Fußball | Bundesliga Bundesliga - Die Stressgefahr der Macher

Stand: 24.02.2022 08:17 Uhr

Max Eberl hat die Reißleine gezogen, Jörg Schmadtke folgt ihm bald. Bundesliga-Manager klagen zunehmend über Stresssymptome, weil ihr Alltag immer hektischer geworden ist. Abschalten kann eigentlich niemand mehr. Die Gefahr eines Burnouts wächst.

Roland Virkus hat schnell gemerkt, wie unangenehm die Aufgabe als Krisenmanager eines Fußball-Bundesligisten sein kann. Kaum als Sportdirektor zum Nachfolger des zurückgetretenen Max Eberl befördert, musste der 55-Jährige nach der 0:6-Pleite bei Borussia Dortmund - nicht dem ersten Offenbarungseid unter Eberls Wunschtrainer Adi Hütter - erklären, warum der österreichische Fußballlehrer weiterhin jede Rückendeckung verdient hat.

Für Virkus, der über drei Jahrzehnte lang im Jugendbereich gearbeitet hatte, war es neu, vor laufender Kamera Rede und Antwort zu stehen. Zur Frage, ob die Gladbacher Profis auch Abstiegskampf können, versicherte der ehemalige Nachwuchsboss: "Ich sage: Ja". Sein Vorgänger hat allerdings Nein gesagt. Zu seinem ganzen Jobprofil.

Auch Jörg Schmadtke will raus aus dem Hamsterrad - wie Max Eberl

Eberls ehrliches Geständnis, dass es jetzt einmal um den Menschen gehen müsse, weil dieser einfach keine Kraft mehr habe, hat innerhalb der Branche viel Widerhall gefunden. Und es ist kein Zufall, dass auch Jörg Schmadtke nicht mehr mitmischen möchte: Der Geschäftsführer des VfL Wolfsburg ließ am vergangenen Freitag (18.02.2022) zwar mitteilen, dass er seinen Vertrag bis zum 31. Januar 2023 verlängert, aber in Wahrheit ist es ein Rückzug auf Raten.

In sieben Monaten ist Schluss: Auch Schmadtke, mit Eberl seit vielen Jahren gut befreundet, will nicht mehr im Hamsterrad stecken. Er fühlt sich aber verpflichtet, das eine oder andere in Angriff genommene Projekt "nun noch ein Stück weit zu begleiten". Ansonsten will er den Staffelstab an den einst von ihm selbst installierten Sportdirektor Marcel Schäfer weiterreichen.

Die Liga verliert prägende Figuren

Mit Eberl, 48, und Schmadtke, 57, verliert die Liga zwei prägende, vor allem verlässliche Gesichter. Hoch angesehen unter Kollegen wie dem bestens vernetzten Fredi Bobic von Hertha BSC. Der Berliner Sport-Geschäftsführer machte sich in seiner Zeit bei Eintracht Frankfurt als Workaholic einen Namen, ging früh morgens um sechs Uhr auf die Laufstrecke am Mainufer, um sich Bewegung zu verschaffen. Denn bis weit in den Abend war der Terminkalender meist voll.

Viele Sportdirektoren und Geschäftsführer, Macher und Entscheider fanden sich in Eberls Zustandsbeschreibungen über einen aufreibenden Alltag ohne Atempause wieder - und stimmten seiner Kritik an den Alltagsmechanismen vorbehaltlos zu. Der tägliche Medienhype, die sich ständig wechselnde Nachrichtenlage, aber auch die vielen Gerüchte und Falschmeldungen, oft von interessierter (Berater-)Seite bewusst gesteuert, sind zwar Teil des Jobs (und befördern zudem immer mehr Geld in den Kreislauf), sie zehren aber auch an den Nerven.

Die ständige Erreichbarkeit nervt

Hinzu kommt: Von kaum einer anderen Gilde wird so selbstverständlich eine ständige Erreichbarkeit eingefordert, ja vorausgesetzt wie von ihnen. Trainer dürfen zumindest am Sonntag nach dem Auslaufen mal ein- oder anderthalb Tage bis zum nächsten Training das Handy abschalten. Spieler sowieso. Aber Manager nie. "Es gibt viele, die haben nie einen einzigen Tag Urlaub gemacht, ohne den halben Tag am Handy zu verbringen", heißt es.

Dass sich im vergangenen Jahrzehnt der Umsatz im Profifußball fast verdoppelt, die Bedeutung der sozialen Netzwerke vervielfacht hat, hat auch den Managern in finanzieller Hinsicht nicht geschadet, aber es kostet sie Lebensqualität. Und irgendwann kommt der Punkt, da ist auch das beste Gehalt kein Schmerzensgeld dafür, gar nicht mehr abschalten zu können.

Auch Felix Magath hat Alarm geschlagen

Wie sehr dieser Job eine einzelne Person vereinnahmt, hat Felix Magath in einem Interview mit dem Fachmagazin "Kicker" durchblicken lassen. Der Meistermacher vom FC Bayern und VfL Wolfsburg, der zeitweise wie ein unangreifbarer Feldherr als Manager und Trainer beim VfL Wolfsburg und später auch beim FC Schalke 04 alle Zügel in der Hand hielt, hat erstmals darüber gesprochen, der Belastung nicht mehr standzuhalten. "Nach meiner Zeit auf Schalke 2011 hatte ich eindeutig Symptome und stand kurz vor einem Burnout", sagte Magath.

"Ein Jahr lang hatte ich mich dort trotz großer Erfolge wie Bundesliga-Platz zwei ständig gegen Kritik wehren müssen. Das hat mich kaputt gemacht." Er habe dann intensive Gespräche mit einem Professor in Tutzing an der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik geführt, die ihm geholfen hätten. "Dass Eberl ziemlich am Ende war, kann ich deshalb nachvollziehen", erklärte der 68-Jährige: "Alles ist öffentlich. Du wirst nicht geschützt, sondern als Freiwild missbraucht."

Mehr Geld, mehr Mitarbeiter, mehr Verantwortung

Mal abgesehen davon, dass Magath weder seine Spieler noch seine Mitstreiter mit Samthandschuhen angefasst hat, muss sein Mitgefühl für den Mönchengladbacher Baumeister hellhörig machen. Eigentlich ist es bei näherer Betrachtung auch erstaunlich, dass auf dieser Position so selten über die Gefahr eines Burnouts, den beispielsweise auch Ralf Rangnick als in alle Bereiche einwirkender Cheftrainer des FC Schalke 04 erlitt, gesprochen wird.

Weil es dann in den vielen Verhandlungen, die Manager zwangsläufig führen müssen, als Zeichen von Schwäche ausgelegt wird? Oder weil sie diesen Druck einfach wegdrücken müssen? Aus der Bundesliga ist zu hören, dass noch eine weitere Entwicklung die Stressgefahr gesteigert hat: Die Mitarbeiterstäbe nicht nur rund um die Mannschaft, sondern auch auf der Geschäftsstelle sind immer größer geworden.

Mehr Menschen, mehr Probleme. "Und immer weniger Leute trauen sich, Entscheidungen zu treffen. Letztlich stehen Sie dann bei mir im Büro", sagt ein Sportdirektor. Hinter den Kulissen wird angeregt, ob sich die Manager nicht nach der Transferperiode im Sommer ab 1. September wenigstens eine kurze Zeitspanne gönnen, an der alle mal in Urlaub fahren und wirklich abschalten. Eine Art Gentleman's Agreement auch als Selbstschutz.

Karl-Heinz Rummenigge genießt die Freiheit

Karl-Heinz Rummenigge, langjähriger Vorstandschef beim FC Bayern, der sein Vorstandsbüro geräumt hat, erzählte kürzlich, dass sein Leben, kaum verwunderlich, weniger aufregend, stressfreier sei. "Als ich aufgehört habe Mitte letzten Jahres, bin ich für acht Wochen auf meine Lieblingsinsel Sylt gegangen, um möglichen Entzugserscheinungen entgegenzuwirken." Denn an den Schalthebeln der Macht zu sitzen, sich im Rampenlicht bei Erfolgen zu sonnen, das kann auch süchtig machen.

So wie Heribert Bruchhagen, der nach seinem Ausstieg bei Eintracht Frankfurt im Sommer 2016, kein halbes Jahr später bereits der Verlockung erlag, sich beim Hamburger SV zum Vorstandschef ernennen zu lassen. Der Ostwestfale zahlte dafür einen hohen Preis, steuerte auf den ersten Bundesliga-Abstieg der Geschichte zu, als sich der HSV im Frühjahr 2018 von ihm trennte.

Seitdem hat Bruchhagen keine operative Funktion mehr angenommen. Mit inzwischen 73 Jahren hat er offenbar eingesehen, dass es sich auch im Ruhestand gut leben lässt. Den Krisenmanager sollen andere spielen.