Eröffnungsfeier der Special Olympics World Games im Berliner Olympiastadion im Sommer 2023 (Bild: picture alliance/dpa/Christoph Soeder)

Inklusion im Sport Was sich zwei Jahre nach den Special Olympics World Games in Berlin getan hat

Stand: 16.05.2025 10:22 Uhr

Die Special Olympics World Games begeisterten 2023 Berlin und Brandenburg. Inklusiver Sport stand im Fokus. Hat sich seit der Großveranstaltung etwas nachhaltig verändert? Ein Zwischenfazit mit den Beteiligten. Von Lynn Kraemer

Vor fast zwei Jahren liefen rund 6.500 Sportlerinnen und Sportler unter dem Applaus von über 50.000 Zuschauenden ins Berliner Olympiastadion ein. Für neun Tage verwandelte sich die Hauptstadt in den Austragungsort der größten Sportveranstaltung für Menschen mit geistiger Beeinträchtigung. Ihre Erfolge wurden medial gefeiert und mehr Inklusion gefordert. Heute erinnert eine Informations-Stele vor dem Stadion an die Special Olympics World Games 2023. Ist das alles, was von den Spielen bleibt?

Gruppenfoto zur Einweihung einer Stele in Erinnerung an die Special Olympics World Games Berlin 2023 vor dem Olympiastadion (Bild: picture alliance/dpa/Thomas Flehmer)

Einweihung der Informations-Stele zu den Special Olympics World Games vor dem Berliner Olympiastadion

Gesellschaftliche Wirkung der Special Olympics

"Das ist im Moment das, was physisch bleibt. Es ist eine schöne Würdigung, an der Stätte der Eröffnungsfeier so sichtbar zu sein. Aber das Wichtigste ist, dass wir in den Köpfen bleiben", sagt Sven Albrecht, Geschäftsführer von Special Olympics Deutschland. Seiner Einschätzung nach ist das gelungen: "Wir merken, dass unsere Athletinnen und Athleten ganz anders wahrgenommen werden."
 
"Das Host-Town-Programm hat enorm dazu beigetragen, denn über 200 Kommunen haben sich auf den Weg gemacht, Inklusion vor Ort umzusetzen", sagt sein Kollege Florian König, Direktor der Verbands- und Länderentwicklung. In den sogenannten "Host Towns", die deutschlandweit die Delegationen vor den Weltspielen empfingen, hat Special Olympics dazu im Nachhinein Umfragen durchgeführt. "Wir haben geschaut, wie die Einstellungsveränderung in der Bevölkerung war und es sind ganz klar positive Effekte nachgewiesen worden", so Albrecht.

Die Berliner Tennisspielerin Samantha Eckert kann das aus eigener Erfahrung bestätigen: "Wenn meine Familie oder irgendwer über die Special Olympics World Games reden, dann bekomme ich ganz viele Fragen. Die Leute interessieren sich mehr und wollen eher mitmachen." Eckert gewann in Berlin zwei Silbermedaillen. Bei der anschließenden Champions-Sportlerwahl im Dezember belegte die damals 16-Jährige den dritten Platz. "Das war schon sehr aufregend und dass ich dann bei der Gala auftreten durfte, war für mich nicht selbstverständlich." Zwei Jahre später sei das Interesse zwar geringer, aber nicht komplett weg.
 
Eckert muss aktuell wegen Knie- und Rückenproblemen pausieren, engagiert sich aber in der Special Olympics Jugend und ist seit kurzem Beisitzerin des Vorstands. Außerdem hat sie einen Minijob beim Berliner Verband und kümmert sich dort um die Jugendarbeit: "Wir wollen, dass die Jugendlichen an Sportevents teilnehmen und Jugendliche mit und ohne Beeinträchtigung zusammenführen. Dass sie voneinander lernen, Spaß haben und eventuell aus ihrer Komfortzone kommen."

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Interesse hat zugenommen

Von 320.000 Menschen, die in Deutschland mit einer geistigen Beeinträchtigung leben, waren 2023 etwa acht Prozent im organisierten Sport aktiv. Das von Sven Albrecht mittelfristig anvisierte Ziel sind 16 Prozent. Zum Vergleich: etwa 35 Prozent der Jugendlichen ohne Beeinträchtigung machen Vereinssport. Ob sich die Zahl seit den Weltspielen verbessert hat, wird Special Olympics Deutschland erst zum Jahresende erheben.
 
Trotzdem werden konkrete Veränderungen bereits an anderen Stellen sichtbar. Der Landessportbund Berlin (LSB) sieht das gestiegene Interesse im eigenen Netzwerk “Sport & Inklusion”. Laut Inklusionsmanager Tim Tschauder hat sich die Zahl der Mitglieder auf 200 verdoppelt. Auch das Beratungsangebot des LSB werde stärker genutzt: “Vor den World Games mussten wir mehr in die Stadt rufen. Jetzt ist es tatsächlich so, dass wir öfter angesprochen werden.”

Inklusives Sportangebot in der Region ausbaufähig

Die Vereine werden vom Landessportbund kostenfrei beraten und bei der Beantragung von Fördermitteln oder Suche nach geeigneten Qualifizierungsmaßnahmen unterstützt. "Es ist unser Anliegen, in Berlin flächendeckend Angebote zu schaffen", so Tschauder, denn: "Es gibt eigentlich überall in der Stadt inklusive Angebote, aber nicht so, dass ich überall in Berlin selbstbestimmt meine Sportart auswählen kann." Eine inklusive Handballgruppe in Neukölln sei toll, aber für jemanden aus Spandau schwerer zu erreichen.

Norma Rettich, die als Hockey-Bundestrainerin bei den Weltspielen dabei war, kennt das Problem aus dem Trainingsalltag: "Auch bei uns ist die Schwierigkeit, dass die Sportler teilweise früher gehen müssen, damit sie noch den Bus kriegen. Nach Trainingsende müssten sie sonst eine Stunde warten." Es gebe den Fahrdienst morgens zur Werkstatt, aber nicht nachmittags zum Sportangebot. "Den müsste man selbst zahlen." Rettich sieht an dieser Stelle die Politik in der Pflicht, um Sport für alle zugänglicher zu machen.

Hockey-Nationaltrainerin Norma Rettich und ihr Sohn – Nationalspieler Kevin Waskowsky (Bild: rbb/Lynn Kraemer)

Hockey-Nationaltrainerin Norma Rettich und ihr Sohn Nationalspieler Kevin Waskowsky bei den Special Olympics World Games 2023

Angebote sind von Fördermitteln abhängig

Sie gründete nach den Special Olympics World Games ein Hockeyteam für Menschen mit und ohne Beeinträchtigung in Potsdam. Fördermittel bekommt Norma Rettich unter anderem von der "Aktion Mensch". Das Team ist innerhalb eines Jahres von fünf auf inzwischen 22 Personen im Alter zwischen 13 und 42 Jahren angewachsen. "Da ist nicht die Frage, ob man beeinträchtig ist oder nicht, sondern man ist einfach auf dem Hockeyplatz", sagt Rettich, die sich seit 2024 auch als stellvertretende Präsidentin bei Special Olympics Brandenburg engagiert.
 
Das inklusive Hockey-Training bei der Potsdamer Sport-Union wird so gut angenommen, dass die Gruppe bald an ihre Kapazitätsgrenze stoßen könnte. Aktuell betreut ein Trainer bis zu vier Sportlerinnen und Sportler. Sollten mehr Menschen dazukommen, braucht Rettich mehr Trainer. Und die sind nicht leicht zu finden, weil die Aufwandsentschädigung gering und die Hemmschwelle teilweise noch zu hoch ist. Bei einem Lehrgang, der kürzlich in Köln stattfand, hatte Rettich zwar eine Rekordteilnehmerzahl von 26 Hockey-Trainern, die sich weiterbilden wollten, doch der Bedarf wird damit nicht gedeckt.

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Mit den Finanzierungsproblemen ist Rettich nicht allein. "Es ist oft so, dass durch Projekte tolle Initiativen angeschoben und dann auf dem Höhepunkt ihrer Wirkung eingestellt werden", sagt Florian König von Special Olympics Deutschland. König sieht zwar eine Veränderung bei den Landessportbünden, die sich "Gedanken gemacht haben, wie Ressourcen und finanzielle Mittel auch für das Thema Inklusion im Sport zur Verfügung gestellt werden können." Aber er fordert vor allem "eine langfristige Absicherung dieser Strukturen, um in dieser Thematik wirklich Fortschritte zu machen."

Inklusion im Sport ist kein Selbstläufer

Das Fazit zur Wirkung der Spiele fällt gemischt aus. "Wir können uns nicht davon blenden lassen, dass Inklusion im Großevent funktioniert. Sie muss vor allem im Alltag nachhaltig etabliert werden", sagt Florian König. Hockey-Trainerin Norma Rettich sieht insgesamt eher wenig Fortschritt: "Da sind noch viele, viele Baustellen. Aber für den Hockey-Sport sage ich ja, da passiert nachhaltig was." Auch Tim Tschauder vom LSB Berlin erkennt noch keinen großen Umbruch: "Die Veranstaltung hat nicht von selbst für nachhaltige Veränderungen gesorgt, aber sie hat etwas angestoßen." Das müsse weitergeführt werden.

"Dass der Effekt dauerhaft bleibt, ist nicht nur Aufgabe von Special Olympics, sondern auch von der Politik und der Sportfamilie", sagt Sven Albrecht von Special Olympics Deutschland. Die nächste Chance auf eine breitere regionale Öffentlichkeit bieten die Landesspiele. Mitte Juli werden verschiedene Wettbewerbe in Berlin und Brandenburg ausgetragen. Auch Samantha Eckert wird dort mit ihrer Jugendgruppe an einem Stand Werbung machen, damit die Idee der Special Olympics weiterhin wächst.