Symbolbild: Fußballturnier für Kindermannschaften eines Kinder-Sporvereins. (Quelle: imago images/Hohlfeld)

Generationenforscher Rüdiger Maas Generationenforscher Rüdiger Maas: "Die Vereine sind keine zweite Heimat mehr"

Stand: 13.05.2025 13:40 Uhr

Geht es nach dem Forscher Rüdiger Maas, hat sich das Verhältnis von Kindern zu Sportvereinen in den letzten Jahren gehörig geändert. Ein Grund sind Eltern, die sich immer stärker einmischen – mit Folgen für Kinder, Trainer und das Vereinsleben.

rbb|24: Herr Maas, Sie als Generationenforscher müssen es wissen: Welche Rolle spielt Sport aktuell bei Kindern und unterscheidet sich das im Vergleich zu früher?
 
Rüdiger Maas: In den meisten Fällen, und das haben wir sogar im Spitzensport festgestellt, entscheiden inzwischen die Eltern über den Sport der Kinder. Zum Beispiel, weil sie vom Kinderarzt hören, dass es wichtig sei, dass sich das Kind mal bewegt. Und es stimmt ja auch, wir haben immer mehr Kinder, die übergewichtig sind.
 
Aber dann ist es doch gut, dass die Eltern aktiv werden.
 
Es ist aber zuerst mal der Wunsch der Eltern, und nicht der Kinder. Einer der Gründe sowie das überprotektive Verhalten der Eltern, dass diese mit 'in den Vereinsraum' gehen. Auch, weil im Gegensatz zu früher längst auch Kleinkinder zum Sport gehen. Karate zum Beispiel war früher vielleicht ab dem zehnten Lebensjahr möglich. Jetzt halt schon ab fünf. Und anfangs sind die Vereine natürlich auch dankbar, dass die Eltern noch dabei sind. Aber häufig finden sie den Weg raus nicht mehr. Und üben so über kurz oder lang Druck auf die Trainer aus.

Die klassischen Fußball-Eltern, die nicht verstehen, warum ihr Kind, dass doch im Prinzip der kommende Nationalspieler ist, gar nicht mitspielt.
 
Das berichten uns viele Trainer. Sogar Lothar Matthäus hat deswegen hingeschmissen (Der frühere Nationalspieler trainierte bis 2024 für zwei Jahre ein Jugendteam des TSV Grünwald, Anm. d. Red.). Aber es führt noch weiter. Dadurch dass auch die Eltern in die Vereine gehen, sind diese keine zweite Heimat, keine zweite Familie mehr, sie haben ja ihre eigene quasi schon dabei. Das erhöht zudem auch die Wechselbereitschaft. Kinder können so unmittelbar mit den Eltern sprechen, doch lieber etwas anderes zu machen. Der Beginn des Vereins-Hoppings ...
 
Es fehlt also die kritische Distanz zum eigenen Leistungsvermögen?
 
In den meisten Fällen haben die Eltern ja gar keine Ahnung vom jeweiligen Sport. In der Regel schauen sie während des Trainings zudem durchweg auf ihr Handy und können gar nichts Gehaltvolles sagen, wenn ihr Kind danach zu ihnen anstatt zum Trainer kommt und fragt: Wie war ich? Hast du das und das gesehen? Dabei ist es wichtig, Hürden zu überwinden, gegen Widerstand besser zu werden. Nur wird dieses Erleben verunmöglicht. Statt dran zu bleiben und einen Ehrgeiz zu entwickeln, wird abgebrochen und in der Folge mal der oder der Sport ausprobiert, aber nie einer richtig.

Wie war das früher?
 
Da ist man zum Fußball gegangen, weil die meisten Freunde dort waren. Und dann hat man noch außerhalb des Trainings auf dem Bolzplatz gespielt. Das war die Peergroup (Gruppe von gleichaltrigen oder gleichgesinnten Personen, Anm. der Red.). Heute sind das Eltern. Die Familie ist bei den Kindern immer dabei.
 
Junge Erwachsene verlagern oft ihren Sport weg vom Verein. Das zeigt auch der Boom des Fitness-Sports.
 
Zum einen geht es da um das Aussehen, um das Hedonistische. Zum anderen geht es darum, selbst über die Zeit zu entscheiden. Weil ich das 24 Stunden, sieben Tage die Woche machen kann. Auch nachts um drei Uhr. Es ist nichts schlimmer für junge Leute, als jeden Dienstag um 17 Uhr zum Training zu gehen. Diese Verbindlichkeit schreckt sie tatsächlich sehr stark ab. Die Fitnessanbieter haben das erkannt und bieten rund um die Uhr Zugang zu ihren Räumen. Am Ende trainieren sie wahrscheinlich trotzdem jeden Dienstag um 17 Uhr. Aber sie haben das Gefühl, es sich selbst ausgesucht zu haben.

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Das klingt alles ziemlich düster.
 
Wenn wir in die Zukunft schauen, können Ganztagsschulen, die nun bundesweit eingeführt werden, eine super Chance für Vereine sein. Weil wir gar nicht genügend Lehrer haben, um die Betreuung zu gewährleisten. Und dann können die Vereine die Nachmittagsbetreuung mit übernehmen.
 
In einem klassischen Sportverein treffen häufig alt und jung aufeinander. Nicht immer geht das gut aus.
 
Die Frage ist, ob es immer gut gehen muss, ob sie überhaupt zusammentreffen müssen. Ich kann nicht von einem 70-Jährigen erwarten, dass er Tiktok-Moves macht. Vielleicht ist es besser, die Jungen machen ihr Ding und die Alten ihres. Wobei ich einen die Generationen verbindenden Wunsch hätte.
 
Welchen?
 
Mehr analoges Leben in den Vereinen. Dass über Social Media für einen Verein Werbung gemacht wird, ist richtig und wichtig. Aber vielleicht können die Eltern mal ihr Handy weglegen. Oder in den Mannschaften: Da sehen wir immer wieder, dass es zwei, drei Influencer gibt, die die ganze Gruppe spalten. Ich finde, die Zeit im Verein sollte eine sein, wo endlich mal niemand am Handy ist.

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview wurde geführt von Ilja Behnisch.

Sendung: rbb24, 12.05.2025, 22 Uhr