Ein Gamer aus der Gamescom 2024 in Köln | Bild: IMAGO/NurPhoto

Gemeinnützigkeit als Schlüssel Wie von Berlin aus der eSport in Deutschland revolutioniert werden soll

Stand: 08.03.2025 10:51 Uhr

Seit Jahren wollen eSport-Akteure gemeinnützig werden. Die Folge wären klassische Vereinsstrukturen, ehrenamtliche Trainer und staatliche Förderungen. Nun sorgt auch die Berliner Politik für neue Hoffnung auf eine künftige eSport-Hauptstadt.

Es war eine ganz und gar analoge Gesprächsgruppe, die sich am vergangenen Freitag im Raum 311 des Berliner Abgeordnetenhauses versammelte. Rund zwei Dutzend Männer und Frauen, einige mit Laptops vor sich, andere mit Stift und Notizbuch. Die 47. Sitzung des Berliner Sportausschusses hatte die Mitglieder der unterschiedlichen politischen Parteien zusammengebracht. Das dominante und digitale Thema auf ihrer Tagesordnung: eSport.

Die Baller League in Berlin Tempelhof (picture alliance/Bahho Kara)
Fußball als Nebensache
Das Hallenfußball-Event "Baller League" ist nach Berlin gezogen und hat im alten Flughafen Tempelhof seinen ersten Spieltag erlebt. Wie sich das vor Ort anfühlt und warum nicht jedes Versprechen der Macher aufgeht. Von Ilja Behnischmehr

10 Milliarden Euro Umsatz im deutschen Gaming Markt

Das Abtauchen in virtuelle Welten, Geschick an Maus, Tastatur und Konsolen, Wettkämpfe in Fortnite und Counter Strike, Livestreams auf Twitch – all das verbindet man eher mit Jugendlichen und jungen Erwachsen als mit Politikern. Sie waren in den vergangenen Jahren die treibende Kraft hinter dem weltweiten Aufstieg von eSport und Gaming. Der wiederum hat dafür gesorgt, dass der eSport mittlerweile aber eben auch auf den Tischen der Politik liegt. Die Kernfragen am vergangenen Freitag: Wie gelingt es, den eSport möglichst bald gemeinnützig zu machen? Und: Hat Berlin dauerhaft das Potenzial zur eSport-Hauptstadt Europas?
 
Zumindest die erste dieser Fragen beschäftigt sowohl die Politik als auch die verschiedensten eSport-Akteure in Deutschland seit Langem. Der eSport-Bund Deutschland (ESBD), Profiteams wie Berlin International Gaming (BIG), klassische Sportvereine mit einem Interesse an einer Gaming-Sparte – sie alle sind zuletzt in Umfang und Anzahl rasant gewachsen. Inklusive Spiele-Entwicklern, Hardware-Herstellern und Co. verzeichnete der deutsche Gaming Markt alleine im Jahr 2023 einen Umsatz von knapp zehn Milliarden Euro.
 
Nun ist eSport nur ein Teil der Gaming-Branche, allerdings einer, der längst mitten in der Gesellschaft und der Lebensrealität vieler junger Menschen angekommen ist. Das Internationale Olympische Komitee (IOC) hat für das Jahr 2027 gar die ersten "Olympischen eSport-Spiele" angekündigt. "Wenn wir uns da nicht blamieren wollen, muss die Regierung das Thema eSport ernst nehmen", mahnt Daniel Finkler. Er ist der Geschäftsführer von Berlin International Gaming, eines der erfolgreichsten eSport- in Deutschland, das als Paradebeispiel für die Strukturen im Gaming-Bereich hierzulande dient.

Zweimal stand die Gemeinnützigkeit zuletzt im Koalitionsvertrag, auch in der Ampelregierung. Es gab schon Entwürfe und die ersten Änderungen daran, dann ist die Ampel zerbrochen.

Gemeinnützigkeit ist der Schlüssel für mehr

"Wir sind so etwas wie der FC Bayern des eSports", sagt Finkler mit einem Lachen, "im klassischen Sinne ein internationaler Profi-Sport-Klub." Das Berliner Unternehmen bedient mittlerweile nahezu die gesamte Bandbreite des eSports: Profiteams für verschiedene Spiele, ein neues Trainingszentrum für sie und externe Kollegen, vollausgestattete Räumlichkeiten für hauseigene Streamer, eine lange Liste von Sponsoren. Nur eines fehlt gefühlt: Ein breit angelegtes Nachwuchsprogramm. Aber BIG ist schließlich auch ein Unternehmen und kein Verein.
 
Allgemein sind eSport-Vereine in Deutschland noch immer sehr selten. Hintergrund ist die fehlende Gemeinnützigkeit. Die ist hierzulande ein Schlüssel, der Vereinen viele Türen öffnet: die Möglichkeit, ehrenamtliche Trainer (steuerfrei) zu beschäftigen, leichterer Zugang zu öffentlichen Räumlichkeiten (bspw. Sporthallen und städtische Veranstaltungsstätten) und allen voran auch staatlichen Förderungen. "Wir sind seit vielen Jahren mit der Politik dabei, die Gemeinnützigkeit umzusetzen", sagt Christopher Flato. Er ist der Präsident des ESBD und ergänzt: "Zweimal stand sie zuletzt im Koalitionsvertrag, auch in der Ampelregierung. Es gab schon Entwürfe und die ersten Änderungen daran, dann ist die Ampel zerbrochen."

Berliner Abgeordnetenhaus gibt Studie in Auftrag

Das Gute aus Sicht der eSport-Akteure: Nicht nur die in Berlin regierenden CDU und SPD, sondern auch die übrigen demokratischen Parteien befürworten die Gemeinnützigkeit. Im Sportausschuss machten sich am Freitag einmal mehr allen voran Clara Schedlich von den Grünen und Ariturel Hack von der CDU hierfür stark. Mit einem neuen Vorstoß in einer bereits jahrelangen Diskussion: "Wir haben einen Antrag für eine Bedarfs- und Potenzialanalyse zum Thema eSport ins Parlament eingebracht", sagt Hack.
 
Der eSport-Sprecher der CDU bezeichnet die Analyse als "ersten Aufschlag" und erklärt: "Wir können nicht Fördertöpfe in Millionenhöhe fordern, wenn wir nicht wissen, welcher Bedarf und welche Potenziale überhaupt da sind." Die Studie ist dabei sehr breit angelegt – von allen möglichen wirtschaftlichen Aspekten rund um den eSport, über die finanziellen und sportpolitischen Folgen der möglichen Gemeinnützigkeit bis hin zu den Anforderungen des Jugendschutzes bei alledem.

eSport soweit das Auge reicht: Gamer auf der Gamescom 2024 | Bild: IMAGO/NurPhoto

eSport soweit das Auge reicht: Gamer auf der Gamescom 2024 | Bild: IMAGO/NurPhoto

Der Handlungsbedarf wächst

Ariturel Hack hofft schon jetzt, "dass die Gemeinnützigkeit als eines der ersten Projekte auf den Tisch kommt, wenn eine große Koalition auf Bundesebene gebildet ist". Die Pläne hierfür würden schließlich bereits in den Schubladen der alten Bundesregierung liegen. Auch Christopher Flato vom ESBD meint die Gemeinnützigkeit sei "nur noch eine Frage der Umsetzung". Er mahnt allerdings auch, dass es nicht bei Bestandsaufnahmen wie der Berliner Analyse bleiben dürfe. "Man muss auf deren Grundlage dann auch entsprechend tätig werden – und das nicht erst in fünf Jahren", sagt er.
 
Sowohl Hack, vor allem aber der ESBD und seine Vereine und Unternehmen erhoffen sich durch die Anerkennung der Gemeinnützigkeit langfristig ähnliche Strukturen wie im klassischen Sport. "Spielerinnen und Spieler müssen die Chance haben, als junge Talente über Vereinsstrukturen in die Weltspitze zu kommen", sagt Flato. Aber auch für die breite Masse an Gamerinnen und Gamern sieht der Verbandpräsident einen Mehrwert in einem eSport, der in Vereinen, Verbänden und deren Ligen organisiert ist.
 
"In Vereinen werden von Trainerinnen und Trainern Werte vermittelt, Gruppendynamiken und Kommunikation, der Umgang mit Siegen und Niederlagen", sagt er, "das möchten wir auch für die Teile der jüngeren Generation, die sich viel im digitalen Raum bewegt." Darüber hinaus würde die Gemeinnützigkeit es einfacher machen, eSport in öffentlichen Einrichtungen als Mittel zum Lernen des Umgangs mit Medien einzusetzen. "Ich glaube, dass organisierter eSport die oft diskutierten Suchtpotenziale eher verringert als erhöht", sagt CDU-Sprecher Hack, "schließlich ist in einem Verein gerade nicht so, dass die Kids für sich alleine mit Cola und Chips sechs Stunden vorm Bildschirm sitzen."

Junge Frau macht Klimmzüge (Quelle: imago-images/xMilanxMarkovicx)
"Jugendliche wollen über einen Körper verfügen, der sich sehen lassen kann"
In vielen Fitness-Studios trainieren inzwischen scharenweise auch Schüler. Eine Einzelbeobachtung? Mitnichten. Der Sportsoziologe Thomas Alkemeyer sieht auch den Körperkult auf Social Media als Grund für das steigende Interesse am Krafttraining.mehr

Große wirtschaftliche Potenziale im eSport

Andererseits gehen die Hoffnungen aller Beteiligten über das Wohl junger Gamerinnen und Gamer hinaus. So attestiert bspw. BIG-Geschäftsführer Finkler, dass staatlich geförderte Jugendarbeit selbstverständlich den Talentpool für die privaten Profivereine füllen würden. Ariturel Hack wünscht sich neben der Gamescom in Köln eine zusätzliche Leitmesse in Berlin. Und Christopher Flato spricht von großen Events in Deutschland, natürlich auch in großen Berliner Hallen, "die im traditionellen Sport mit Standort-Förderungen bezuschusst werden, weil sie einen Impact auf die lokale Wirtschaft haben." Im eSport seien solche Förderungen sehr selten, obwohl sie sich auch dort finanziell auszahlen könnten. "Deswegen sollte die Unterstützung hier ernsthaft ausgebaut werden", fordert Flato.
 
Berlin ist hierbei dem Vernehmen nach – neben Köln – schon jetzt einer der zwei wichtigsten Gaming-Standorte Deutschlands. Rund 300 Unternehmen aus der Games-Branche haben laut Berliner Senat aktuell ihren bzw. einen Sitz in Berlin – 30 Prozent mehr als noch im Jahr 2016 und rund 20 Prozent alles Games-Unternehmen hierzulande. Eine noch größere Akzeptanz von eSport und die Möglichkeit, diesen mit städtischen Mitteln zu fördern, würde für weiteres Wachstum sorgen.
 
Wie groß dieses weitere Wachstum wäre, soll nun die besagte Bedarfs- und Analysestudie zeigen. Deren Beschluss ist dabei allerdings tückisch: Schließlich ist sie erst einmal nicht mehr als ein weiterer Weg, sich mit der Gemeinnützigkeit des eSports auseinanderzusetzen – ohne diese zu beschließen. Hierfür liegen die Hoffnungen aller Beteiligten in weiteren Sitzungen und noch größeren politischen Plenarsälen.

Sendung: rbb24 Inforadio, 06.03.2025, 12:15 Uhr