
Nachwuchsförderung Wie sich Berlins kritisierte Sportschulen neu aufstellen - und dabei auch von Brandenburg lernen können
Auch wenn es an den Sportschulen besser läuft als von so manchem Kritiker dargestellt, sind die Verantwortlichen immer auf der Suche nach neuen Konzepten. In manchen Belangen könnte Brandenburg dabei Berlin zum Vorbild werden. Von Lukas Witte
Zu teuer, zu wenig Schülerinnen und Schüler, kaum sportliche Erfolge – die Kritik an den drei Berliner Eliteschulen des Sports war zuletzt groß. Erst im Oktober hatte die Fraktion Bündnis90/Die Grünen den Senat in einem Antrag dazu aufgefordert, die Arbeit der Sportschulen grundsätzlich zu evaluieren.
Gerade vor dem Hintergrund des ohnehin herrschenden Lehrkräftemangels sei es nicht vertretbar, dass Schulklassen in den Eliteschulen die Mindestzahl an Schüler:innen nicht ausschöpfen würden. Fast jeder fünfte Platz bliebe unbesetzt, hieß es in dem Antrag.

Zwar stellte sich die Regierungskoalition daraufhin sofort hinter die Sportschulen - und doch sei die Kritik hier und da berechtigt gewesen, so Roman Kluge, Leiter Leistungssport beim Landessportbund Berlin (LSB). "Es ist nicht alles Sonnenschein an den Schulen", sagt er.
Weniger Einschulungen und mehr Quereinsteiger
Denn tatsächlich sind die Einschulungszahlen an der Sportschule im Olympiapark (Poelchau-Schule), dem Schul- und Leistungssportzentrum in Hohenschönhausen und der Flatow-Oberschule in Köpenick seit einigen Jahren leicht rückläufig. 2009 wurden noch 306 Schülerinnen und Schüler an allen drei Einrichtungen eingeschult, im aktuellen Schuljahr waren es nur 237 bei einer Gesamtkapazität von 280 Neueinschulungen pro Jahr.
"Natürlich wäre es schön, diese Plätze von Anfang an auszuschöpfen", sagt Kluge, "aber das ist gar nicht unbedingt der Wunsch der Schulen, weil es kaum umsetzbar ist." Schließlich sei in den letzten Jahren die Zahl der Quereinsteiger stark gestiegen. "Gerade in den Mannschaftssportarten kommen viele erst im September oder Oktober dazu, wenn die Saisons vorbei sind. Und dann ist man relativ schnell bei einer guten Zahl", sagt er. Interessenten würden dabei aus dem gesamten Bundesgebiet kommen.
Nicht für jeden gibt es dann tatsächlich auch Platz. Dafür seien die Räumlichkeiten zu begrenzt. Um mehr Leute in einem Klassenraum unterbringen zu können, habe man an der Poelchau-Schule nun sogar kleinere Tische bestellt, so Kluge.
Mehr Sichtungsmaßnahmen, breiteres Spektrum, wählerische Eltern
Dass es hier und da mittlerweile mal eng werden kann, ist eine direkte Reaktion auf die Kritik. So habe es gerade am Schul- und Leistungssportzentrum Berlin (SLZB) eine Zeit lang durchaus Klassen gegeben, in denen nur 14 oder 15 Schülerinnen und Schüler waren, muss Kluge einräumen. Laut Einrichtungsverfügung wird jedoch eine Richtfrequenz von 20 Schülerinnen und Schüler vorgegeben. Als Konsequenz wurden am SLZB deshalb mittlerweile zwei Klassen gestrichen und die Fußballer komplett auf die anderen beiden Schulen verteilt.
Für den zwischenzeitlichen Mangel sieht der Leiter Leistungssport auch die Sportverbände in der Verantwortung, die für die Sichtung der Talente und die Weiterempfehlung an die Schulen zuständig sind. Hier gäbe es durchaus Potenzial für mehr Maßnahmen, so Kluge. Eine weitere Idee sei es, künftig eine sportartunspezifische Klasse für motorisch begabte Kinder zu eröffnen und so ein noch breiteres Spektrum an Talente an die Schulen zu locken, die sich aber erst später auf eine Sportart spezialisieren müssen.
Damit die Kapazität aber beständig voll ausgeschöpft wird, müsse sich auch die Attraktivität der Sportschulen an sich verbessern. "Die Schulen müssen innovativer sein, schließlich werden auch die Eltern immer wählerischer, wo sie ihr Kinder hinschicken", sagt er.
Wer nicht gut genug ist, muss gehen
Ein großes Thema ist dabei der Umgang mit Schülerinnen und Schülern, welche im Laufe ihrer Schullaufbahn die hohen sportlichen Leistungsanforderungen nicht mehr erfüllen können. In Berlin müssen diese bislang die Eliteschulen verlassen und sich eine neue Bildungseinrichtung suchen.

Das sorgt für Druck und Unsicherheit bei den Schülerinnen und Schülern und löst sicherlich bei den Eltern bereits im Voraus die Frage aus, ob man sein Kind diese Situation zumuten möchte. "Das Ausschulungsprinzip wird in der Zukunft nicht mehr funktionieren", analysiert auch Kluge. Man sei bereits mit der Bildungsverwaltung im Austausch.
Die Idee ist es, schon bald einen zweiten Schulweg anbieten zu können. Wer die sportlichen Anforderungen dann nicht mehr erfüllt, muss die Sportschule nicht mehr verlassen, sondern wechselt nur die Klasse und macht ein normales Abitur ohne leistungssportlichen Auftrag. Des Weiteren soll ein Projekt ausgebaut werden, bei dem betroffene Schülerinnen und Schülern Trainerausbildungen statt Leistungssport neben dem Unterricht machen.
Brandenburg als Vorbild
Wie gut solche Konzepte funktionieren können, zeigt ein Blick zu den Nachbarn. An den Brandenburger Eliteschulen des Sports wird niemand mehr aus Leistungsgründen der Schule verwiesen. Das Verlassen einer leistungssportlichen Laufbahn würde im Land als begleiteter Prozess und nicht als Scheitern gesehen werden, da nicht jede Sportlerin und jeder Sportlerin der Weltspitze ankommen könne, heißt es aus dem Ministerium für Bildung, Jugend und Sport auf rbb-Anfrage.
An der Lausitzer Sportschule in Cottbus ist dafür im letzten Schuljahr ein neues sogenanntes Drop-Out-Konzept entstanden. Schülerinnen und Schüler, die aus dem Leistungssport ausscheiden, füllen zuerst einen Fragebogen aus und erörtern dann in einem Gespräch mit dem Olympiastützpunkt und dem schulischen Sportkoordinator die Gründe, Sorgen und Probleme und beraten, wie es weitergehen kann.
In Cottbus gibt es die Möglichkeit, sich an der Schule zu Schiedsrichtern, Kampfrichtern oder Übungsleitern ausbilden zu lassen, oder aber beispielsweise auch einfach die Hausaufgabenhilfe für andere Schülerinnen und Schüler zu übernehmen. "Wir halten hier alle an Bord. Das versprechen wir auch den Eltern, wenn sie sich für unsere Schule entscheiden", sagt Schulleiter Sten Marquaß. Seit der Einführung des Konzepts sei die Zahl der freiwilligen Schulabgänger stark gesunken, erklärt er.
Zudem seien die angebotenen Perspektiven abseits des aktiven Leistungssports auch eine Chance, um den Mangel an Lehrer-Trainern zu bekämpfen. Die Sportlehrer mit besonderen Trainerqualifikationen sind an den Sportschulen äußerst gefragt. "Wir haben die Herausforderung angenommen und warten nicht, bis die Leute bei uns anklopfen. Wir bilden also selbst aus", sagt er. Viele seiner Schülerinnen und Schüler würden mittlerweile Lehramt studieren und könnten sich eine spätere Rückkehr an die Schule vorstellen.
Zukunftsfähig aber entwicklungsbedürftig
Trotzdem würden auch die Sportschulen in Brandenburg immer wieder in der Kritik stehen und müssten sich stetig hinterfragen und nachsteuern, so das Ministerium für Bildung, Jugend und Sport. So solle es künftig beispielsweise ein Projekt zu Verletzungsprävention, Infektprophylaxe und Ernährung geben und die Partner in der dualen Karriere dauerhaft erweitert werden, um die Schulen weiter zu verbessern.

Grundsätzlich zeigt man sich im Ministerium mit der Entwicklung der Sportförderung im Land jedoch zufrieden. Jedes Schuljahr werden zwischen 1.600 und 1.700 Schülerinnen und Schüler an den Spezialschulen und in den Spezialklassen Sport unterrichtet werden, wovon ca. 200 jährlich ihr Abitur ablegen. Im Laufe der Sekundarstufe I würden die Kapazitäten somit voll ausgeschöpft werden, so das Ministerium. Zudem habe das Team Brandenburg bei den Olympischen Spielen in Paris mit dreimal Gold, einmal Silber und zweimal Bronze eine bessere Medaillenausbeute gehabt als noch zuvor in Tokyo.
In Berlin fiel die Medaillenbilanz mit dreimal Silber und zweimal Bronze zwar etwas schlechter aus, doch auch beim LSB ist man von dem grundsätzlichen System der Sportschulen fest überzeugt. Mit neuen Konzepten können dann möglicherweise auch bald wieder zu Beginn des Schuljahres die vollen 280 neuen Einschulungs-Plätze an den Eliteschulen belegt werden.
Laut Kluge sei man aber bereits jetzt auf einem guten Weg. "Was ich von den Schulen gehört habe, ist es wesentlich besser als noch im letzten Jahr", sagt er. Harte Zahlen gibt es jedoch erst wieder im Spätsommer, wenn das neue Schuljahr anbricht.