RB Leipzig Fans

Fußball | DFB-Pokal RB Leipzigs Fans: Wie anders sind "die Kunden"?

Stand: 03.06.2023 23:15 Uhr

Zum zweiten Mal in Folge hat RB Leipzig den DFB-Pokal gewonnen. Man kann sich das Stöhnen der Kritiker und Gegner gut vorstellen: "Ausgerechnet dieses Kommerzprodukt!" Wild feiern konnten dagegen die RB-Fans, von denen knapp 30.000 Fans mit im Berliner Olympiastadion waren.

Von Sven Kups

Zwei Tickets für "das Spiel des Jahres" hatte auch Ronny Kügler ergattert. Reine Glückssache, denn die 23.700 Leipzig zur Verfügung gestellten Karten wurden von RB verlost. Und das ausschließlich unter Dauerkarteninhabern, Fanclub-Mitgliedern, Fördermitgliedern und sogenannten Vielfahrern. Wie eben Ronny Kügler, der schon beim Finale des Vorjahres (5:3 n.E. gegen Freiburg) dabei war. "Es war ein unglaubliches Erlebnis", erzählt er mit anhaltender Begeisterung von dem fußballerischen Drama mit 0:1-Rückstand, Roter Karte, Aufholjagd in Unterzahl und Elfmeterschießen: "Ich war so geflasht, dass ich absolut sprachlos war und mich hinsetzen musste, um das zu verdauen."

Verachtung und Häme

Verdauen mussten diesen ersten großen Titelgewinn der Leipziger mit Sicherheit auch die Kritiker des 2009 vom Getränkekonzern Red Bull gegründeten Projektes. Für sie bleibt es ein vergängliches Kunstprodukt, das seine Erfolge letztlich nur erkauft hat. Ein Marketing-Vehikel, das dem Fußball insgesamt schade und allenfalls Kunden statt echte Fans habe, wie man auch nach 14 Jahren unter quasi jedem RB-Post in den sozialen Medien lesen kann. Der oft und mit Schadenfreude vorgetragene Hinweis, RB werde nie einen großen Titel gewinnen, taucht inzwischen allerdings nicht mehr auf.

Rückblick auf den Pokalsieg von RB Leipzig 2022

Ganz im Gegensatz zu den despektierlichen Äußerungen über RB-Fans. Die standen nun im Pokalfinale ausgerechnet einer der aktivsten, gewaltigsten (und gewalttätigsten) Fanszenen gegenüber. Ein ungleiches Duell, das nicht zu gewinnen war und mancher vielleicht auch gar nicht gewinnen wollte. Nichtsdestotrotz lohnt sich ein genauerer Blick auf die Leipziger Anhängerschaft, die der Entwicklung ihres Klubs mit insgesamt fünf Aufstiegen (wenn man die Champions League mitrechnet) ein Stück weit hinterherrennen musste.

RB Leipzig Fans

RB Leipzig Fans

Zunehmendes Interesse

Keine Frage, die zu den Heimspielen in der Geburtssaison 2009/10 ins Markranstädter Stadion am Bad "strömenden" Zuschauer waren damals eher Neugierige als Fans. Heute kaum noch vorstellbare 420 zählte man damals am 27. Spieltag gegen den VfB Pößneck. Aber das Interesse und auch die Identifikation mit dem Klub nahmen mit den Jahren rasant zu. Katalysator dabei waren selbstverständlich die sportlichen Erfolge, die sich relativ schnell einstellten. Ob das vor allem an klugen Entscheidungen des Führungspersonals oder am überdurchschnittlich vorhandenen Geld lag, darüber kann man trefflich streiten.

Was die verkauften Dauerkarten betrifft, gehört RB jedenfalls längst zu den deutschen Topklubs: 32.200 Stück in der gerade abgelaufenen Saison bedeuten Rang vier in der Bundesliga hinter BVB, Schalke und Bayern. Die Dauerkarten-Statistik allerdings deckt auch einen großen Unterschied zu den anderen Klubs auf. So hat RB mit einem Durchschnittsalter von 47 Jahren die ältesten Fans der Bundesliga. Wenngleich Nachwuchs im Kommen ist: Inzwischen wird das RB-Trikot von Kindern getragen, die gar keine Zeit ohne Leipziger Bundesliga-Fußball kennen.

Wie anders sind RB-Fans?

Unterschiede zu den anderen Vereinen gibt es auch im Fanblock des Stadions, wo in der Regel die sogenannten "aktiven Fußballfans" zu Hause sind. Wo sie anfeuern, singen, Choreografien zeigen, kurzum: für Stimmung sorgen. "Ein Stück weit sind wir immer noch anders", ist sich Sebastian Horn sicher. Der 37-Jährige ist Sprecher des Fanverbands, der die Interessen von über 30 RB-Fanclubs vertritt. "Andere Fanszenen in Deutschland sind wesentlich homogener aufgestellt", betont er. Dort würden im Block weit weniger Frauen und Kinder im Block akzeptiert werden.

Für Sebastian Horn ist diese Form des "Andersseins" Fluch und Segen zugleich: "So eine heterogene Fanszene ist natürlich großartig und macht für mich den Reiz aus. Gleichzeitig es ist auch anspruchsvoll, die unterschiedlichen Anliegen zu moderieren. Weil jeder Teil der Szene ganz andere Ansprüche und Bedürfnisse hat." Deren Durchsetzung ist im Fall RB Leipzig allerdings eine besonders große Herausforderung. Den klassischen Weg über eine Mitgliederversammlung hat der Klub nämlich rigoros abgeschnitten. Nach aktuellem Stand zählt der RasenBallsport Leipzig e.V. gerade mal 21 von Geldgeber Red Bull handverlesene Mitglieder – einer der Hauptkritikpunkte an dem "Konstrukt".

Fans zeigen ihren Unmut

Dass es so ganz ohne Mitbestimmung aber auch nicht läuft, musste RB im Jahr 2019 erfahren, als die aktiven Fans aufbegehrten und ihren Unmut mit einem Banner ("Wir müssen reden – Dialog jetzt!") weithin sichtbar machten. Für Sebastian Horn war das eine besonders spannende Zeit, "weil da eine gewisse Emanzipation vom Verein stattgefunden hat". Man habe damals das Gefühl gehabt, "dass RB die Ideen und Wünsche der Fans nicht ernst nimmt".

Inzwischen, erklärt Horn, gebe es Strukturen, die die Kommunikation mit dem Verein einfacher gestalten. "Wir werden ernster genommen als noch vor einigen Jahren." Als einen Erfolg wertet er z.B. die Einbindung der Fans in die Stadiongestaltung. Und als nach Corona die Stimmung verbessert werden sollte, "hat es uns RB ermöglicht, die Tickets für den aktiven Fanblock selbst zu verwalten." Etwas enttäuschender endete dagegen das Ringen um das neugebaute Fanhaus: "Das haben wir eher als klassische Fanräumlichkeit gesehen und nicht als Kneipe. Aber da hat sich RB anders entschieden."

Der Weg von RB Leipzig ins DFB-Pokalfinale nach Berlin

Sind RB-Fans wirklich so anders?

Der Eindruck trügt nicht: Die Fan-Themen sind alles andere als RB-spezifisch. Vor allem die aktiven Anhänger wollen als eigenständige Gruppe wahrgenommen werden und haben letztlich die gleichen Interessen und Bedürfnisse wie jede andere Fanszene in Deutschland. "Das bringt die Masse mit sich, die man an Fans aufbaut", sieht das Sebastian Horn pragmatisch. Deswegen sei auch die verstärkt aufkommende (und unter den aktuellen Voraussetzungen unlösbare) Diskussion über Pyrotechnik im Stadion völlig normal.

Nur das Tempo, mit denen die Probleme aufkommen, diskutiert und gelöst oder nicht gelöst werden, sei höher als woanders, findet der Fanvertreter. "Letztendlich bekommt unsere Szene eine Schnellbesohlung in Sachen 'Fansein'. Was wir in 14 Jahren erlebt haben, konnten die Fanszenen anderer Klubs über Jahrzehnte aufbauen."

Mit Selbstironie gegenhalten

Was die RB-Fanszene wiederum von Anfang an auszeichnet, ist die Fähigkeit zur Selbstironie. Man kokettiert damit, was man ist, woher man kommt und wie man gesehen wird. Und das auf verschiedene Art und Weise. Zum Beispiel gibt es einen Twitter-Space namens "Kundengespräch". Und die zum Klassiker gewordenen Liedzeilen "Wir sind Schweine, rote Bullenschweine, wir zahlen keinen Eintritt und trinken Champagner statt Bier" waren zuletzt im Stadion auch wieder hören.

Sehr zur Freude von Ronny Kügler, der stolz darauf ist, dass sich die Fanszene bei RB nicht so ernst nimmt: "Wenn man in die 'Alle Bullen sind Schweine'-Rufe der gegnerischen Fans selbst mit einstimmt, sind das für mich echt Gänsehautmomente. Weil man den Traditionsfans so auf lustige Art und Weise den Wind aus den Segeln nehmen kann."

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(Hinweis: Der Artikel wurde nach dem Pokalfinale in unwesentlichen Punkten aktualisiert.)