Die Profis von Union Berlin trainieren auf einem schneebedeckten Platz. (Bild: imago/Matthias Koch)

Kritik am Zeitrahmen Warum die Winterpause im Fußball eher kontraproduktiv ist

Stand: 21.12.2023 11:40 Uhr

Die Winterpause in der Fußball-Bundesliga soll den Spielern helfen, sich zu regenerieren. Doch Sportwissenschaftler und Trainer kritisieren den vorgegebenen Zeitrahmen: Andere europäische Top-Ligen würden es besser machen.

Von Fabian Friedmann

77 Tage – so lange dauerte die Rekord-Winterpause in der Bundesliga-Saison 1988/89. Im aktuellen Winter haben die Vereine eine wesentlich kürzere Auszeit von der Deutschen Fußball-Liga (DFL) verordnet bekommen. 24 Tage wird Bundesligist 1. FC Union Berlin Zeit gegeben, um sich auf die Rückserie samt der Mission Klassenerhalt vorzubereiten. Hertha BSC bekommt immerhin 36 Tage zugesprochen, weil die zweite Liga länger pausiert.
 
Aber wie sinnvoll ist eine Winterpause, vor allem dann, wenn sie stetig verkürzt wird? Welche Auswirkungen hat sie auf die physische und mentale Regeneration der Spieler und zu welchem Optimum raten Sportwissenschaftler und Athletiktrainer? Wie machen es andere europäische Topligen?

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Rahmenterminkalender definiert Winterpause

Die spielfreie Zeit um den Jahreswechsel wird durch den so genannten Rahmenterminkalender definiert. Verabschiedet wird dieser durch das Präsidium des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) und der DFL. "Grundlage (…) auf nationaler Ebene sind die vorgegebenen internationalen Spieldaten von FIFA und UEFA, u.a. für Welt- und Europameisterschaften sowie Länderspiele mit den dazugehörigen Abstellungsperioden für Nationalspieler und für die europäischen Clubwettbewerbe", schreibt die DFL auf ihrer Webseite.
 
Aufgrund dieser Spieldaten und Abstellungsperioden werden also Anfang, Pause und Ende einer Saison festgelegt. In einer Spielzeit mit internationaler Meisterschaft fällt die Winterpause traditionell kürzer aus. Die Europameisterschaft 2024 wirft damit schon jetzt ihre Schatten voraus und ist der Hauptgrund für die diesjährige verkürzte Winterpause in der Bundesliga.

Zwei Gründe für die Winterpause

Der erste Grund für die Einführung der spielfreien Zeit Anfang der 80er Jahre lag zunächst im Wetter bedingt. Kälte und Schneefall sorgten etwa im Winter 1978 für eine Flut von Spielabsagen. 46 Partien in der Bundesliga fielen aus. Die Vereine mussten außerplanmäßig vier Wochen pausieren. Es dauerte bis zum vorletzten Spieltag, ehe die Tabelle wieder begradigt werden konnte.
 
Solche Zustände wären heute undenkbar. Seit der Saison 2008/2009 muss jedes Stadion der 1. und 2. Bundesliga mit einer Rasenheizung ausgestattet sein. Mildere Temperaturen in der kalten Jahreszeit sind ein weiterer Faktor, weshalb Spiele seltener ausfallen – auch wenn bei extremen Schneefällen, wie zuletzt vor der Partie Bayern gegen Union Anfang Dezember, es weiterhin zu witterungsbedingten Spielabsagen kommen kann; sie sind aber die absolute Ausnahme geworden.
 
Ein zweiter, und aus heutiger Sicht weitaus wichtigerer Grund für die Pause: die Regeneration der Spieler. Durch die Unterbrechung des Spielbetriebs soll die Belastung der Profis gesenkt werden. Körper und Geist sollen sich erholen, um nach der Pause wieder für Höchstleistungen bereit zu sein. Aber hält diese Annahme modernen sportwissenschaftlichen Kenntnissen stand? Und wie lange sollte die Pause im Optimalfall dauern?

Rhythmus geht verloren, wenig Zeit, Ressourcen aufzubauen

"Ich finde die Winterpause, so wie wir sie haben, grundsätzlich überflüssig", sagt Ingo Froböse, emeritierter Professor für Prävention und Rehabilitation an der Deutschen Sporthochschule Köln, im Gespräch mit rbb24. "Die Spieler kommen dadurch innerhalb der Saison in einen Bruch hinein, der einerseits nicht lang genug ist, um neue Ressourcen aufzubauen, anderseits aber zu lang ist, um die gegebene Leistungsfähigkeit zu erhalten", so Froböse.
 
Diesen "Bruch" inmitten der Saison kritisiert auch der Athletiktrainer der Bundesliga-Mannschaft des 1. FC Union Berlin, Martin Krüger: "So wie die Pause jetzt ist, würde ich sie eher als kontraproduktiv sehen. Du bleibst nicht im Rhythmus, hast jedoch auch nicht ausreichend Zeit, um für eine Woche ins Trainingslager zu reisen. Es bleibt dir lediglich Zeit dazu, den Ist-Zustand zu erhalten."

Die Spieler kommen innerhalb der Saison in einen Bruch hinein, der einerseits nicht lang genug ist, um neue Ressourcen aufzubauen, anderseits aber zu lang ist, um die gegebene Leistungsfähigkeit zu erhalten.

Die Wichtigkeit mentaler Erholung

Unions Athletiktrainer spricht sich nicht grundsätzlich gegen eine Winterpause aus, vor allem deshalb, weil die Spieler sich mental erholen müssten. "Die Psyche ist viel wichtiger, da sie mehr Zeit benötigt, um sich zu regenerieren. Da geht es darum, Stresshormone runterzufahren, da die Psyche am Ende auch die Physis reguliert. Du musst Pause machen, und im Sommer ist dies durch die Turniere kaum möglich", sagt Krüger.
 
Die Erkenntnisse der modernen Sportwissenschaft decken sich mit Krügers Ansichten. Wenn Sportler einen müden Geist haben, dann haben sie auch keine optimale Bewegungsqualität. Darunter leiden Schnelligkeit und Spritzigkeit. "In der Winterpause ist die kognitive Erholungsphase besonders wichtig, aber dafür darf die Pause nicht zu lange sein", erklärt Ingo Froböse, "weil sie dann in ein Loch kommen. Die Spieler brauchen Frische. Sie ist Grundlage dafür, dass sie Performance bringen können."

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Erhöhte Verletzungsanfälligkeit im Training

Neben der Psyche hat die Dauer der Winterpause auch einen Effekt auf die körperliche Verletzungsanfälligkeit der Spieler. Eine Studie, die die verkürzte Winterpause in der Bundesliga-Saison 2009/2010 untersucht hatte, kam zu dem Ergebnis, dass sich die Zahl der Knieverletzungen im Training deutlich erhöht hatte. Ein höheres Verletzungsrisiko zeigte sich insbesondere im Januar während der ersten Trainingseinheiten nach der Pause. Ein Hinweis darauf, dass die kürzere Erholungsphase bei manchen Spielern nicht ausreichend war für eine vollständige Regeneration und ihnen der Wiedereinstieg schwerer fiel.
 
Es sind deutliche Warnsignale, dass eine Winterpause, die circa drei Wochen dauert, nur neue Probleme verursacht, anstatt bei der Regeneration der Spieler zu helfen. Denn dafür bräuchte es eine längere Pause, um sich im Anschluss kontinuierlich vorzubereiten und den erlittenen Verlust des sportlichen Rhythmus' ausgleichen zu können.
 
Schon seit Jahren kritisiert Ingo Froböse, dass DFB und DFL hier nicht im Sinne der Spieler agieren würden. Bei der Planung des Terminkalenders würden zu viele Fehler gemacht. "Hier sollte man einen Blick auf die Insel werfen, die zeigen uns, wie es geht", sagt der Sportwissenschaftler mit Blick auf die Premier League. Für den Sommer schlägt er eine längere Pause vor, damit gerade die Spieler, die international unterwegs seien, eine größere Regenerationszeit bekämen. Der DFB ließ eine Anfrage von rbb24 zu möglichen Veränderungen seines Terminkalenders bislang unbeantwortet.

Winter-Trainingslager: Sonne ja, Hitze nein!

Eine knapp fünfwöchige Winterpause wie sie Hertha BSC in dieser Saison zur Verfügung hat, gibt den Verantwortlichen immerhin mehr Handlungsspielraum. Die "alte Dame" steigt erst am 21. Januar wieder in den Zweitliga-Spielbetrieb ein. Deshalb können die Blau-Weißen auch ein einwöchiges Trainingslager im spanischen Alicante absolvieren. Wie man die aktuelle Regelung zur Winterpause bewertet, darüber wollte sich der Verein auf rbb24-Anfrage allerdings nicht äußern.

 
In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, wie sinnvoll es ist, in wärmeren Gegenden zu trainieren, wo doch die ersten Spiele zu Hause in winterlichen Verhältnissen stattfinden. "Das sehe ich als gar nicht so tragisch an", sagt Ingo Froböse: Gesunde Immunsysteme kämen in der Regel mit Temperaturwechseln gut klar, "vor allem dann, wenn genügend Zeit zwischen Trainingslager und Spielbeginn ist." Und ein bisschen Sonne tanken, das wisse jeder aus eigener Urlaubs-Erfahrung, tue dem Gemüt und der Entspannung sehr gut.
 
Bei Hitze sollte sportliche Aufbauarbeit aber vermieden werden. Das Trainingslager der Bayern in Katar samt Zeitverschiebung sei viel problematischer gewesen, meint Froböse. Bereits 2004 hat das Bundesinstitut für Sportwissenschaft in einer Untersuchung festgestellt, dass Hitzebedingungen einen deutlichen leistungsmindernden Effekt haben aufgrund des Anstiegs der Körpertemperatur. Motorische Aktivitäten ließen nach, Konzentration und Koordination könnten beeinträchtigt werden.

Europas Top-Ligen gehen andere Wege

In England, Spanien oder Italien kennt man sonnige Winter-Trainingslager nur vom Hörensagen. Zu kurz sind in den dortigen Top-Ligen die Pausen rund um den Jahreswechsel. Die Premier League spielt komplett durch. Einzig ein Wochenende Ende Januar ist spielfrei, was den Profis sieben bis zehn Tage Pause einräumt. Die spanische Primera Division pausiert nur am Wochenende vor und nach Weihnachten, am 2. Januar geht dort der Regelbetrieb weiter.
 
Die italienische Serie A kommt in dieser Saison sogar vollständig ohne Winterpause aus, wobei man auch miteinbeziehen muss, dass alle drei genannten Ligen mit 20 Teams spielen im Gegensatz zur Bundesliga (18). Heißt: Dort muss man fast durchspielen, um bis zum Sommer fertig zu werden.

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Was ergibt Sinn für die Bundesliga?

Aus Sicht von Sportwissenschaftler Froböse machen es die anderen europäischen Ligen etwas besser in der Ausgestaltung ihrer Winterpausen. "Eine Woche zwischen den Feiertagen Pause machen, damit die Spieler kognitiv runterkommen. Und dann wieder am 2. Januar einsteigen. Das würde am meisten Sinn für die Bundesliga machen", meint er.
 
Die Vorteile: Man hätte eine deutlich größere Taktung im Rahmenterminkalender, gegebenenfalls sogar mehr Pause im Sommer. Dazu könnte man die Anzahl der englischen Wochen während der Saison minimieren. Denn eine längere Regeneration zwischen den Spielen ist aus trainingswissenschaftlicher Sicht viel wertvoller als ein ausgedehnter Weihnachtsurlaub.

Sendung: rbb24|Inforadio, 21.12.2023, 13:15 Uhr