
9. Mai 1990 Heute vor 35 Jahren: Vom ersten und einzigen Länderspiel der DDR-Frauen-Nationalmannschaft
Die Frauen-Fußballnationalmannschaft der DDR tritt am 9. Mai 1990 im Potsdamer Karl-Liebknecht-Stadion zu ihrem ersten Länderspiel an. Doch dann macht die Geschichte dem Auswahlteam einen Strich durch die Rechnung. Von Antonia Hennigs
Während der Frauenfußball in der Bundesrepublik von 1955 bis 1970 verboten war, standen die Vorzeichen im Osten eigentlich besser. Die DDR förderte den Frauenfußball zwar nicht, sie unterdrückte ihn aber genauso wenig. "Der Frauenfußball konnte sich so zumindest entwickeln", erzählt Bernd Schröder. Der heute 82-Jährige trainierte von 1971 bis 2016 die Mannschaft von Turbine Potsdam – mit kurzer Unterbrechung aufgrund einer fünfjährigen Manager-Tätigkeit im Verein - und war einer von zwei Nationaltrainern der kurzlebigen Frauen-Nationalmannschaft der DDR. Aber dazu gleich mehr.
In der DDR wurde unterschieden zwischen Leistungssport und Freizeit- und Erholungssport. Der Frauenfußball fiel in die zweite Kategorie. "Ein Skandal", erinnert sich Schröder. Die Idee der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED): Frauen sollten turnen, laufen, oder schwimmen. Genauer gesagt: Sie sollten Olympische Medaillen gewinnen. Mit Frauenfußball ließen sich keine Medaillen gewinnen, weshalb er zu den nicht förderungswürdigen Sportarten zählte. Und trotzdem gründeten sich immer mehr Frauenfußball-Mannschaften in der DDR.

Sybille Brüdgam als Spielerin der Deutschen Demokratischen Republik (DDR)
Keine Strukturen für den Frauenfußball
Sybille Brüdgam war sechs Jahre alt, als sie anfing, mit ihrem Bruder zusammen Fußball zu spielen. Weil sie als Mädchen schnell nicht mehr an Punktspielen teilnehmen durfte, wechselte sie zum Handball. Doch es zog sie zurück. Brüdgam schloss sich erneut ihrem Bruder an, begleitete ihn zum Training. So kam es, dass Bernd Schröder auf die damals 17-Jährige aufmerksam wurde und sie bei Turbine Potsdam aufnahm.
"Es war viel Eigeninitiative nötig", erinnert sich Brüdgam an das Leben als Fußballerin in der DDR. Das Interesse der Frauen am Fußballspielen war enorm. Anfang der 70er Jahre gab es über 150 Frauen-Mannschaften in der DDR. Doch der organisierte Spielbetrieb fehlte. Spiele fanden rund um Volksfeste statt, über Annoncen wurde nach gegnerischen Mannschaften gesucht. Der Frauenfußball entwickelte sich, weil es Frauen wie Sybille Brüdgam gab, die Vollzeit arbeiteten, mehrmals pro Woche trainierten und am Wochenende zu Punktspielen fuhren. Sport-Funktionäre hielten sich höflich zurück.

Schröder widersetzt sich - und wird gesperrt
Bernd Schröder focht jahrelang Kämpfe mit diesen Funktionären aus, um mehr Förderung und mehr Aufmerksamkeit zu erhalten: "Wir sind eingeordnet worden in den Bereich Freizeit- und Erholungssport. Wie Rentner oder Leute, die nicht laufen können", erzählt der langjährige Trainer. Mit Turbine fuhr er trotzdem zu Turnieren ins Ausland – und wurde dafür für ein Jahr gesperrt, da sie gegen "kapitalistische Mannschaften" antraten. "Das war natürlich Verrat am Sozialismus", erinnert er sich.
Der große Durchbruch? 1989. Während es der DDR wirtschaftlich immer schlechter ging und der Unmut in der Bevölkerung wuchs, entschieden die Funktionäre auf einmal: Nun bedarf es einer Nationalmannschaft der Frauen – angeführt von Dietmar Männel, dem damaligen Trainer von Bad Schlema, und Bernd Schröder.
Durch die jahrelange Vernachlässigung der Entwicklung professioneller Strukturen war es nicht einfach, eine Mannschaft zusammenzustellen. Viele Frauen hatten sich vom Fußball abgewendet. Nach dem Mauerfall verließen außerdem mehrere Spielerinnen die DDR in Richtung Westen.

Eintrittskarte zum historischen Länderspiel
Ein paar Monate Förderung
Aber für die Fußballerinnen in der DDR gab es auf einmal Lehrgänge, Trainingsanzüge, neue Bälle. "Auch die Physiotherapie und die medizinische Betreuung, das war alles neu", erzählt Brüdgam: "Diese Organisation kannten wir ja überhaupt nicht." Eine ambivalente Situation: Der Staat um sie herum zerfiel, die Karriere der Frauen wurde gefördert wie nie. Am 9. Mai 1990 sollte es dann so weit sein: Das erste Länderspiel der DDR-Mannschaft stand an.
Die Gegnerinnen: Die Nationalmannschaft der damaligen Tschechoslowakei (CSFR), die auf 183 Länderspiele zurückblicken konnte. Die Partie fand im Karl-Liebknecht-Stadion in Potsdam statt. Sybille Brüdgam führte die DDR-Frauen als Kapitänin auf den Platz – aber sie fanden kein Mittel gegen die Tschechoslowakinnen. "Die waren an einem ganz anderen Punkt. Das hat man gemerkt", erinnert sie sich. Das Spiel ging 0:3 verloren, aber das Gefühl blieb.
"Es war etwas ganz Besonderes", kommt Brüdgam auch heute noch ins Schwärmen. Die Nationalhymne schallte durch das Stadion, Hammer und Zirkel in Gold schmückten die blauen Trikots, Maybrit Illner – damals Sportjournalistin – berichtete für das Fernsehen. Alles, was die Spielerinnen nur von anderen Sportarten aus dem Fernsehen kannten, erlebten sie auf einmal am eigenen Leib.

Erfolgsgeschichte im geeinten Deutschland
Die Hoffnung aller Beteiligten war: Ab jetzt wird der Frauenfußball in der DDR mehr anerkannt. Aber die Geschichte spielte nicht mit. Es war das erste Länderspiel der Frauenfußball-Nationalmannschaft der DDR – und es sollte ihr letztes bleiben. Den Staat, für den sie spielten, gab es bald nicht mehr. Wenige Monate später war die DDR Geschichte.
Brüdgam und Schröder blieben dem Frauenfußball erhalten. Die junge Spielerin war jetzt 25 Jahre alt, blieb bei Turbine Potsdam und stieg 1994 mit dem Verein in die Bundesliga auf. Auch zur Nationalmannschaft des vereinten Deutschlands wurde sie eingeladen, musste aber aus beruflichen und verletzungsbedingten Gründen absagen.
Auch Schröder blieb und leistete weiter Pionier-Arbeit für den gesamtdeutschen Frauenfußball. Mit zwölf Meistertiteln, drei Pokalsiegen und zwei Europapokalsiegen seit der Wiedervereinigung ist er der erfolgreichste Frauenfußball-Trainer Deutschlands und einer der Erfolgreichsten der Welt. 2016 verließ er Turbine Potsdam.
Sendung: Der Tag, 09.05.2025, 18:00 Uhr