Pal Dardai, Cheftrainer von Hertha BSC (re.) | Quelle: IMAGO / Beautiful Sports

Pro & Contra Pro & Contra: Sollte Hertha BSC über die laufende Saison hinaus an Cheftrainer Pal Dardai festhalten?

Stand: 26.03.2024 20:11 Uhr

Gegen Ende der Spielzeit 2023/24 stellt sich wieder einmal die Frage, ob Hertha BSC mit Pal Dardai verlängern sollte. Anton Fahl und Shea Westhoff kommentieren, warum Dardai auch in Zukunft der richtige Trainer für die "Alte Dame" ist - oder auch nicht.

Pro von Anton Fahl

Lasst den Mann arbeiten!

Was haben das Finanzamt, der Tod und die Frage, ob Pal Dardai noch - oder wahlweise: wieder - der richtige Trainer für Hertha BSC ist, gemeinsam? Kein Weg führt dran vorbei.
 
Doch selten fiel die Bewertung einer Saison und – damit einhergehend – die Antwort auf jene Frage schwerer als in der Spielzeit 2023/24. Die Rückrunde kann als enttäuschend verbucht werden, die riesige Chance, den Traum vom DFB-Pokal-Finale im eigenen Stadion nach Jahrzehnten der Ernüchterung endlich wahr werden zu lassen, wurde leichtfertig vergeben.
 
Und dennoch hat Hertha BSC, um Trainer Pal Dardai, in dieser Saison vieles erreicht, worauf sich in den kommenden Jahren aufbauen lässt. Rund um den Verein herrscht nach wie vor eine ungekannte Aufbruchsstimmung, Hertha hat den zweitjüngsten und gleichzeitig inzwischen wertvollsten Kader der 2. Fußball-Bundesliga. Der "Berliner Weg" wird konsequent mit Leben gefüllt, zunehmend kristallisiert sich rund um Unterschiedsspieler Fabian Reese eine Achse und ein Kern heraus, der auch aus Eigengewächsen wie Linus Gechter, Marton Dardai, Pascal Klemens oder Ibrahim Maza besteht.

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Ganz abgesehen davon, dass die Hertha-Verantwortlichen den direkten Wiederaufstieg nie als Saisonziel ausgerufen haben, sind für eine faire Bewertung der laufenden Spielzeit zudem noch mildernde Umstände zu beachten, die schwer ins Gewicht fallen: Die gerade noch so abgewendete Insolvenz im Sommer 2023, ein Kader-Umbruch der größtmöglichen Art, der zur Folge hatte, dass Dardai erst wusste, auf welches Personal er denn tatsächlich zählen kann, als die Saison schon vier Spieltage alt war – und der plötzliche Tod des Präsidenten Kay Bernstein im Januar 2024, der den ganzen Verein in Schockstarre versetzte. Garniert mit Verletzungs- und Krankheitssorgen in überdurchschnittlichem Ausmaß.

Wer, wenn nicht Pal?

Zumal es auch eine Frage der Alternativen ist. Wer, wenn nicht Pal Dardai, soll den "Berliner Weg" mit den Profis weitergehen? Kontinuität ist möglich: Hertha BSC hat jüngst die Vertragsverlängerung mit Geschäftsführer Thomas Herrich bekanntgegeben, auch Reese hat sich zur "Alten Dame" bekannt.
 
Fest steht: Im Profi-Fußball zählen in erster Linie Ergebnisse - und unter Dardai hatten die Herthaner in der jüngeren Vergangenheit ihre erfolgreichsten und vor allem stabilsten Jahre. Ohne größere Krisen und Sorgen. Es ist nicht mal sieben Jahre her, dass der Berliner Anhang mit Hertha international unterwegs war und das San Mames in Bilbao von innen sehen durfte - ganz ohne Stadionführung.
 
Was dann, seit dem Sommer 2019, rund um den Schenckendorffplatz geschah, ist hinlänglich bekannt, wurde vielfach beschrieben und beschrien. Und was wurde alles versucht: mit Unmengen an Geld. Mit den Trainern Covic, Klinsmann, Labbadia, Magath, Schwarz. Tayfun Korkut. Völlig losgelöst. Fun Fact: Seit Jos Luhukay, der die Blau-Weißen von 2012 bis 2015 trainierte und seinerzeit zurück ins deutsche Oberhaus führte (1,53 Zähler pro Spiel), hatte kein Hertha-Coach einen besseren Punkteschnitt als der Ungar in seiner nun dritten Amtszeit (1,47).

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Den Beweis, die "Alte Dame" nachhaltig in erfolgreichere Fahrwasser zu navigieren, konnte keiner der genannten Übungsleiter erbringen.
 
Und Pal Dardai? Ist die Verkörperung der neuen Berliner Bodenständigkeit, eine kostengünstige noch dazu. Zur Erinnerung: Wir schreiben immer noch Jahr eins nach dem Bundesliga-Abstieg. Es ist nicht an der Zeit, durchzudrehen und die Geduld zu verlieren.
 
In Analogie zu Internet-Kommentatoren, die die Kaderplanung des Sportdirektors Benjamin Weber regelmäßig mit den Worten "Let him cook!" würdigen, möchte man den Hertha-Verantwortlichen und 777-Partners-Gesandten also zurufen: Lasst den Mann arbeiten!

Contra von Shea Westhoff

Der "Berliner Weg" ist nicht gleichbedeutend mit Trainer Pal Dardai

Es lohnt sich über Fakten zu reden, wenn es um die Trainerfrage bei Hertha BSC geht. Denn in Berlin geht es dabei allzu schnell um Gefühle. Verständlich: Trainer Pal Dardai ist eine Lichtgestalt im Verein, mehrfach schon bewahrte er die hyperventilierende "Alte Dame" mit seiner lässigen Art vor dem Kollaps. In Dardais dritter Legislatur-Periode tritt sein Herzensklub nun in der Zweiten Liga auf der Stelle. Viel zu wenig für den großen Traditionsverein, eigentlich.
 
Um seinen Job fürchten muss Trainer und Rekordspieler Pal Dardai aber nicht: Das Hertha-Urgestein steht für den "Berliner Weg", demzufolge man nach Jahren des Übermuts auch bei Rückschlägen geduldig auf klubeigene Tugenden setzen will. Es klingt im kurzatmigen Fußballgeschäft weise. Eine Gefahr wäre allerdings, wenn dieser Pfad nun den Blick auf die Fakten verstellt.
 
Fakt ist: Dardai hat einen der besten Kader der 2. Liga zur Verfügung. Bei zahlreichen Profis gibt es gute Gründe für die Annahme, dass sie sich auch bei manchem Erstliga-Klub durchsetzen würden. Allen voran Künstler Fabian Reese, der gegnerische Abwehrlinien regelmäßig in Gemälde aus dem abstrakten Expressionismus verwandelt.
 
Auch Spieler wie Haris Tabakovic, Aymen Barkok, Florian Niederlechner oder Marton Dardai sind gestandene Profis, die sich teilweise bereits im Oberhaus behauptet haben und von denen die Trainer der meisten Zweitligisten höchstens träumen können. Gemessen an ihrem Potenzial bleibt Hertha hinter den Erwartungen.

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Keine Flexibilität und Spielidee

Fakt ist: Dem talentierten Team fehlt eine zündende Spielidee. Vorne richten es allzu oft Gedankenblitze der Einzelnen. Dardai manövriert die Hertha im scheinbar robusten 4-2-3-1-Modell durch den stürmischen Zweitliga-Alltag. Den Kopf hält man so über Wasser. Mehr Flexibilität würde der Mannschaft allerdings sicher guttun, vor allem gegen starke Gegner.
 
Denn Fakt ist auch: Gegen ambitionierte Klubs präsentiert sich Hertha bestürzend schwach. Nach Aufeinandertreffen mit Mannschaften aus der oberen Tabellenhälfte gingen die Berliner nur zweimal als Sieger vom Platz (gegen den 1. FC Kaiserslautern sowie den 1. FC Magdeburg).

Pal Dardai hat es in seiner dritten Amtsperiode geschafft, den Totalabsturz einer Hertha zu verhindern, die sich im steilen Sinkflug befand. Dem Ungar ist es sogar gelungen, innerhalb der Mannschaft eine neue Basis aufzubauen und mehrere begabte Jugendspieler wie Ibrahim Maza, Pascal Klemens, Marten Winkler oder auch seine Söhne zu etablieren, welche darüber hinaus enormes Identifikationspotenzial bergen.
 
Ein stringenter "Berliner Weg" darf in der kommenden Saison daher nur im Ziel "Wiederaufstieg" münden. Die Suche nach dem dafür geeigneten Trainer hat im Westend hoffentlich bereits begonnen.