Eine Läuferin steht vor zwei Stolpersteinen | Bild: IMAGO/Depositphotos

Stolpersteinlauf in Potsdam Potsdamer Stolpersteinlauf: Ein läuferisches Zeichen gegen den Rechtsextremismus

Stand: 13.05.2025 17:51 Uhr

In Potsdam findet am Samstag der zweite Stolpersteinlauf statt. Auf rund 34 Kilometern und an 76 Stolpersteinen soll der Opfer des Nationalsozialismus gedacht und ein Zeichen für die Zukunft gesetzt werden. Von Jakob Lobach

Normalerweise sind Pausen beim Laufen eher Mittel zum Zweck. Kurz durchatmen, die Beine einige Schritte lang ein wenig entspannen, dann geht's weiter. Am kommenden Samstag in Potsdam allerdings ist es exakt andersherum: Beim diesjährigen Stolpersteinlauf wird Laufen das Mittel zum Zweck sein, während das Innehalten in exakt 76 kurzen Pausen an den 76 Stolpersteinen der Stadt im Mittelpunkt steht.

Anti-Nazi-Banner im Stadion (imago images/Noah Wedel)
Welche Rolle rechtsextreme Gruppen in den Fankurven spielen
2024 war die Zahl der rechtsextremen Straftaten so hoch wie nie. Ein Grund: neue, gewaltbereite Gruppierungen. Julius Geiler hat darüber einen Film gedreht. Und auch die Verbindungen in den Fußball untersucht, wie er im Interview erzählt.mehr

Ein politisches Zeichen nach der Landhaus-Konferenz

Es ist nicht das erste Mal, dass Initiator Harald Rettich mit seinem Laufteam PotsRun diesen Lauf der anderen Art zum Gedenken an die Opfer der Nationalsozialisten organisiert. Bereits im vergangenen Jahr feierte er seine Premiere. Als "ein Auf und Ab der Gefühle" beschreibt Rettich die nur auf den ersten Blick etwas furchteinflößende Strecke von 34 Kilometern. Ein Auf und Ab, bei dem jeder willkommen sei, "dem das Andenken und die Demokratie wichtig sind und dem nicht egal ist, was gerade in Deutschland passiert".
 
Normalerweise ist der Kontext, in dem Rettich und der Rest seines Laufteams seine Runde dreht, ein bisschen unbeschwerter – in anderen Worten: ganz und gar sportlich. "Ich bin ein passionierter Läufer", sagt Rettich über sich selbst und spricht anschließend über das Tempo, das bei seinen Läufen üblicherweise im Fokus steht. "Aber als letztes Jahr diese Landhaus-Konferenz publik wurde, wollten wir auch politisch werden, ein Zeichen setzen", sagt Rettich.
 
Im Landhaus Adlon waren unweit von Potsdam Ende 2023 AfD-Politiker und verschiedene weitere Protagonisten aus der rechten Szene zu einem Treffen zusammengekommen, das geheim bleiben sollte. Das blieb es aber nicht, sodass kurz darauf zahlreiche Menschen bei zahlreichen Demos protestierend auf die Straße gingen. "Wir wollten das Thema läuferisch in den Mittelpunkt rücken", erinnert sich Rettich.

Zwei Stolpersteine in der Potsdamer Virchowstraße | Bild: IMAGO/Martin Müller

Stolpersteine_2

Die 34 Kilometer sind keine Pflicht

Gesagt, getan. Rund 30 Läuferinnen und Läufer absolvierten vergangenes Frühjahr eine große Runde entlang der vielen goldenen und kupferfarbenen, in ganz Potsdam verteilten Messingplatten. Dieses Jahr werden es wohl eher 60 bis 80 Menschen, die entweder die gesamten 34 Kilometer mitlaufen oder sich der Lauftraube für Teile der Strecke anschließen.
 
"Wir haben zwar keine Website programmiert oder so", sagt Rettich, "aber die Menschen kennen den Lauf schon und wir haben den Termin früher kommuniziert." Unterstützung gab es vom Land Brandenburg, dessen Kultur- und Wissenschaftsministerin Manja Schüle (SPD) Schirmherrin des Laufs ist.
 
Als Start haben dessen Planer für Samstagmorgen (10 Uhr) den Norden Babelsbergs ausgesucht. Von dort aus geht es zunächst gen Osten in Richtung Griebnitzsee, später dann in einer großen Runde zurück. Dabei werden die Läuferinnen und Läufer einerseits "eines der schönsten Laufreviere" genießen, wie Rettich sagt, andererseits aber auch dutzenden traurigen Geschichten und Schicksalen über den Weg laufen.

Schiedsrichter hebt Fahne bei einem Spiel (Quelle: IMAGO / Zink)
Sparta Lichtenberg suspendiert mutmaßlich rechtsextremen Schiedsrichter
mehr

Zwischen traurigen Schicksalen und einem beseelten Gefühl

Schicksalen, wie denen der Eheleute Theodor und Helene Dornbusch sowie Klara und Josef Apriasky. Zusammen mit vielen anderen Menschen aus Potsdam wurden die vier am 13. Januar 1942 in das Ghetto von Riga deportiert. Während die Dornbuschs dort kurz darauf verstarben, wurden Klara und Josef Apriasky ins Konzentrationslager Riga-Kaiserwald weitertransportiert, von wo aus sie nicht mehr zurückkehrten.
 
Laut Rettich ist es eines der großen Ziele des Stolpersteinlaufs, sich solche Schicksale gemeinsam in Erinnerung zu rufen. Hierfür werde man auch in diesem Jahr nicht nur an jedem Stein einen Moment innehalten, sondern auch über die Namen und Daten auf den goldenen Platten und die Geschichte dahinter sprechen. "Ich kann gar nicht so richtig in Worte fassen, was das mit dir macht", sagt Rettich, versucht es dann aber dennoch: "Du wirst nachdenklich, manchmal auch traurig, wenn du an den Steinen stehst. Dann läufst du weiter, unterhältst dich und kannst zwischendurch auch lachen." Ein Auf und Ab der Gefühle eben.
 
In Sachen physischer Gefühle antizipiert Rettich für den Samstagnachmittag, die Zeit nach dem gemächlichen Lauf, eine Art erträgliche Erschöpfung. Schließlich wird er keinen der insgesamt sechs Ein- und Ausstiegspunkte entlang der Strecke nutzen, sondern die kompletten 34 Kilometer absolvieren. Viel bedeutsamer als die Aussicht auf die Erschöpfung ist aber die auf das "irgendwie beseelte Gefühl", das der Organisator des Laufes auch in diesem Jahr erwartet.

Sendung: DER TAG, 19.05.2025, 18:30 Uhr