe für den Verein.
 
Das Chaos in den Gremien, wie es sich noch in der vergangenen Saison dargestellt hat, scheint aber überwunden. "Wir arbeiten gut zusammen", sagt der Präsident. "Und das tut dem Verein gut."

Adrienne Jordan in einem Spiel für Turbine Potsdam (Archiv). Quelle: imago images/Fotostand
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Nachwuchsleistungszentrum als wichtiger Baustein

Ein weiterer Baustein für die Zukunft bei Turbine soll das vom DFB zertifizierte Nachwuchsleistungszentrum (NLZ) der Potsdamerinnen sein. Zuletzt hatte das NLZ kaum noch Spielerinnen zutage gefördert, die in der ersten Mannschaft sportlich Fuß fassen konnten. "Wir haben die Zielstellung, dass wir zwei bis drei Spielerinnen pro Jahr in den Profibereich entwickeln und dazu schaffen wir gerade die Voraussetzungen", sagt Ritter-Lang. Man will die Sichtung der Talente neu ausrichten und auch in der Region deutlich sichtbarer werden.
 
Die beste Eigenwerbung für den zukünftigen Nachwuchs wäre dabei ohnehin der sportliche Erfolg von Turbines 1. Mannschaft und die damit verbundene Rückkehr in die 1. Bundesliga.

Sendung: rbb|24 Inforadio, 20.11.2023, 17:15 Uhr