Die Spieler von Hertha BSC sind nach dem 0:2 in Münster enttäuscht. (Foto: IMAGO / Team 2)

Analyse der Hertha-Pleite in Münster Hertha-Pleite in Münster: Mit dem Kopf schon im Sommer

Stand: 09.05.2025 22:28 Uhr

Hertha BSC hat gegen Preußen Münster mit 0:2 verloren und damit die Ungeschlagen-Serie von sieben Spielen reißen lassen. Dass die Berliner so blutleer auftratem, legt nahe, dass sie mit den Köpfen bereits im Sommer angekommen sind. Von Marc Schwitzky

Stefan Leitl hatte wirklich alles Erdenkliche getan. Der Trainer von Fußball-Zweitligist Hertha BSC war in den letzten Wochen ein Meister darin, die Motivation und Spannung innerhalb seiner Mannschaft trotz des frühzeitig erreichten Minimalziels Klassenerhalt hochzuhalten. Sieben Spiele waren die Berliner am Stück ungeschlagen, selbst als der Nicht-Abstieg unter normalen Gesichtspunkten quasi feststand, verwies Leitl völlig unbeeindruckt wie antriebig auf die rechnerische Sicherheit. Die bei Hertha so bekannte Selbstzufriedenheit? Nicht zu sehen.
 
Nach dem Liga-Verbleib formulierte der 47-Jährige neue Ziele. Er wolle auch die letzten drei Ligaspiele allesamt gewinnen: um 49 Punkte und damit einen mehr als in der Vorsaison zu erreichen, den Fans etwas zurückzugeben und den Flow in die neue Saison mitzunehmen.

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Es bleibt eine "kleine" Serie

"Es geht darum, dass wir das Spiel gewinnen und diese Mentalität hochhalten und uns nicht zufrieden geben, weil wir jetzt eine kleine Serie haben", sagt Leitl vor dem Auswärtsspiel gegen Preußen Münster. "Ich will eine große Serie, und ich will diese große Serie über den Sommer hinaus. Das hab' ich den Jungs so gesagt, und das nehm' ich in jeder Trainingseinheit wahr."
 
Am Freitagabend war von jenem Ehrgeiz jedoch nichts mehr zu spüren. Hertha verlor enttäuschend wie verdient mit 0:2 beim Abstiegskandidaten. Und so endet die Serie der "alten Dame", bevor sie zu einer großen werden konnte.

Ein gebrauchter Tag

Dabei hätte alles so perfekt beginnen und Hertha nach nur acht Sekunden in Führung gehen können. Eine einstudierte Anstoßvariante über wenige Stationen brachte Jonjoe Kenny im Münsteraner Strafraum an den Ball. Der Rechtsverteidiger wurde aber in letzter Sekunde noch so behindert, dass er den Ball nicht aus wenigen Metern aufs und vermutlich ins Tor bugsieren konnte.
 
Es hätte wohl niemand geglaubt, dass jene Szene die gefährlichste der Berliner im gesamten Spiel bleiben würde. Denn abseits davon erlebte Hertha einen maximal gebrauchten Tag. Ob es der Torwartwechsel vor Anpfiff – Tjark Ernst verletzte sich beim Aufwärmen, sodass Dennis Smarsch sein Saisondebüt feierte – war, die zahlreichen unzureichenden Tagesformen oder die Rote Karte für Linus Gechter in der 77. Minute, nachdem er bei einer Grätsche etwas zu spät kam und den Gegner traf.

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Nach nur wenigen Minuten im Spiel war zu spüren, dass es ein langer Arbeitstag für die Hauptstädter werden könnte. Nichts wollte so wirklich gelingen. Ständig versprangen Bälle, kamen Pässe zu ungenau oder der Lösungsgedanke nicht schnell genug. Es war früh zu erkennen, dass den Spielern die exakte Antwort darauf fehlte, wie sie am Freitagabend zu Toren kommen wollten – abseits von etwaigen Anstoßvarianten.

Ein guter Gegner

Gegner Münster hingegen zeigte ein für seine Situation hervorragendes Spiel. Der SCP verstand es gegen den Ball sehr gut, tief im 5-3-2 keine Lücken zu lassen. Herthas Spielgestalter Ibrahim Maza und Michael Cuisance wurden permanent in Manndeckung genommen. Löste sich dafür ein Spieler aus der Formation, schoben seine Kollegen sofort nach und füllten den Raum auf. Eine emsige Defensivmaschine, gegen die viele Mannschaften Probleme hätten.
 
Dass Hertha hier keine Lösung fand, kann sicherlich an der Berliner Fahrigkeit festgemacht werden. Es zeigt auch auf, dass Gegner und Spielverlauf nicht immer etwas anbieten können und es zur nächsten Entwicklungsstufe gehört, aus dem eigenen Ballbesitz heraus Ideen zu entwickeln – und nicht nur auf Umschaltmomente über Fabian Reese zu lauern.

Auch offensiv machte Münster, das immerhin das geballte Momentum aus einem Trainerwechsel und 5:0-Kantersieg gegen Aufstiegsaspirant Magdeburg im Rücken hatte, vieles richtig. Das Heimteam spielte nach Ballgewinnen stets sehr vertikal in die Tiefe, was Toni-Leistner-Vertreter und Aushilfsinnenverteidiger Andreas Bouchalakis aufgrund fehlenden Tempos riesige Probleme bereitete. So kam Hertha fast jeder Ballverlust teuer zu stehen.

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Erinnerungen an schlimme Zeiten

Was das Fass zu Gunsten Münster überlaufen ließ, waren aber die eigenen Fehler. Hertha machte sich das Leben durch unzählige, völlig unnötige Ballverluste selbst schwer. Zwar war das 1:0 Münsters an Schönheit kaum zu überbieten, es konnte aber nur fallen, weil Linus Gechter sie mit einem schlampigen Fehlpass dazu einlud.
 
Auch das Gegentor zum 0:2 aus Hertha-Sicht fiel deutlich zu einfach, wurde von Hertha regelrecht provoziert: Ein langer Einwurf in den Strafraum reichte, weil dort niemand beim völlig freien (Doppel-)Torschützen Jorrit Hendrix stand. Ein Abwehrverhalten so nervös und naiv, dass es an die dunklen Phasen unter Leitl-Vorgänger Cristian Fiél erinnerte.

Im Allgemeinen wirkte es so, als habe Leitl nicht mehr entscheidend auf seine Mannschaft einwirken können. In einem Spiel, in dem es für Abstiegskandidat Münster noch um alles und für Hertha um kaum noch etwas ging, war die Heimmannschaft in nahezu jeglicher Disziplin die entscheidenden Prozentpunkte vorne. 64 Prozent Ballbesitz, aber nur acht Schüsse und ein Expected-Goals-Wert von dramatischen 0,24 drückt passend aus, wie zahnlos und uninspiriert Hertha am 33. Spieltag agiert hatte.

Mental schon in der Sommerpause?

Zwar wäre es mehr als angebracht gewesen, dass sich Herthas Profis nach der mehr als enttäuschenden Spielzeit bis zu ihrem Ende zumindest dafür zerreißen, Verein und Fans möglichst viel zurückzuzahlen, doch das bleibt wohl ein frommer Fan-Wunsch. Bereits in den letzten Wochen war ein Spannungsabfall zu erkennen, der von den positiven Ergebnissen und Serienerzählung noch verschleiert werden konnte.
 
Ob die Rücktritte von Andreas "Zecke" Neuendorf und Thomas E. Herrich, der Abgang von Ibrahim Maza, zahlreiche auslaufende Verträge und Gerüchte um Zu- wie Abgänge – es ist spürbar, wie sehr Hertha seit dem feststehenden Klassenerhalt schon tief in den Planungen für die kommende Saison steckt.

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Dass das nicht spurlos an einer Mannschaft vorbeigeht, ist nahezu naturgemäß. Gegen Münster standen zig Spieler auf dem Feld, die bereits wissen, dass sie Berlin verlassen werden oder die sich ihrer Zukunft überhaupt nicht sicher sind – und das spiegelte sich in einer diffusen Leistung ohne Ecken und Kanten wieder.
 
Gegen Hannover hat Hertha die Chance, sich am letzten Spieltag und finalen Heimauftritt noch einmal ordentlich von seinen Fans zu verabschieden. Dafür braucht es eine deutlich bessere Leistung als gegen Münster. Wie sagte Leitl vor ein paar Tagen: "Die letzten Spiele bleiben besonders in Erinnerung."

Sendung: rbb24, 09.05.2025, 21.45 Uhr