Herthas Michael Cuisance bejubelt seinen Treffer. (Foto: IMAGO / Ulrich Hufnagel)

2. Fußball-Bundesliga So wichtig wird der gereifte Cuisance für die nächste Hertha-Saison

Stand: 06.05.2025 21:09 Uhr

Erst Abschiedsgerüchte, jetzt verlängert - Michael Cuisance ist nach einer turbulenten Karriere bei Hertha BSC zu einem erwachsenen Fußballspieler gereift. Welche Rolle spielt seine Vertragsverlängerung für die künftige Hertha-Saison? Von Marc Schwitzky

"Ich bin ein neuer Micka", verkündete Michael Cuisance im vergangenen Sommer nach seinem Wechsel zu Hertha BSC. Als müsste der Franzose die Berliner Anhängerschaft erst einmal beruhigen. Doch warum braucht Cuisance mit gerade einmal 24 Jahren bereits eine neue Version von sich selbst?

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Nach nur 39 Bundesliga-Spielen im Fußball-Olymp

Zum einen, weil der gebürtige Strasbourger trotz seiner noch jungen Jahre bereits seit langer Zeit ein recht prominenter Name im deutschen Fußball ist. 2017 wechselte der Mittelfeldstratege aus der Jugend der AS Nancy zu Borussia Mönchengladbach. Schon damals hieß es, die "Fohlen" hätten sich ein absolutes Toptalent geangelt. Im selben Jahr spielte sich Cuisance bereits bei den Gladbacher Profis fest – und wechselte zwei Jahre später zum großen FC Bayern München.
 
Der deutsche Rekordmeister war 2019 bereit, acht Millionen Euro für den damals frisch 20-Jährigen auf den Tisch zu legen. Nach nur 39 Bundesliga-Spielen war Cuisance bereits in den europäischen Fußball-Olymp aufgestiegen.

Das schlampige Talent

Zum anderen muss seit dem Wechsel zum FC Bayern bis zum Gang zu einem Zweitligisten ja etwas passiert sein. Bei Cuisance ist es viel eher so, dass Dinge nicht passiert sind. Der Franzose ist der Archetyp des schlampigen Talents. Ein Fußballer, so begnadet, dass ihm die Dinge lange Zeit nur so zuflogen und er gar nicht lernen musste, diesen Sport auch zu arbeiten.
 
In München angekommen, dachte Cuisance, er habe es endgültig geschafft. Dass seine Karriere jetzt eigentlich erst so richtig begann und er nun über sich hinauswachsen müsste, um sich in solch einem Weltklasse-Team durchzusetzen, soll ihm mangels Professionalität gar nicht in den Sinn gekommen sein.

Michael Cuisance wurde 2020 mit dem FC Bayern München Champions-League-Sieger - ohne eine einzige Einsatzminute in der "Königsklasse". (Foto: IMAGO / Poolfoto UCL)

Michael Cuisance wurde 2020 mit dem FC Bayern München Champions-League-Sieger - ohne eine einzige Einsatzminute in der "Königsklasse". (Foto: IMAGO / Poolfoto UCL)

Und so dauerte das Bayern-Abenteuer effektiv nur eine Saison an. Cuisance erlebte anschließend eine regelrechte Wechsel-Odyssee, seit 2020 spielte er – bevor es ihn an die Spree zog – für gleich fünf Klubs in drei verschiedenen Ländern. Nirgends konnte er Fuß fassen, nirgends sein herausragendes Talent auch in entsprechende Leistungen gießen.
 
Cuisance schien gescheitert, seine Karriere auserzählt. Zuletzt stieg er 2023/24 als Leihspieler mit dem VfL Osnabrück in die 3. Liga ab. Ein neuer sportlicher Tiefpunkt. Was soll da noch kommen?

Der Reifeprozess

Doch was oberflächlich wie ein Tiefpunkt aussah, sollte Cuisances Karriere neu beleben. Denn während Osnabrück ein grausames Jahr erwischte, bewies er in genau jener Phase, dass er dazu gelernt hatte. Der 25-Jährige ließ erkennen, verstanden zu haben, dass Fußball nicht nur Schönspielerei, sondern auch Kampf ist.
 
Cuisance – eigentlich seinen Mitspielern spielerisch gänzlich überlegen – ließ keine Allüren aufkommen und stellte sich vollständig in den Dienst der Mannschaft. Cuisance ackerte, war der größte Lichtblick beim VfL – und zeigte einen sichtlichen Reifeprozess. Auch weil privates Glück dazukam: "Mein Sohn hat mein Leben verändert. Er war das, was ich in den letzten zwei Jahren gebraucht habe. Er hat mir viel Kraft gegeben", erklärte er gegenüber rbb|24.

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Schlüsselspieler bei Hertha

Auch die Vaterrolle hat Cuisance verstehen lassen, was es braucht, um ein echter Vollprofi zu sein. Seit längerem hat er seinen eigenen Athletiktrainer, Privatkoch und Mentalcoach. Die Anpassungen tragen Früchte: Der Sommer-Neuzugang gehört zu den größten Leistungsträgern der laufenden Hertha-Saison, er hat sich auf Anhieb zu einem Schlüsselspieler gemausert. Cuisance sammelte in bislang 30 Ligaspielen 14 direkte Torbeteiligungen, teilt sich mit Derry Scherhant die Position des Berliner Topscorers.
 
Dass Cuisance ein herausragender Fußballer sein kann, ist keine Neuigkeit. Auch bei den Blau-Weißen stellt er sein technisches und strategisches Können immer wieder unter Beweis. Der zentrale Mittelfeldspieler hat ligaweit die zweitmeisten Chancen vorbereitet, die sechstmeisten Großchancen. Zudem ist er auf Platz 17 bei den erfolgreichen Dribblings pro 90 Minuten.

Neu ist allerdings, wie viel Cuisance für seine Mannschaft arbeitet. Der Franzose steht im Liga-Vergleich auf Platz zwei bei den intensiven Läufen, Platz fünf bei den Sprints und Platz 16 bei den allgemein gelaufenen Kilometern. Ein Beweis für seinen Eifer. Besonders unter Fiél-Nachfolger Stefan Leitl stellte Cuisance seine Liebe für das Zocken hinten an und sich voll in den Dienst der Mannschaft wie dem Kampf gegen den Abstieg. Zudem kommuniziert Cuisance sehr viel auf dem Platz, nimmt eine immer größere Führungsrolle ein.

Der Maza-Ersatz?

Umso beeindruckender war, dass Hertha den 2027 auslaufenden Vertrag des Mittelfeldregisseurs vorzeitig bis 2029 verlängern konnte. Die Verkündung am vergangenen Samstag kam aus dem Nichts – und zwei Tage nach dem offiziellen Sommer-Wechsel von Ibrahim Maza zu Bayer Leverkusen. Zufall? Vermutlich nicht.
 
Denn mit Maza verlieren die Berliner einen absoluten Schlüsselspieler – und Kreativkopf. Zwar ist Cuisance nicht exakt derselbe Spielertyp, eher Stratege als Tempodribbler, doch ein elementarer Baustein im Spiel mit dem Ball. "Micka besitzt außergewöhnliche Qualitäten am Ball und hat unseren Fans mit seiner Spielweise und Kreativität schon viel Spaß bereitet. Darüber hinaus identifiziert er sich total mit dem Verein und der Stadt", so Sportdirektor Benjamin Weber.

Ibrahim Maza (l.) und Michael Cuisance sind das Kreativzentrum von Hertha BSC. (Foto: IMAGO / Jan Huebner)

Ibrahim Maza (l.) und Michael Cuisance sind das Kreativzentrum von Hertha BSC. (Foto: IMAGO / Jan Huebner)

Seine Vertragsverlängerung ist einerseits ein Zeichen dafür, dass Cuisance ein neues Zuhause gefunden hat – noch acht Einsätze und er wird für keinen Klub mehr Spiele absolviert haben.
 
Andererseits ist es ein echter Coup für Hertha, solch einen Unterschiedsspieler und für Zweitligaverhältnisse eigentlich überqualifizierten Kicker mindestens ein weiteres Jahr gehalten haben zu können. Immerhin wollte ihn der Schweizer Serienmeister aus Bern für die neue Saison verpflichten. Seine Bedeutung für die Mannschaft wird in der kommenden Spielzeit durch den Maza-Abgang noch größer. "Ich habe mich hier von Anfang an extrem wohl gefühlt und mit der Mannschaft noch viel vor", zeigt sich Herthas Nummer 27 glücklich.

Ein Zeichen an Reese

Die Vertragsverlängerung drückt aus, dass Cuisance, der nach seinem Wechsel zu Hertha sehr offensiv von Aufstiegsträumen erzählte, weiterhin daran glaubt, dass die "alte Dame" bald schon wieder erstklassig spielen könnte. Was zwischenzeitlich weit weg war, scheint unter Trainer Leitl wieder möglich.
 
Die Berliner sind unter dem 47-Jährigen seit sieben Spielen ungeschlagen, haben seit dessen Amtsantritt zusammen mit dem Karlsruher SC mehr Punkte als jeder andere Zweitligist geholt. Kann Hertha diese Form in die kommende Saison übertragen, wären sie ein Aufstiegsfavorit. "Wir sind auf einem superpositiven Weg, wir fliegen auf diesem Weg", so Cuisance nach dem jüngsten Sieg gegen Fürth.

Hertha-Trainer Stefan Leitl (l.) nimmt Ibrahim Maza in den Arm. (Foto: IMAGO / Jan Huebner)
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Dafür braucht es allerdings auch einen starken Kader. Neben dem Verkauf von Maza drohen den Hauptstädtern weitere schmerzhafte Abgänge von Leistungsträgern. Allen voran Fabian Reese könnte es in eine erste Liga ziehen. So ist der Verbleib Cuisance' auch ein Zeichen an ihn. Hertha will zeigen, dass es gute Gründe gibt, noch ein Jahr zu bleiben. "Wir haben ein Statement, eine Nachricht geschickt für die nächste Saison, was wir sind und was wir wollen", zeigt sich Cuisance ambitioniert. Sportchef Weber nennt die Verlängerung ein "Signal nach innen".
 
Reese hält sich noch bedeckt: "Es gibt mir ein gutes Gefühl, dass Schlüsselspieler gehalten werden. Alles andere wird die Zukunft zeigen." Doch auch wenn es den Angreifer letztendlich wegziehen sollte, zeigt das Bekenntnis von Cuisance: Mit Hertha ist in der kommenden Saison zu rechnen.

Sendung: rbb24, 06.05.2025, 21.45 Uhr