Union-Trainer Urs Fischer. (Bild: Matthias Koch)

Teamcheck Union Berlin Belastungssteuerung als Knackpunkt

Stand: 12.01.2023 07:47 Uhr

Nach erfolgreichem Saisonbeginn musste Union Berlin in der Bundesliga Rückschläge hinnehmen. Die Kernfrage für den Re-Start lautet: Wie werden die Eisernen die Belastung dreier Wettbewerbe wegstecken?

Der Auftakt in die vierte Saison in der Fußball-Bundesliga hätte besser nicht laufen können für den 1. FC Union. Lange Zeit belegte die Mannschaft von Trainer Urs Fiacher den Spitzenplatz in der Tabelle. Als die Euphorie verflogen war, wurden allerdings die Defizite sichtbar - vor allem dann, wenn die Köpenicker das Spiel machen mussten. Vor der WM-Pause kam es dann zu dem ein oder anderen schwachen Auswärtsauftritt mit reichlich Gegentoren. Wollen die Köpenicker erneut den Europapokal erreichen, sollte spielerisch eine Weiterentwicklung stattfinden, dafür der aufgeblähte Kader abgespeckt und kreativ ergänzt werden.

Die Mannschaft des 1. FC Union Berlin im Trainingslager im spanischen Campoamor (picture alliance/Matthias Koch)
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Mit gnadenloser Effizienz an die Spitze – So liefen die ersten 15 Spieltage

Nach einem mühsamen 2:1-Auswärtssieg im Pokal beim Chemnitzer FC startete der 1. FC Union im Anschluss mit einem Paukenschlag in seine vierte Erstliga-Saison. Im Derby gewann der FCU zu Hause gegen den Stadtrivalen Hertha BSC mit 3:1. Es war ein perfekter Saisonauftakt für die Eisernen und zugleich ein richtungsweisender. Denn nach weiteren Siegen gegen Leipzig (2:1), Schalke (6:1) und Köln (1:0) sowie zwei Unentschieden gegen die Bayern und Mainz 05 grüßte der 1. FC Union schließlich am Ende des 6. Spieltags von der Tabellenspitze.
 
Der Hauptgrund für diese Leistungsexplosion, die wohl nur kühnste Optimisten der Mannschaft von Urs Fischer zugetraut hätten, lag vor allem in der gnadenlosen Effizienz der Eisernen. Die Mannschaft zeigte schnelles Umschaltspiel in Perfektion und nutzte die sich bietenden Chancen eiskalt aus. Bestes Beispiel: Beim 6:1 auf Schalke brauchte Union nur 12 Torschüsse für seine sechs Tore, hatte gar vier Abschlüsse weniger zu verzeichnen als der Gegner. War der FCU erstmal in Front, bissen sich die Gegner an der engmaschigen Defensive um den herausragenden Robin Knoche reihenweise die Zähne aus. Viele knappe Spiele konnten die Unioner so für sich entscheiden. Dazu harmonierte das neu formierte Sturmduo Becker/Jordan zu Beginn bestens, so dass der Bundesliga-Spitzenplatz bis zum 12. Spieltag verteidigt werden konnte.
 
Doch mit der zunehmenden Doppelbelastung in der Europa League fiel der 1. FC Union im letzten Drittel in eine kleine Ergebniskrise: Auftakt bildete die 1:2-Niederlage beim Tabellenschlusslicht VfL Bochum. Die sieglose Serie setzte sich dann durch ein 2:2 gegen den FC Augsburg und ein desatröses 0:5 in Leverkusen fort. Das anschließende 1:4 in Freiburg bildete für die Verantwortlichen in Köpenick beileibe keinen versöhnlichen Abschluss des Jahres 2022. Dennoch, der FCU kann mit der bisherigen Hinrunde zufrieden sein. Die Mannschaft von Urs Fischer war nie schlechter als Rang fünf platziert. Das heißt, Union stand in der aktuellen Saison immer auf einem internationalen Startplatz.

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Verkleinern und kreativ nachlegen – Wer kommt, wer geht

Größte Priorität hat für Union-Geschäftsführer Oliver Ruhnert aktuell die Verkleinerung des Kaders. Gerade Spielern mit wenig Einsatzzeit legte Ruhnert zuletzt einen Wechsel nahe. Gefolgt ist dieser Aufforderung Außenverteidiger Tymoteusz Puchacz. Der 23 Jahre alte Pole wechselte – vorerst bis Saisonende – nach Griechenland zu Panathinaikos Athen. Dazu beinhaltet die Leihvereinbarung eine Kaufoption für die Griechen.
 
Ein weiterer Kandidat, der den Verein noch verlassen könnte, ist Tim Skarke. Der Neuzugang aus Darmstadt kam als Flügelstürmer in Urs Fischers 3-5-2-System nie zum Zug, genau wie die zentralen Mittelfeldspieler Levin Öztunali und Kevin Möhwald. Beide sind ebenfalls Wechselkandidaten.
 
Ein Spieler, der zuletzt Begehrlichkeiten geweckt hat, ist der variable Außenverteidiger Julian Ryerson. Premier League-Klub Brighton & Hove Albion soll Interesse am 25-jährigen Norweger bekundet haben. Sollte er schon in diesem Winter den Verein verlassen, bekäme Union wohl immerhin eine stattliche Ablösesumme. Einer, der auf jeden Fall bleibt, ist Kapitän und rechter Außenbahnspieler Christopher Trimmel. Der dienstälteste Unioner hat seinen Vertrag im Trainingslager in Spanien nochmals verlängert. Sollte also Ryerson Union verlassen, hätte Urs Fischer mit Trimmel bereits eine routinierte Alternative.
 
Stürmer Sheraldo Becker erschien zuletzt ebenfalls auf dem Einkaufszettel eines Premier League-Clubs. Nottingham Forrest würde Unions Top-Angreifer in der Bundesliga (7 Tore, 4 Assists) gerne verpflichten. Dort könnte es dann zu einem Wiedersehen mit Unions Ex-Sturmpartner Taiwo Awoniyi kommen. Doch Becker zieht es wohl eher vor, Europa League zu spielen als in England gegen den Abstieg. Mit Kevin Behrens war ein weiterer Union-Stürmer bei einem anderen Verein im Gespräch. Der 1. FC Köln hätte den bulligen Stürmer gerne verpflichtet, doch Behrens lehnte kurzfristig ab. Im Sommer läuft sein Vertrag nach zwei Jahren aus. Dann werde es laut Behrens eine Entscheidung geben.

Prinzipiell beschäftigen wir uns mit den Akteuren, die weniger im Fokus stehen.

Auf der Seite der Neuzugänge kann Oliver Ruhnert bislang keinerlei Vollzug melden. Dabei würde ein technisch versierter, kreativer Mittelfeldspieler durchaus ins Anforderungsprofil des FCU passen. Die Hamburger Morgenpost hatte zuletzt eisernes Interesse an HSV-Mittelfeldspieler Ludivit Reis vermeldet. Ob es dazu kommt, bleibt aber fraglich, wenn überhaupt, dann frühestens im Sommer, wie der Spieler kürzlich klarstellte.
 
Daneben sollen die Köpenicker am jungen Norweger Sivert Mannswerk von FK Molde interessiert sein. Der 20-jährige Sechser überzeugte für Molde FK in der Conference League, wird aber auch von anderen Vereinen umworben. "Prinzipiell beschäftigen wir uns mit den Akteuren, die weniger im Fokus stehen", sagt Ruhnert, wobei sich der 1. FC Union sportlich nicht mehr vor vielen Konkurrenten verstecken muss.
 
Sollten Becker oder Behrens den Verein doch noch verlassen, dann müsste Ruhnert aber im Angriff mit Sicherheit nachlegen, um dem Kader in der Offensive dann wieder mehr Tiefe zu verleihen.

Stetige Weiterentwicklung unter Trainer Urs Fischer

So sicher wie Urs Fischer sitzen wohl nur wenige Trainer der Fußball-Bundesliga auf ihrem Stuhl. Der mittlerweile 56-jährige Schweizer führte die Eisernen bereits in seiner ersten Saison erstmals in die Bundesliga, hielt anschließend souverän die Klasse und schaffte danach zweimal den Sprung auf die Europapokalplätze. Dabei sind es nicht nur die zählbaren Erfolge des Trainers während seiner über vierjährgen Amtszeit, sondern auch eine konsequente spielerische Weiterentwicklung, die ihn auszeichnet - und dass trotz zahlreicher prominenter Abgänge in den vergangenen Jahren. Fischer schafft es immer wieder, sein Team - trotz neuem Personal auf Schlüsselpositionen - weiter zu formen und ihr ein abermals erfolgreiches Gesicht zu geben.

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Aktuell steht der Fokus in Fischers Arbeit auf Ballbesitzfußball. Dass Union ein starkes Umschaltspiel besitzt, weiß mittlerweile die ganze Bundesliga, doch gegen tiefstehende Gegner, die Union den Ball überlassen, wurden häufig die spielerischen Defizite der Eisernen sichtbar. Das vertikale Spiel aus der Abwehr heraus, daran feilt Fischer schon seit dem zweiten Bundesligajahr. Noch konnte die Mannschaft dies nicht ganz umsetzen, aber in Köpenick weiß man dennoch, was man an dem kauzigen Schweizer hat. Denn Fischer hat einen Plan. Und im Verein ziehen alle mit, um diesen zu verwirklichen.

Erwartungen an die Restsaison

Die Verantwortlichen des 1. FC Union werden - wie auch in den vergangenen erfolgreichen Spielzeiten - nicht müde zu betonen, dass zunächst der Klassenerhalt rein rechnerisch realisiert werden muss, bis man sich höhere Ziele setzt. Dass die Eisernen das Potenzial besitzen, um am Ende der Saison abermals in den Europapokal einzuziehen, ist nach dem starken ersten Saisondrittel unbestritten. Dass es aber auch schnell in die andere Richtung gehen kann, haben die schwachen Auftritte gegen Bochum, Leverkusen und in Freiburg kurz vor der WM-Pause deutlich gemacht.
 
Nicht zu unterschätzen ist die hohe Belastung des Kaders durch vielen anstehenden englischen Wochen. In der Europa League wartet mit Ajax Amsterdam (Hinspiel am 16.2., Rückspiel 23.2.) erstmals in diesem Wettbewerb ein wirklich namhafter Gegner und damit ein echtes Highlight auf den 1. FC Union. Zuvor spielt man am 31. Januar zu Hause gegen den VfL Wolfsburg um den Einzug ins DFB-Pokal-Viertelfinale. Entscheidend für den Erfolg des 1. FC Union wird sein, wie die Leistungsträger die hohen Belastungen wegstecken werden können, und wie Fischer diese zu steuern vermag.
 
Sollte Union Berlin dieser Spagat gelingen und damit Effizienz und Konstanz wieder einkehren in Berlin-Köpenick, dann ist in dieser Saison noch vieles möglich. Der Auftakt zu Hause gegen Hoffenheim (21.01., 15:30 Uhr) könnte wieder richtungsweisend sein.