Der ehemalige Radrenn-Profi Tony Martin bei der Giro d'Italia 2020 (Quelle: picture alliance / Roth | Roth)

Interview | Ex-Radrennfahrer Tony Martin Ex-Radrennfahrer Tony Martin im Interview: "Das ist ein Lebenszeichen des deutschen Radsports"

Stand: 14.05.2025 21:36 Uhr

Tour de France in Deutschland? Im Jahr 2030 könnte es wieder mal dazu kommen. Im Interview spricht der ehemalige Cottbuser Radprofi Tony Martin über die Pläne ostdeutscher Bundesländer und den Aufholbedarf im deutschen Radsport.

rbb|24: Tony Martin, vor wenigen Wochen haben Sie Ihren 40. Geburtstag gefeiert. Etwas nachträglich also: Alles Gute! Ihr Karriereende liegt dagegen schon ein paar Jahre zurück. Wo erreichen wir Sie – und wie nutzen Sie inzwischen die vielen Stunden, die Sie zuvor auf dem Fahrrad verbracht haben?
 
Tony Martin: Dankeschön. Ich habe noch einige Partnerschaften in der Fahrradwelt, wofür ich sehr dankbar bin – ich komme gerade auch von einem Foto-Shooting am Gardasee. Neben der Familie, die nach 14 Jahren Profikarriere endlich wesentlich mehr Zeit in Anspruch nehmen darf, habe ich beruflich drei Betätigungsfelder: Zum einen als Markenbotschafter für Fahrradmarken, zum anderen als Inhaber einer Firma, die Kinder- und Jugendfahrräder herstellt und die ich unter anderem mit dem ehemaligen Topsprinter Marcel Kittel gegründet habe. Und darüber hinaus bin ich in der Schweiz, wo ich mittlerweile lebe, an einer Sportschule tätig.

Im Laufe Ihrer aktiven Karriere haben Sie zahlreiche Titel und Erfolge gesammelt - auch bei der Tour de France, an der Sie mehrfach teilnahmen. Nun gibt es Pläne, das wichtigste Radrennen der Welt im Jahr 2030 im Osten Deutschlands starten zu lassen [sportschau.de]. Was war Ihre erste Reaktion, als Sie davon erfahren haben?
 
Ich fand das mega. Das ist mal wieder ein Lebenszeichen des deutschen Radsports. Wir sind ja doch, gerade was die Rennen angeht, immer mehr ins Hintertreffen geraten. Events in Deutschland sind eher rückläufig. Ich finde es ein ganz starkes Signal, sich darum zu bemühen, den Tourstart nach Deutschland zu holen. Das dürfte das Interesse des breiten Publikums wieder wecken, vor allem aber auch in der Jugend.
 
Es ist meine ganz große Hoffnung, dass der Radsport im Allgemeinen gerade unter Kindern wieder mehr wahrgenommen wird und dass der Nachwuchs dadurch gestärkt wird. Denn ich merke es in meiner eigenen Arbeit immer wieder: Es ist nicht gerade gut um den Nachwuchs bestellt. Die Mitgliederzahlen in den Vereinen und Mannschaften sind rückläufig.
 
Der bislang letzte "Grand Départ" in Deutschland fand 2017 in Düsseldorf statt. Welche Bedeutung hätte es – besonders für den Osten des Landes -, wenn die Tour de France wieder mal hierzulande präsent wäre? Rudolf Scharping, der Ehrenpräsident von German Cycling, sprach von einem potenziellen "Big Bang für die Region".
 
Das könnte einen Aufschwung geben und ein starker Impuls für den deutschen Radsport sein. Diesen Aufschwung kann man entweder durch Personen erreichen, die aktuell aber nicht in Sichtweite sind: durch Weltmeister oder Etappensieger bei der Tour de France. Die goldene Zeit liegt leider schon etwas zurück. Eine andere Möglichkeit ist es, einen lokalen Zugang zu schaffen – was bestenfalls von den Medien gepusht wird und ein breites Publikum erreicht.
 
Ich war 2017 live dabei: Es war bombastisch, was da drei Tage – trotz Sauwetter – an Menschenmassen unterwegs war. Das hat den Menschen und der Region sehr viel gegeben. Tendenziell sind die Menschen in Ostdeutschland, so wie ich es erlebt habe, sogar noch einen Tick sportbegeisterter. Ich kann mir also vorstellen, dass wir da in fünf Jahren eine ganz tolle Atmosphäre sehen würden.

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Die Ministerpräsidenten aus Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen unterstützen dieses Vorhaben. Hätten Sie sich gewünscht, dass auch Ihr Heimatbundesland Brandenburg oder Berlin als Hauptstadt dabei sein wollen?
 
Natürlich wäre es ein noch stärkeres Signal gewesen, wenn direkt aus Berlin – oder aus Brandenburg – eine Absichtserklärung gekommen wäre. Ich sehe das Glas aber halb voll. Es ist stark, dass sich drei Bundesländer dazu bekannt haben. Natürlich geht so ein Tourstart mit finanziellem Aufwand und gewisser Mehrarbeit einher. Man hat aber auch einen großen Return, weil man die schönen Lokalitäten der jeweiligen Bundesländer zur Tour de France ganz anders in Szene setzen kann.
 
Die Kosten, so heißt es, würden sich auf etwa 20 Millionen Euro belaufen. Die Organisatoren gehen aber davon aus, dass etwa das Zehnfache durch Tourismus-Einnahmen generiert werden könnte. Das klingt nach einem No-Brainer - fast zu gut, um wahr zu sein. Wie schätzen Sie das ein?
 
Ich habe immer Vorbehalte, wenn ich solche Kosten-Nutzen-Rechnungen sehe. Die klingen im Vorfeld immer positiv, im Nachhinein gibt es dann Beschwerden und Haushaltslöcher, die gerissen wurden. Wenn man von vornherein nur auf die Kosten schaut, kann man eigentlich nur verlieren. Ich würde vielmehr sehen, dass man gesellschaftlich und sozial etwas leistet und im Breitensport einiges bewirken kann: Kinder und Erwachsene dafür zu begeistern, Fahrrad zu fahren. Vielleicht kann man auch strukturell schwächere Regionen stärken. Man sollte also das große Ganze sehen und nicht nur auf die Euros schauen.
 
Vielen Dank für das Gespräch!
 
Das Interview führte Anton Fahl.