Chemnitzer FC

Julius-Hirsch Preis Auszeichnungen für neue Fankultur in Chemnitz

Stand: 13.11.2023 19:19 Uhr

Das Fußballkultur-Projekt #Heimspiel wollte die Fanszene in Chemnitz bunter und vielfältiger machen, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit die Rote Karte zeigen. Heute (13.11.23) wird dem Projekt der renommierte Julius-Hirsch Preis der DFB-Kulturstiftung verliehen. Damit wird die mutige Arbeit von zwei Vereinen geehrt, die sich gegen die Vorherrschaft rechtsextremistischer Gruppierungen in der Chemnitzer Fanszene stemmen.

Von Peer Vorderwülbecke

Auch wenn es das Problem von Rechtsextremismus im Fußball in vielen Vereinen gibt – der Chemnitzer FC ist ein Sonderfall. Seit Jahrzehnten sind rechtsextremistische Gruppierungen in der Fanszene des Vereins verwurzelt. Und geben dort bis heute den Ton an.

CFC-Fanszene von rechten Gruppen beeinflusst

Seit den 90er Jahren hat die Gruppierung "HooNaRa" die Fanszene dominiert. Die Abkürzung steht für Hooligans, Nazis und Rassisten. Darauf folgten die "NS-Boys" – auch wenn NS offiziell für New Society stand und nicht für Nationalsozialismus. Auf der Fahne der Gruppierung war ein Hitlerjunge abgebildet. Bis vor zwei Jahren existierte die Fan-Gruppierung "Kaotic". Alle drei wurden vom Verfassungsschutz beobachtet. Seit Dezember 2022 gibt es in der Kurve eine neue Gruppierung mit mutmaßlich rechtsextremen Mitgliedern: "Kamenica Furor".

Natürlich bedeutet das nicht, dass alle Fans auf der Südtribüne des CFC-Stadions Rechtsextremisten sind. Das weiß auch Robert Claus, Experte für Rechtsextremismus im Fußball: "Es wäre zu viel gesagt, die Chemnitzer Kurve homogen als rechtsextrem einzuschätzen. Allerdings ist der Einfluss von Rechtsextremen, die Macht, die sie durch ihre Gewalt ausüben, dort sehr hoch."

Klima der Angst in der Chemnitzer Fanszene

Martin Ziegenhagen, der Antirassismus-Beauftragte des CFC wird noch etwas deutlicher: "Wir haben Teile der Szene in der Kurve. Da muss man ganz klar von rechtsextremen Strukturen sprechen." Und diejenigen, die in diesen rechtsextremen Strukturen organisiert sind, üben in der Chemnitzer Kurve Macht aus – im Zweifel auch über körperliche Gewalt. "Fans, die für Demokratie und Vielfalt stehen und sich dazu irgendwie äußern wollen, werden bedroht. Da müssen wir uns nichts vormachen. Das findet statt", sagt Ziegenhagen.

Deswegen herrschte in der Chemnitzer Fanszene auch ein Klima der Angst. Und die spürt man auch außerhalb des Stadions, denn die rechte Fangruppen wie "Kamenica Furor" sind natürlich auch in der Stadtgesellschaft präsent. Das bestätigt André Löscher von der Opferhilfe für Betroffene rechter Gewalt. "Wir stellen gerade fest, dass eine recht junge Gruppe von Neonazis in der Stadt unterwegs ist, und dort politische Gegner/-innen attackiert – bis hin zu Körperverletzungen."

Im Gegensatz zu fast allen anderen Fußball-Standorten in Deutschland hat es in Chemnitz über Jahre keine Antirassistische Faninitiative gegeben. Robert Claus | Rechtsextremismus-Experte

In der Chemnitzer Fanszene fehlt schon lange ein Gegengewicht zu den rechtsextremistischen Gruppierungen. "Im Gegensatz zu fast allen anderen Fußball-Standorten in Deutschland hat es in Chemnitz über Jahre keine Antirassistische Faninitiative gegeben", bestätigt Rechtsextremismus-Experte Robert Claus. Die Gruppierung "CFC-Fans gegen Rassismus" hat sich erst kürzlich gegründet und ist im Stadion nicht sichtbar. Auch, weil Mitglieder bedroht worden sind.

Robert Clauß #Heimspiel

Rechtsextremismus-Experte Robert Claus

#Heimspiel steuert Rechtsextremismus entgegen

In dieser Gemengelage ist das Projekt Heimspiel noch ungewöhnlicher. Unter dem Dach des Kulturvereins ASA-FF und mit Unterstützung des jungen Fußballvereins Athletic Sonnenberg und den "CFC-Fans gegen Rassismus" ist im zurückliegenden Sommer ein umfangreiches Fußball-Kulturprojekt auf die Beine gestellt worden. Mit einer klaren Position. "#Heimspiel will zeigen, dass Fußball Menschen verbinden kann", steht auf der Website. "Gerade in Chemnitz ist Fußball leider weiterhin durch eine aktive rechtsextreme Szene geprägt, sowohl beim CFC als auch in kleineren Vereinen der Stadt."

Deshalb habe sich "ein nicht unerheblicher Teil der Zivilgesellschaft vom Fußball abgewandt, sodass er auch Rückzugs- und Rekrutierungsort für organisierte Hooligangruppierungen ist." Aber die Organisatoren von #Heimspiel sind sicher, "dass es in der Stadt viele Fußballbegeisterte gibt, die sich klar für eine offene Gesellschaft aussprechen."

Integration, Vielfalt oder Inklusion

Und diese Fußballbegeisterten haben über vier Monate hinweg ein Dutzend Veranstaltungen organisiert. Von Ausstellungen über Filmvorführungen bis hin zu Podiumsdiskussionen. So etwas gab es in Chemnitz noch nie.

Und natürlich wurde auch gekickt. Vier Bolzplatzturniere hat es gegeben, alle flankiert von politischen Themen: Integration, Vielfalt oder Inklusion. Der Alternative Fußballverein Athletic Sonnenberg hat mit seinem Fußball-Fachwissen unterstützt. "Fußball ist für alle da, egal wo sie herkommen, egal wie sie aussehen", bringt Vereinspräsident Cornelius Huster die Philosophie seines Vereins auf den Punkt.

#Heimspiel erzielt erste Erfolge

Am Ende haben besonders viele Menschen aus migrantischen Communities in Chemnitz an den Bolzplatzturnieren teilgenommen. Das Finale von #Heimspiel hat dann im Stadion des CFC stattgefunden, das ja mitten im Brennpunkt-Stadtteil Sonnenberg liegt. 1.000 Fans waren gekommen, um die Sieger der Bolzplatzturniere gegen eine Chemnitzer Promi-Auswahl spielen zu sehen. Im Stadion war an diesem Tag auch Felix Müller, einer der Organisatoren von #Heimspiel.

Projekt #Heimspiel erfolgreich in Chemnitz beendet

Er freute sich über "ein super-diverses Publikum, das man sonst hier in Chemnitz im Stadion eben nicht hat." Außerdem fand er besonders, dass "unglaublich viele Leute, die auf dem Sonnenberg wohnen, heute zum ersten Mal da waren – wegen uns."

Wohin entwickelt sich die Fankultur in Chemnitz?

#Heimspiel hat angefangen, die Fußballkultur zu verändern. Aber im Gesamtbild ist das Projekt erst ein Teilerfolg. "Wir sind auf der Hälfte des Wegs", analysiert Martin Ziegenhagen, der Antirassismus-Beauftragte des CFC. "Wir sind an einer Gabelung." Soll heißen: Jetzt entscheidet sich, wohin sich die Chemnitzer Fankultur entwickelt. Weiter nach rechts oder in Richtung Mitte der Gesellschaft.

Wichtig ist, dass der Verein diese Veränderung mitträgt. Die vorherige Führungsmannschaft hat beim Thema Rechtsextremismus die klare Konfrontation gescheut und lieber weggeschaut. Die neue Vereinsführung, die seit dem Sommer im Amt ist, stellt sich dem Problem. "Niemand im Verein will das wegdiskutieren", sagt Tommy Haeder, der neue Geschäftsstellenleiter. "Aber das ist auch kein Problem, das wir in zwei Jahren wegbekommen." Deshalb setzt der CFC auf eine langfristige Strategie. Mit Blick auf die rechtsextremen Strukturen in der Fanszene sagt Haeder: "Wir müssen wieder einfach mehr Fans ins Stadion bekommen, die eine andere Meinungen haben."

CFC - Leiter Geschäftsstelle Tommy Haeder

Tommy Haeder, Geschäftsstellenleiter beim CFC, hofft auf einen Zulauf junger Fans ins Stadion.

"Wir wollen eine neue Generation ins Stadion kriegen"

Dafür hat der Verein sich viele Ticket-Aktionen ausgedacht und versucht gezielt, Fan-Nachwuchs ins Stadion zu bekommen. Kinder zahlen im Stadion an der Gellertstraße nur 2,50 Euro Eintritt. "Wir wollen eine neue Generation ins Stadion kriegen", sagt der neue Geschäftsstellenleiter. "Familien sollen im Stadion Spaß haben und nicht Angst."

Und die Kalkulation geht auf: Mitte September beim Spiel gegen Lok Leipzig kamen 7.000 Zuschauer ins Stadion – Regionalliga-Rekord für den CFC. Der Zuschauerschnitt in dieser Saison liegt mittlerweile rund 60 Prozent über dem Vorjahr. Der Familienblock war in dieser Saison bereits zwei Mal ausverkauft. Das sind Etappen-Erfolge – auf dem langen Weg raus aus der rechten Ecke.