Die französischen Fußballspielerinnen bejubeln ein Tor bei der EM.
analyse

Fazit nach erstem EM-Spieltag Fast alle Titel-Favoritinnen überzeugen bisher

Stand: 11.07.2022 14:43 Uhr

Frankreich und Deutschland haben am ersten Spieltag Fans und Experten begeistert. Mit den englischen Gastgeberinnen, Titelverteidiger Niederlande, Spanien und Schweden ist ebenfalls weiter zu rechnen. Ein Rückblick auf die ersten EM-Partien - und ein Ausblick auf den weiteren Turnierverlauf.

16 Teams sind bei der Fußball-Europameisterschaft in England dabei - und sechs davon wurden vor Turnierbeginn zum Kreise der Favoritinnen gezählt. Vier davon lösten ihre Auftaktaufgaben siegreich - aber nicht alle überzeugten dabei restlos. Mit den Niederlanden und Schweden trafen zum Auftakt zwei Topteams direkt aufeinander. Dass diese Partie unentschieden endete, ist keine Überraschung. Wer also hat - Stand jetzt - das Zeug zum Titelgewinn?

Frankreich spielt gegen Italien ganz groß auf

Rufen die Französinnen auch in den nächsten Partien ihre dominante und beeindruckende Leistung aus den ersten 45 Minuten gegen Italien ab, dann dürfte der erstmalige Titelgewinn greifbar sein. Bisher kamen "Les Bleues" bei einer Europameisterschaft aber nie weiter als bis ins Viertelfinale.

Trainerin Corinne Diacre hat in ihrem Kader starke Individualistinnen auf Weltklasse-Niveau versammelt, die in Gruppe D beim 5:1 gegen Italien als Team rundum überzeugten. Hinten ist Innenverteidigerin und Kapitänin Wendie Renard der Ruhepol und eine Bank, vorne sorgen Marie-Antoinette Katoto und die "Dreierpack"-Schützin Grace Geyoro - unterstützt von einer starken Flügelzange - für Unruhe in der gegnerischen Abwehr.

Die nächsten Spiele: Frankreich - Belgien (14.07.22 / 21 Uhr MESZ / live im Ersten und auf sportschau.de) / Island - Frankreich (18.07.22 / 21 Uhr MESZ)

Deutschland schon mit vier Ausrufezeichen

Vor dem ersten EM-Spiel in Gruppe B gegen die Däninnen war die Ungewissheit im DFB-Lager groß, zu groß war die Enttäuschung nach dem Viertelfinal-Aus bei der EM 2017 und der WM 2019. Trainerin Martina Voss-Tecklenburg und Co. wussten nicht, wo sie im europäischen Vergleich leistungsmäßig stehen. 90 Minuten und vier Tore später ist klar: Mit den deutschen Nationalspielerinnen ist zu rechnen.

Mit einer Mischung aus erfahrenen und jungen Spielerinnen, mit aggressivem Pressingfußball und spielerischer Klasse hatte die DFB-Elf den EM-Finalisten von 2017 komplett unter Kontrolle. Die Leistung gab viel Selbstvertrauen. Das Motto gab Bundestrainerin Voss-Tecklenburg vor: "Uns muss erst einmal einer schlagen." Eine genauere Standortbestimmung wird aber erst nach dem zweiten Gruppenspiel gegen die hochgehandelten Spanierinnen möglich sein.

Die nächsten Spiele: Deutschland - Spanien (12.07.22 / 21 Uhr MESZ / live im Ersten und auf sportschau.de) / Finnland - Deutschland (16.07.22 / 21 Uhr MESZ)

England muss vor allem mit dem Druck klarkommen

"Football is coming home" - im Mutterland des Fußballs richten die Engländerinnen eine Europameisterschaft der Superlative aus: mit fast 70.000 Fans beim Eröffnungsspiel in Manchester und dem großen Finale in Wembley am 31. Juli. Die Rahmenbedingungen sind toll, sie setzen die Gastgeberinnen aber auch stark unter Druck.

Die "Lionesses" haben noch nie einen EM-Titel gewonnen - und wollen das nun mit aller Macht ändern. Im Auftaktspiel gegen Österreich (1:0) wusste das Team von Nationaltrainerin Sarina Wiegman noch nicht durchgehend zu überzeugen, aber am Ende zählten hier nur die ersten drei Punkte.

Die englischen Fußballerinnen bejubeln einen Treffer.

Weitere Siege in der Vorrunde könnten England den nötigen Push für die "Mission Titelgewinn" geben.

In den weiteren Vorrundenspielen der Gruppe A müssen sich die Engländerinnen nun mit stärkeren Leistungen aber das Selbstvertrauen holen, das sie brauchen werden, um in den engen K.o.-Spielen gegen die anderen Titel-Favoritinnen zu bestehen.

Die nächsten Spiele: England - Norwegen (11.07.22 / 21 Uhr MESZ) / Nordirland - England (15.07.22 / 21 Uhr MESZ / live im Ersten und auf sportschau.de)

Niederlande mit einem Punkt und vielen Hiobsbotschaften

Die Europameisterinnen von 2017 und Vize-Weltmeisterinnen von 2019 aus den Niederlanden gehören automatisch zum Kreis der Mitfavoriten auf den erneuten kontinentalen Titelgewinn. Doch der wird kein Selbstläufer - das machten schon die ersten 90 Minuten in Gruppe C deutlich, als nach ausgeglichenem Spiel gegen Schweden "nur" ein 1:1 raussprang.

Doch diese Partie hat auch einen Vorteil geboten im Vergleich zu den anderen Titel-Aspiranten: Anders als etwa Spanien oder England, haben die Niederländerinnen gegen den Olympia- und Weltranglistenzweiten bereits eine echte Bewährungsprobe bestanden.

Nun aber wird es - obwohl die beiden nächsten Vorrundengegner zumindest leichter zu besiegen sein dürften - kompliziert: Für Stammtorhüterin Sari van Veenendaal ist die EM wegen einer Schulterverletzung bereits beendet, Innenverteidigerin Aniek Nouwen laboriert an einer Knöchelblessur und Mittelfeldspielerin Jackie Groenen ist wegen eines positiven Corona-Tests zurzeit nicht einsatzfähig.

Nationaltrainer Mark Parsons muss also improvisieren und bereits früh die ganze Breite seines Kaders nutzen. Ob das ein Nachteil für die "Oranje Leuwinnen" auf dem Weg zur Titelverteidigung wird? Abwarten!

Die nächsten Spiele: Niederlande - Portugal (13.07.22 / 21 Uhr MESZ) / Schweiz - Niederlande (17.07.22 / 18 Uhr MESZ)

Spanierinnen haben noch viel Luft nach oben

Die Spanierinnen verbuchten nach Frankreich (5:1 gegen Italien) und Deutschland (4:0 gegen Dänemark) mit dem 4:1 gegen Finnland am ersten Spieltag den dritthöchsten eg. Doch so viel Beifall wie "Les Bleues" und das DFB-Team bekamen die Iberinnen für ihren Erfolg nicht. Gegen die auf Platz 29 der Weltrangliste notierten Nordeuropäerinnen taten sich die in der EM-Qualifikation so treffsicheren Spanierinnen lange sehr, sehr schwer. Dass sie in der Schlussphase dennoch einen standesgemäßen Sieg herausschossen, spricht aber für das Team von Jorge Villa.

Der Nationaltrainer hat das Problem, dass er kurzfristig die verletzte Weltfußballerin Alexia Putellas (Kreuzbandriss) in seiner Mannschaft ersetzen muss - wenn das denn überhaupt geht. Der Verlust der offensiven Mittelfeldakteurin vom FC Barcelona und auch das Fehlern von Rekordtorschützin Jennifer Hermoso muss im Teamverbund aufgefangen werden. Im weiteren Turnierverlauf könnte sich das negativ bemerkbar machen.

Spaniens Nationalspielerin Irene Paredes (4.v.l.) trifft per Kopf gegen Finnland.

Irene Paredes (M.) und ihre Teamkolleginnen müssen den Ausfall von Alexia Putellas auffangen.

Die nächsten Spiele: Deutschland - Spanien (12.07.22 / 21 Uhr MESZ / Live im Ersten und auf sportschau.de) / Dänemark - Spanien (16.07.22 / 21 Uhr MESZ)

Schweden kommt die Rolle "unter dem Radar" ganz gelegen

Schwedens Coach Peter Gerhardsson, der mit seiner Mannschaft seit zwei Jahren keine Partie mehr verloren hat, war nach dem Auftaktspiel gegen die Niederlande (1:1) etwas unzufrieden: Trotz zwischenzeitlicher Führung reichte es nicht zum erhofften Sieg. Doch allzu lange sollte sich die "Damlandslaget" darüber nicht ärgern. Denn die Schwedinnen starteten immerhin mit einem Punktgewinn gegen die Titelverteidigerinnen ins Turnier.

Nach Olympia-Silber im vergangenen Jahr in Tokio und dem dritten Platz bei der WM 2019, käme der EM-Titelgewinn - es wäre der zweite nach 1984 - den Nordeuropäerinnen natürlich wie gerufen. Dafür allerdings muss alles passen. Vor allem müssen neben den Topstars wie Stina Blackstenius oder Fridolina Rolfö auch die erfahrenen Spielerinnen wie Kapitänin Caroline Seger oder Kosovare Asllani Topleistungen abrufen.

Zum Auftakt gelang das noch nicht. Ein großes Manko für die Schwedinnen könnte das Tableau werden: Landen sie in Gruppe C auf Rang zwei, würde es im Viertelfinale höchstwahrscheinlich gegen Frankreich gehen. Stand jetzt wäre das eine wohl unüberwindliche Hürde, aber die Außenseiter-Rolle kam im Fußball ja schon anderen Teams gelegen ...

Die nächsten Spiele: Schweden - Schweiz (13.07.22 / 18 Uhr MESZ) / Schweden - Portugal (17.07.22 / 18 Uhr MESZ)

Dieses Thema im Programm: Das Erste | Sportschau | 09.07.2022 | 17:45 Uhr