
Fehlende Sportförderung Versetzung gefährdet? Schulsport vor dem Kollaps
Marode Sportstätten und Personalmangel bedrohen den Schulsport in Deutschland. Ab 2026/27 soll dieser eine zentrale Rolle im Ganztagsangebot spielen, doch viele Schulen stehen vor unlösbaren Herausforderungen. Schülern drohen gravierende Einschnitte.
Dienstagmorgen in der Lessing-Grundschule in Ingolstadt, Sportunterricht. Die Kinder rennen jedoch nicht durch die Turnhalle oder spielen Fußball, sondern machen Yoga in einem Klassenzimmer. Die Turnhalle ist marode, erklärt der stellvertretende Schulleiter Ingo Geppert: "Den Kindern fehlt einfach in unseren Arbeitsgemeinschaften die Bewegung. Ganz persönlich muss ich sagen: Das ist dramatisch."
Marode Sportstätten und Fachkräftemangel
Seit Weihnachten sind die Turnhalle und das Schwimmbad geschlossen, das Dach ist einsturzgefährdet. Eine Sanierung ist laut Stadt "wirtschaftlich nicht sinnvoll". Deshalb machen die Grundschüler hier Sport im Klassenzimmer. Wenn das Wetter gut ist, können sie auf den geteerten Pausenhof, um Fußball zu spielen.
Die Stadt Ingolstadt schlägt der Schule eine Übergangslösung vor: Mit dem Bus in eine andere Turnhalle oder ins Schwimmbad zu fahren. Vom Sportunterricht würde dann nicht mehr viel übrig bleiben.
Busfahrt statt Schwimmunterricht
"Mit Ein- und Ausstieg, mit der Busfahrt an sich, mit dem Anziehen und wenn dann noch jemand was vergessen hat oder nochmal auf Toilette muss und sich das Ganze noch verschiebt, wäre ich bei den Kleinen wahrscheinlich bei 20 Minuten und, wenn es außerordentlich gut läuft, bei den Großen bei knapp einer halben Stunde Wasserzeit", rechnet Ingo Geppert vor.
Statistik: Jede dritte Kommune muss Sportangebot reduzieren
Die Schulsportstätten in Deutschland sind in einem alarmierenden Zustand. Daten des Deutschen Instituts für Urbanistik (Difu) im Auftrag der Kreditanstalt für Wiederaufbau zeigen: Jede dritte Kommune muss ihr Sportangebot in den nächsten Jahren reduzieren. Knapp 60 Prozent halten den Investitionsrückstand bei Sportstätten für gravierend.
Ganztagsbetreuung ab 2026/27: eine Herausforderung für den Sport
Schon jetzt ist der Schulsport für viele Kinder keine Selbstverständlichkeit; und für Eltern und Lehrer stellt sich die Frage: Wie soll das ab dem Schuljahr 2026/27 funktionieren? Denn ab dann haben alle Grundschüler in Deutschland Anspruch auf eine Betreuung von 8.00 bis 16.00 Uhr. Auch in den Ferien.
Der Sport soll eine zentrale Rolle spielen beim Ganztag, mit mehr Angeboten am Nachmittag. Darauf hoffen Lehrer wie Jana König, Sportlehrerin an der Cameloher Grundschule in Ismaning: "Dadurch, dass die Kinder mehr Zeit in der Schule verbringen und auch mehr Werkstätten und Arbeitsgemeinschaften angeboten werden können, wäre es optimal, wenn sich diese AG auch auf den Sportbereich beziehen, aber das ist das große Problem, dass viele Schulen das nicht gewährleisten können, das liegt daran, dass wir leider den großen Personalmangel haben."
Rund 100.000 Sport-Fachkräfte werden in Deutschland fehlen
Der Personalmangel wird durch den Ganztag noch einmal verstärkt. Experten gehen von 100.000 Fachkräften in Deutschland aus, die fehlen werden. In Bayern sagt beispielsweise Kultusministerin Anna Stolz (Freie Wähler): "Man muss ganz klar sagen, wir haben einen Lehrkräftemangel in Bayern und in ganz Deutschland."
In Thüringen fallen wöchentlich rund 2.500 Sportstunden aus
Weil es jetzt schon zu wenige Fachkräfte gibt, fällt Sport aus. Konkrete Zahlen dazu, wie viel Sportunterricht ausfällt, gibt es nur aus Nordrhein-Westfalen und Thüringen. Im vergangenen Schuljahr sind in Thüringen in einer Woche durchschnittlich 2.500 Sportstunden ausgefallen, das ergibt eine Erhebung des Bildungsministeriums. Die Hauptgründe: fehlendes Personal und Erkrankung von Sportlehrern.
Fast niemand weiß, wieviel Sport ausfällt
Schleswig-Holstein, Bremen und Hamburg haben die Anfrage nicht beantwortet. Die restlichen Bundesländer erheben die Daten nicht. Auf Anfrage schreibt beispielsweise das bayerische Kultus-Ministerium: "Im Rahmen der Erhebung zum Unterrichtsausfall erfolgt keine Differenzierung nach dem Unterrichtsfach. Daher liegen uns keine Daten zum Unterrichtsausfall im Fach Sport vor."
Vertreter aus der Praxis wie Sportwissenschaftlerin Susanne Tittlbach kritisieren das: "Das ist natürlich wirklich ein Qualitätsmanko, wenn wir das gar nicht aus den Schulen und aus den Ministerien wissen, weil allein so ein Monitoring wäre wichtig, um zu wissen: Wie ist der Stand?"
Kooperationen mit Vereinen: ein Weg aus der Krise?
Dass schon heute Schulen nicht so viel Sport anbieten können wie sie wollen, zeigt die Cameloher Grundschule in Ismaning bei München. Sie würde gerne am Nachmittag mehr Sport-AG für die Kinder anbieten, aber sie findet kein Personal, erläutert Sportlehrerin Jana König: "Wir haben von den Übungsleitern leider nicht genügend, die uns hier unterstützen können. Wir als Lehrkräften auch nicht, meine Stunden zum Beispiel sind voll, ich kann am Nachmittag keine Werkstatt mehr anbieten, weil da im Moment der Grundunterricht wichtiger ist."
Kernproblem: Know-How und Geld fehlen
Einmal die Woche kommt der örtliche Fußballverein mit einem Übungsleiter. Mehr Kooperationspartner finden sie nicht. Dabei soll die Zusammenarbeit mit den Vereinen ein zentraler Baustein für den Sportunterricht im Ganztag sein, betont Kultusministerin Stolz: "Da gibt’s den offenen Ganztag, den gebundenen Ganztag, es gibt Mittagsbetreuung und da werden wir unterschiedlichste Träger und auch Vereine mit einbinden."
Aber: Stand jetzt kooperieren nur ungefähr zehn Prozent der Sportvereine in Bayern mit Schulen, das zeigt eine Studie der Uni Würzburg. Die Studie zeigt auch: Viele Vereine wissen nicht, wie die Kooperationen funktionieren – und haben die Mittel nicht.
BLSV warnt: Ehrenamt allein reicht nicht aus
Auch hier fehlen Personal - und Geld, sagt Michael Weiß, der Vorsitzende der Bayerischen Sportjugend im BLSV: "Die Bezahlung ist ein entscheidendes Kriterium. Es ist ein berufliches Standbein, das ehrenamtlich nicht leistbar ist, und ich glaube, das sehen wir an vielen Stellen - unsere Vereine sind überwiegend ehrenamtlich geprägt. Aber zu gewissen Tageszeiten und für gewisse Aufgaben wird das Ehrenamt allein nicht ausreichen."
"Wir haben natürlich für den Ganztag auch Gelder im Haushalt bereitgestellt, wir werden die Gelder natürlich auch weiter erhöhen, wenn das Angebot auch aufwächst. Wir haben schon im letzten Haushalt deutliche Verbesserungen bei der Finanzierung der Ganztagsangebote inklusive auch Mittagsbetreuung machen können", betont Kultusministerin Stolz.
Wer sorgt für die Ausbildung der Übungsleiter?
Den Vereinen ist das noch zu vage. Unklar auch: die Ausbildung der Übungsleiter. Die ist sehr wichtig, damit die Kinder Spaß am Sport haben, erklärt Sportwissenschaftlerin Susanne Tittlbach: "Das passiert leider sehr, sehr oft, dass Menschen sagen: 'Gott sein Dank ist der Sportunterricht vorbei, dann muss ich keinen Sport mehr treiben, weil ich das so furchtbar fand.'"
Kinder qualifiziert zum Sport zu motivieren, damit die Leidenschaft wächst und bis zum Lebensende bleibt - das ist der Anspruch: Die Realität sieht aber oft anders aus, sagt Jana König.
"Zum Beispiel beim Turnen, Reck aufbauen: Wie baut man ein Reck auf, wie sind die Sicherheits- und Helfergriffe und wenn man sich das nicht zutraut, macht man es nicht. Das geht dann wieder an den Kindern verloren, sie können diese Erfahrungen nicht mitnehmen." Denn am Ende sind schon heute sie die Leidtragenden, die Schülerinnen und Schüler.