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Sexualisierte Gewalt Ferienfreizeit der DLRG musste abgebrochen werden

Stand: 12.11.2022 14:07 Uhr

Die Polizei ermittelt aktuell gegen einen Betreuer einer DLRG-Ortsgruppe Köln. Auf einer Ferienfreizeit soll der Mann gegenüber den ihm anvertrauten Kindern und Jugendlichen übergriffig geworden sein. Das ergab eine gemeinsame Recherche von Sport inside, Deutschlandfunk und Süddeutscher Zeitung.

Streckentauchen, Gewichte vom Boden des Schwimmbades holen, Übungen zum Bergen von Personen aus dem Wasser. Jede Woche gehen Kinder und Jugendliche zum Schwimmtraining einer DLRG-Ortsgruppe in Köln. Ihr Betreuer organisiert seit Jahren auch Ferienfreizeiten im Namen der DLRG-Ortsgruppe. Im Sommer fahren 14 Kinder seiner Trainingsgruppen mit nach Spanien. In der Nähe von Barcelona beziehen die elf bis 16 Jahre alten Jugendlichen ein Ferienhaus.

"Massive Formen sexueller Belästigung"

Es sollen schöne Tage in der Sonne werden. Stattdessen müssen die Rettungsschwimmerinnen und -schwimmer sich selbst retten - vor ihrem übergriffigen Betreuer. Unter anderem ging es um "anmachende Bemerkungen, Berührungen, zu nah zu kommen, Bewertung des Körpers von einzelnen Jugendlichen", beschreibt Ursula Enders vom Verein "Zartbitter", was die Kinder, Jugendlichen und zwei Betreuerinnen ihr berichtet haben.

Einem Mädchen habe der Mann die Beine auseinandergezogen "angeblich im Rahmen einer Rettungsübung". Für Enders "massive Formen sexueller Belästigung". Eine der älteren Teilnehmerinnen schildert unter anderem unangenehme verbale Übergriffe. "Er hat einfach generell immer über Sex geredet", so die junge Frau: "Auf der Freizeit in Spanien hat er mir zum Beispiel vorgeschlagen, dass wir miteinander schlafen könnten".

Natürlich habe sie das abgelehnt. Das Ganze habe er so gesagt, dass es wie ein Witz wirken sollte. "Und solche Witze hat er auch bei anderen Teilnehmern gemacht", beschreibt die junge Frau in einem Gespräch mit der Fachberatungsstelle "Zartbitter". Bei einem persönlichen Treffen hat sie Sport inside erlaubt, daraus zu zitieren.

Jugendliche wehren sich - DLRG zunächst nicht erreichbar

Sexualisierte Gewalt beginnt oft mit solchen verbalen Grenzverletzungen. Langsames Annähern, testen, ob der oder die Betroffene sich wehrt und wenn nicht, immer mehr versuchen. Eine gängige Täterstrategie, wie viele Studien belegen. Auch in Interviews berichten Betroffene immer wieder von ähnlichem Vorgehen der Täter. Eine so gezielt geschaffene sexualisierte Atmosphäre wird irgendwann als "normal" empfunden.

Nicht so im Sommer 2022 in Spanien. Es passiert etwas Außergewöhnliches: Die Jugendlichen sprechen miteinander über das Verhalten des Betreuers, notieren alle Vorfälle und wehren sich alle gemeinsam gegen die Situation. So etwas hat selbst Ursula Enders in ihrer jahrzehntelangen Arbeit noch nicht erlebt, "dass Jugendliche in so einer Geschwindigkeit die Fakten zusammengetragen und aufgeschrieben haben, zu einer gemeinsamen Bewertung gekommen sind und es dann öffentlich gemacht haben."

Schnell wird klar: Alle wollen nach Hause. Sie informieren ihre Eltern. Die versuchen vergeblich jemanden von der DLRG zu erreichen: "Es gab nur Festnetznummern  und wir hatten Sonntag. Wer geht sonntags an eine Festnetznummer, die in irgendeinem Vereinshaus steht?", berichtet uns der Vater einer Teilnehmerin. Also schreibt er eine Mail an Bundes- und Landesverband, kündigt an, sollte die DLRG nicht umgehend Kontakt aufnehmen, werde er nach Spanien fahren und die Polizei einschalten.

Ferienhaus-Vermieter alarmiert Polizei

Auf diese E-Mail meldete sich Ute Vogt, Präsidentin des DLRG-Bundesverbandes, mit der Info, der Beschuldigte habe die Anweisung, unverzüglich zu packen und zurückzufahren. Die ganze Gruppe werde am nächsten Tag mit dem Zug nach Deutschland reisen. Entgegen seiner Zusagen gegenüber der DLRG-Präsidentin, hält sich der beschuldigte Betreuer jedoch weiterhin bei der Gruppe auf.

Schließlich erreichen die Eltern den Vermieter des spanischen Ferienhauses - der ruft die Polizei. Der Betreuer wird vorübergehend verhaftet. Die Kinder machen Aussagen zu den Vorgängen, zum Teil sogar auf dem Revier. Nachdem mehrere Möglichkeiten der Heimreise nicht funktionieren, organisieren die Eltern nach eigenen Angaben die Rückreise in einem Bus.

Dazu schreibt DLRG-Präsidentin Ute Vogt auf Anfrage, sie habe bezüglich der Rückreise im Bus "sofort mit dem Ansprechpartner, einem Reisekoordinator, Kontakt aufgenommen. Ebenso stand ich dann in Kontakt mit dem durchführenden Reisebüro und habe zugesagt, dass wir die Kosten der Rückreise übernehmen werden. Daraufhin wurde mir wiederum zugesagt, dass die Rückreise klargeht."

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Sportschau, 23.09.2022 11:22 Uhr

DLRG will offenbar Öffentlichkeit vermeiden

Bei der Ankunft des Busses in Köln sind Ursula Enders und Philipp Büscher vom Verein "Zartbitter" vor Ort. Die DLRG hatte die Fachberatungsstelle gegen sexuellen Missbrauch von Mädchen und Jungen um Unterstützung gebeten. Auch vom DLRG-Landesverband sind Personen anwesend.

Ein Vater beschreibt die Situation so: "Als die Kinder frisch aus dem Bus ausstiegen, in dieser Situation war das Erste, was dieser Mensch von der DLRG gesagt hat 'Gehen Sie bloß nicht an die Presse, das ist das Schlechteste, was Sie machen können'. Damit wurden wir begrüßt. Hat nicht funktioniert."

Schon vorher zwei Beschwerden über den Betreuer

Eltern und Kinder erklären in Gesprächen mit Sport inside, Deutschlandfunk und Süddeutscher Zeitung übereinstimmend, sie möchten ihre Erfahrungen auf der Ferienfreizeit der Öffentlichkeit mitteilen, um ähnliche Vorfälle in Zukunft zu verhindern. Auch weil bekannt wird: Es hat bereits in den Jahren zuvor zwei Beschwerden über grenzüberschreitendes, sexualisiertes Verhalten des Betreuers gegeben.

In einem Fall gab es laut DLRG ein Gespräch der Bezirksleiterin mit dem Betreuer. "Außerdem wurde zurückgemeldet, dass man weiterhin 'ein Auge' auf die Situation habe", schreibt der Präsident des Landesverbandes Nordrhein auf Anfrage. Im zweiten Fall habe die Informantin um Vertraulichkeit gebeten. Dem entsprechend wurden "Funktionsträger im Landesverband, im Bezirk oder der Ortsgruppe nicht informiert." So konnte der Betreuer weiterhin unter dem Dach der DLRG mit Kindern und Jugendlichen arbeiten.

Zartbitter: "Sollen Image der DLRG aufwerten"

"Zartbitter" betreut die Kinder und auch die Eltern seit der Rückkehr. Die Vorkommnisse in Spanien haben Spuren hinterlassen: Eine der älteren Betroffenen schildert gegenüber "Zartbitter", gerade in den ersten Tagen nach der Ankunft sei sie stark belastet gewesen: "Ich hatte den Drang, mich permanent zu waschen und zu desinfizieren."

Die DLRG habe sich "bis heute nicht erkundigt", wie es den Teilnehmenden der Fahrt und ihren Eltern gehe, berichtet Ursula Enders: "Ich habe den Eindruck, wir sind gerufen worden, um das Image der DLRG aufzuwerten, nach dem Motto 'Wir kooperieren'. Aber inhaltlich hat die DLRG überhaupt nicht kooperiert und sie hat die gesamte Zusammenarbeit immer nur genutzt, um es zu ihrem Vorteil zu drehen und ist auf die Bedürfnisse und Anliegen der Kinder und Eltern nicht eingegangen."

DLRG will Prävention stärken

Es scheint aber, als habe die Deutsche Lebensrettungsgesellschaft aus den Vorgängen während der Ferienfreizeit der Kölner Ortsgruppe gelernt: Auf der Internetseite des DLRG-Bundesverbandes gibt es mittlerweile eine Rufnummer für Notfälle. In Zukunft soll es unter anderem verbindlichere Vorgaben für Ferienfreizeiten geben, weitere Präventionsschulungen, mehr Ansprechpersonen.

Das Thema Prävention sexualisierter Gewalt solle in den Ortsgruppen stärker verankert werden, schreiben Bundes- und Landesverband auf unsere Anfrage. Die Verantwortlichen der betroffenen Kölner Ortsgruppe sind nicht mehr im Amt. Gegen den Betreuer wurde Anzeige erstattet. Eine Gelegenheit zur Stellungnahme ließ dieser ohne Antwort verstreichen. Die Ermittlungen laufen.

Eines aber fehlt: Eine ganz persönliche Entschuldigung bei jedem und jeder einzelnen Betroffenen. Solange das nicht geschehe "erkennt die DLRG das, was wir geleistet haben, nicht an", sagt eine Teilnehmerin.

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