
Routinierte Leistungsträger und junge Helden Routinierte Leistungsträger und junge Helden: Fünf Lehren aus der Saison von Union Berlin
Mit dem vorzeitigen Klassenerhalt endete für den 1. FC Union eine zwischenzeitlich turbulente Saison anständig. Es war ein lehrreiches Jahr: Geschäftsführer Horst Heldt hat sich profiliert, alte Spieler haben ihren Wert bewiesen, junge sich weiterentwickelt. Von Till Oppermann
1. Marmor, Stein und Eisen bricht ...
... aber Christopher Trimmel und Rani Khedira nicht. Als Kapitän und Vizekapitän sind sie die unbestrittenen Führungsspieler beim 1. FC Union Berlin. Und auch sportlich kann kein Trainer auf die beiden altgedienten Routiniers verzichten.
Sowohl Bo Svensson als auch Steffen Baumgart setzten Trimmel im Verlauf der Saison zwischenzeitlich auf die Bank. Svensson versuchte es beispielsweise beim 2:3 in Stuttgart, ein Spiel, das Union nach 2:0-Führung noch verlor und das Vertrauen in den Trainer nachhaltig erschütterte. Trimmels Erfahrung hätte beim Verteidigen der Führung gewiss nicht geschadet. Ähnliche Erfahrungen machte Nachfolger Baumgart: Er holte alle seine 24 Punkte mit dem Kapitän auf dem Platz. Bei vier seiner sieben Niederlagen fehlte Trimmel. Grund genug für den Österreicher nochmal zu verlängern - die Saison 2025/26 wird seine zwölfte bei Union.
Auch Rani Khedira verlängerte seinen auslaufenden Vertrag. Er fühle, dass seine Zeit bei Union noch lange nicht zu Ende sei, sagte er nach der Unterschrift. Dabei war auch Khedira bei Baumgart nicht immer gesetzt. In der Partie beim FC St. Pauli verzichtete Baumgart auf den kampfstarken Sechser. Nach der 0:3-Niederlage traute er sich das nicht mehr. In den folgenden 15 Spielen verpasste Khedira nur 33 Minuten und leistete mit seinem Tor gegen den SC Freiburg einen wichtigen Beitrag zum frühzeitigen Klassenerhalt.

2. Horst Heldt hat keine Angst vor Entscheidungen
Als der neue Trainer Bo Svensson und der neue Sport-Geschäftsführer Horst Heldt im vorigen Sommer gemeinsam bei Union vorgestellt wurden, sagte Letzterer über Ersteren: "Er passt wie die Faust aufs Auge." Fast auf den Tag genau ein halbes Jahr danach, zwischen Weihnachten und Silvester, hatte Heldt seine Meinung geändert. Nach neun sieglosen Spielen in Serie in Liga und Pokal musste Svensson gehen. "Nach eingehender Analyse des bisherigen Saisonverlaufs sind wir überzeugt, dass für eine Trendumkehr eine deutliche Veränderung notwendig ist", sagte Heldt damals.
Das war nicht ohne Risiko. Schließlich stand Heldt selbst in der Kritik. Insbesondere, weil es ihm im Sommer nicht gelungen war, einen treffsicheren Mittelstürmer zu verpflichten. So schien es zumindest. Bis Svenssons Nachfolger Baumgart begann, auf Heldts sommerliche Deadline-Day-Verpflichtung Andrej Ilic zu setzen. Unter Svensson hatte der Serbe keine Sekunde gespielt, in Baumgarts Mannschaft wurde er in der Rückrunde zum Stammspieler und dankte das Vertrauen mit sieben Toren.
3. Union muss das Spiel im eigenen Ballbesitz verbessern
Der Satz ist bei Union eigentlich keine Lehre mehr, sondern eine Binse. Schließlich haben die Köpenicker seit Jahren Probleme, eigenen Ballbesitz in Torchancen umzumünzen. Das galt auch in den Wochen, in denen Baumgarts Mannschaft mit acht ungeschlagenen Spielen in Serie den Klassenerhalt erarbeitete: Unions Tore fielen eher nach mehreren gewonnenen Zweikämpfen hintereinander als nach Passstafetten. Und obwohl Steffen Baumgart immer wieder beteuerte, wie sehr er Laszlo Benes schätze, schmorte der kreativste Mittelfeldspieler der Mannschaft meistens auf der Bank.
Die kämpferischen Qualitäten von Jannik Haberer oder András Schäfer waren mangels eingespielter Abläufe im Offensivspiel einfach erfolgsversprechender. Im Sommer gehört es zu den wichtigsten Aufgaben von Geschäftsführung und Trainerteam, daran zu arbeiten. Sonst bleibt Union davon abhängig, in jedem Spiel mehr zu laufen und aggressiver zu spielen als der Gegner. Das klappt selten über eine ganze Saison.

4. Benedict Hollerbachs Ehrgeiz ist einzigartig
Ohne Benedict Hollerbach würde Union wahrscheinlich nicht mehr in der Bundesliga spielen. Schon in seiner ersten Saison 2023/24 erzielte der blondgelockte Angreifer einige wichtige Tore im Abstiegskampf. In seiner zweiten Saison bei den Köpenickern wurde er endgültig zur offensiven Lebensversicherung. Zwar fällt es ihm weiter zu schwer, in den entscheidenden Momenten den besser postierten Mitspieler zu sehen und zu finden, aber seine neun Tore und der enorme läuferische Aufwand waren in manchen Spielen der Saison Unions einziger Hauch offensiver Gefahr.
Außerdem ist Hollerbach einer der Spieler, der sich nach jedem Spiel den Reportern stellt, dabei nie zufrieden ist und schnell und eloquent Erklärungen für die Leistungen seiner Mannschaft findet. Sein großes Ziel ist die Nationalmannschaft, deshalb überlegt er, den Verein bei einer passenden Offerte zu verlassen.
Sollte Hollerbach gehen, wird neben seinen Toren vor allem der einzigartige Ehrgeiz fehlen. Steffen Baumgart sieht es folgendermaßen: "Es kommt ja immer darauf an: Hast du eine Meinung, weil du ein Klugscheißer bist, oder hast du eine Meinung, weil du was wissen oder lernen willst? Holler ist Letzteres. Und das zeichnet ihn aus."

Unions Lebensversicherung in der abgelaufenen Saison: Benedict Hollerbach.
5. Es lohnt sich, jungen Spielern zu vertrauen
Mit Aljoscha Kemlein, Tom Rothe und Leopold Querfeld wandelten in der letzten Saison gleich mehrere Spieler auf Hollerbachs Spuren. Lange Jahre stellte Union Woche für Woche eine der ältesten Mannschaften der Liga. Das musste sich ändern: In Zukunft soll die Alte Försterei eine Anlaufstelle für Talente sein, die sich in der Bundesliga etablieren wollen. Wie das gehen kann, haben Kemlein, Rothe und Querfeld vorgemacht.
Bis zu seiner Fußverletzung war Kemlein einer der laufstärksten Spieler der Mannschaft und deutete immer wieder an, dass er auch fußballerisch einer der Spieler ist, mit denen sich Union weiter entwickeln kann. Flügelverteidiger Rothe glänzte vor allem in der Offensive und steuerte drei Tore und vier Vorlagen bei. Und Querfeld? Er verdrängte nicht nur den erfahrenen Kevin Vogt aus dem Abwehrzentrum, sondern schoss gegen Stuttgart auch das schönste Tor der jüngeren Vereinsgeschichte. Mit Livan Burcu, der im Sommer von einer Leihe zum Zweitligisten 1. FC Magdeburg zurückkehrt, wo er sich empfehlen konnte, steht der nächste junge Spieler schon bereit.
Sendung: rbb UM6, 17.05.2025, 18 Uhr