Johannes Voigtmann, Dunking

Basketball | WM "Die Euphorie mitnehmen" – Wie der deutsche Basketball den WM-Hype nutzen kann

Stand: 11.09.2023 15:00 Uhr

Mit dem WM-Titel hat die deutsche Basketball-Nationalmannschaft Historisches geschafft. Doch wie kann die freigesetzte Energie genutzt werden, damit die Generation um Johannes Voigtmann und Andreas Obst nicht die einzig goldene bleibt?

Wer weiß, was passiert wäre, wenn Johannes Voigtmann im WM-Finale mit seinem Wurf von der Dreipunktelinie nicht den Korb getroffen hätte. Die deutsche Basketball-Nationalmannschaft hatte sich in einem packenden Endspiel gegen Serbien zuvor einen Vorteil herausgespielt. Im letzten Drittel ging die Treffsicherheit allerdings verloren. Sechs Minuten vor Schluss war der Vorsprung des DBB-Teams auf vier Punkte (73:69) zusammengeschmolzen, ehe Voigtmanns erlösender Dreier von linksaußen die Weichen endgültig auf Sieg stellte. "Das ist Wahnsinn!", stellte Voigtmann kurz nach Spielende (83:77) fest. "Wir haben am Anfang nicht gewagt, davon zu träumen. Jetzt ist es Realität. Ich bin super stolz auf die Truppe."

Weltmeister Voigtmann "ein sehr intelligenter Junge"

Der Stolz schwang auch einen Tag später bei Tino Stumpf in jeder Silbe mit. Schließlich hatte Voigtmann 2010 seine ersten Schritte im Profibasketball unter dem 48-Jährigen bei Science City Jena (heute Medipolis Jena) gemacht. Dass sich sein einstiger Schützling 13 Jahre später einmal Weltmeister nennen kann, "das konnte man sich nicht ausmalen", erzählt Stumpf im Talk mit Sport im Osten am Montag (11. September). Aber schon damals konnte man sehen, "dass er besondere Veranlagungen hat".

Die körperliche Größe, ein Elternhaus, was komplett hinter ihm stand, "ein sehr intelligenter Junge", beschreibt Stumpf den Einser-Abiturienten. Vor allem seine hohe Passqualität, nicht zuletzt durch seine Ausbildung im Handball in seiner Geburtsstadt beim ThSV Eisenach bedingt, sei schon früh auffällig gewesen. Mittlerweile steht der 2,11 Meter große Center beim italienischen Meister Olimpia Milano unter Vertrag. Seit 2014 ist er deutscher Nationalspieler, lief gegen Serbien zum 108 Mal im DBB-Trikot auf.

Johannes Voigtmann, Dunking

Johannes Voigtmann im Finale gegen Serbien. Mit 12 Treffern trug er maßgeblich zum Triumph bei.

Teamgeist als Schlüssel zum Titel

Obwohl Voigtmann Vize-Kapitän ist, geht er auf dem Parkett nicht als Lautsprecher voran. Es sind eher die leisen, wohlbedachten Töne, die ihn so wertvoll für die Mannschaft machen. An ihm und seiner Erfahrung können sich die jungen Spieler im Team von Bundestrainer Gordon Herbert orientieren. "Das zeichnet ihn aus", sagt sein ehemaliger Trainer Stumpf. "Die Menschen gehen in der Mannschaft aufeinander ein, entwickeln miteinander Kraft und haben Verständnis füreinander. Johannes hat durch seine bodenständige Weise unfassbar viel dazu beigetragen. Das macht ihn auch so wertvoll".

Dieser Teamgeist, der in den letzten ein, zwei Jahren gewachsen ist, war der besondere Touch. Tino Stumpf | Nachwuchstrainer Thüringer Basketball Verband

Der im Laufe des Turniers oftmals beschworene Teamspirit sei ausschlaggebend für den Titel gewesen. "Es hat kein Blatt Papier zwischen uns gepasst", erklärte Voigtmann nach dem Sieg. Stumpf sagt: "Das DBB-Team war schon vorher eine gute Mannschaft. Aber dieser Teamgeist, der in den letzten ein, zwei Jahren gewachsen ist, war der besondere Touch. Das hat der Mannschaft noch einmal einen unfassbaren Schub gegeben."

Johannes Voigtmann: "So richtig verarbeitet, hat es noch keiner"

Trotz WM-Titel: Die Herausforderungen bleiben

Die Euphoriewelle, die Deutschlands historischer Triumph ausgelöst hat, gilt es nun zu nutzen. Schon in den vergangenen Jahren konnten in der Nachwuchsarbeit wichtige Erfolge erzielt werden. Stumpf, heute Nachwuchstrainer beim Thüringer Basketball Verband, hebt in diesem Kontext auch die Arbeit der nationalen Liga hervor. "Die BBL hat durch die Anhebung der Standards viel bewirkt. Es gibt viel mehr hauptamtliche Jugendtrainer. Das hat eine klare Auswirkung auf die Entwicklung."

Die großen Herausforderungen bleiben aber: "Basketball ist in Deutschland immer noch Randsportart. Wenn wir dafür sorgen wollen, dass es nicht nur bei einer goldenen Generation bleibt, wird viel davon abhängen, wie viele Kinder wir zum Basketball bringen. Dafür muss die Basis groß sein."

Martin Geissler stößt ins gleiche Horn. "Wir müssen das nutzen und diese Euphorie mitnehmen", unterstrich der Geschäftsführer von Bundesligist MBC Syntainics im Interview mit Sport im Osten. "Wir werden die nächsten vier Jahre das Land sein, das Weltmeister ist. Vier Jahre lang wird die Basketball-Bundesliga die Liga der Weltmeister sein. Alle Spieler wurden in Deutschland ausgebildet. Das sind Pfunde, mit denen wir wuchern können."

"Wir dürfen uns nicht ausruhen"

Geissler: "Das müssen wir auch besser machen als der Fußball"

Der WM-Sieg sei eine "Riesenentwicklung", die auch auf die erfolgreiche Zusammenarbeit mit dem nationalen Verband DBB und der Liga BBL zurückzuführen ist. Nun muss das Rad aber weitergedreht werden. Geissler: "Wir müssen Sponsoren auf das Thema hinweisen. Wir müssen Kinder und Jugendliche davon begeistern, den Sport zu betreiben. Wir sind jetzt oben angekommen, dürfen uns aber nicht ausruhen. Das müssen wir auch besser machen als der Fußball."

Besonderes Augenmerk, da sind sich Stumpf und Geissler sicher, muss dem Frauen-Basketball gelten. Die Männer erfahren nicht zuletzt durch die WM einen regelrechten "Boom", die Frauen schwimmen dagegen unter der Oberfläche. Geissler sieht dabei auch die Liga in der Pflicht. "Die BBL setzt ganz klar auf Wachstum. Diese Vorgaben muss es aber auch für den Frauen-Basketball geben, damit er aus der Nische herauskommt." Für Stumpf ist das auch eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Man müsse Perspektiven aufzeigen, genauer: "Wie schaffen wir es, junge Menschen vom Jugend- auch in den Erwachsenenbereich im Leistungssport mitzunehmen, ohne dass wir eine allzu hohe 'Drop-Out-Rate' haben?"

Jasmine Laparis Gill und Rachael Vanderwal

Als eines von zwei Teams stellt der MBC sowohl eine Herren- als auch eine Frauenmannschaft in der 1. Liga: Die Gisa Lions.

Stumpf: Ostdeutscher Basketball "hat eine tolle Entwicklung gemacht"

Wie solch ein Weg funktionieren kann, also Schule und Leistungssport miteinander in Einklang zu bringen, zeigt nicht nur das Beispiel Johannes Voigtmann. Auch Nationalmannschaftskollege Andreas Obst aus Halle hat sich den Traum vom Basketballprofi und Weltmeister erfüllt. "Das sind Menschen, die Kinder begeistern können. Da können wir verdammt stolz drauf sein", so Geissler.

Zugleich sind die Wege der beiden Weltmeister auch eine Auszeichnung für die Arbeit, die im ostdeutschen Basketball geleistet wird. "Ostdeutschland hat eine tolle Entwicklung gemacht", führt Stumpf aus. "Mit den Niners Chemnitz und dem Syntainics MBC sind Klubs entstanden, die zurecht in der 1. Liga spielen. Auch Medipolis Jena hat Ambitionen, dorthin zu kommen. Und auch darunterliegend sind die Aussichten vielversprechend. Die Peripherie wächst."

jsc