Zwei Schalen mit Pommes und veganen Nuggets. Bild: rbb

SV Babelsberg führt veganen Essensstand ein Ernährungsumstellung in der Fankurve

Stand: 01.11.2022 19:24 Uhr

Der Fußball-Regionalligist SV Babelsberg 03 will ein Zeichen setzen und stellt einen seiner beiden Essensstände im Karl-Liebknecht-Stadion auf vegane Ernährung um. Auch die Profis wurden schon testweise auf Fleischentzug geschickt.

Von Simon Wenzel

Es sind noch anderthalb Stunden bis zum Anpfiff des Regionalliga-Spitzenspiels zwischen Babelsberg 03 und dem Berliner AK. Im Karl-Liebknecht-Stadion werden die Lautsprecher mit Rockmusik getestet, gleich werden die Stadiontore geöffnet. Hinter der Nordkurve bruzzelt sich die Fritteuse warm. In der Bretterbude des Stadionimbiss' sind zwei Mitarbeiter des Cateringunternehmens mit den letzten Vorbereitungen beschäftigt.
 
In silbernen Kantinen-Bottichen und auf dem Grill werden vegane Würste (Chorizo-like, Bratwurst-like oder die gute alte Currywurst), Soja-Steaks, Gemüse-Schnitzel, vegane Bouletten und Nuggets vorbereitet. Dazu gibt es Pommes und "Chana Masala" - ein Kichererbsen-Curry.

Babelsbergs Trainer Markus Zschiesche (Foto: imago images / Jan Huebner)
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Babelsberg will ein Zeichen setzen - für den Klimaschutz

Thoralf Höntze, der Marketingverantwortliche des SV Babelsberg 03, ist stolz auf dieses breite Angebot. "Wir wollten ein Zeichen setzen", sagt er, denn: "Es gibt viele Stadien, in denen Pommes als einzige vegane Alternative dazu gegeben wird. Das ist nicht falsch, aber damit setzt man kein Zeichen." Babelsberg wolle es deshalb anders machen. Dabei gehe es dem Verein vor allem um den Klimaschutz. Man wolle das Wissen verbreiten, dass Massentierhaltung ein riesen Problem für die Umwelt sei. "Junge Menschen gehen auf die Straße und demonstrieren, weil wir einfach immer so weitermachen, wie bisher. Diese Kette müssen wir mal durchbrechen", sagt Höntze. Deswegen gibt es in Babelsberg einen komplett veganen Stand.
 
Eigentlich hatten die Babelsberger schon zum Saisonstart die Ernährungsumstellung fürs Publikum angekündigt, dann zog es sich mit der tatsächlichen Einführung noch bis Mitte Oktober. Hürden "unerwarteter Art" seinen da aufgetreten, erklärt Höntze. Andere Kühlketten zum Beispiel als bei den Fleischgerichten. Außerdem habe man einen Partner (also Essenshersteller) finden wollen, der zum Verein passt. Heraus kam ein Deal mit dem spanischen Unternehmen "Heura", das es aus Barcelona immerhin schon bis nach Holland geschafft hat und nach Höntzes Aussage jetzt auch auf den deutschen Markt will.
 
Seit dem Heimspiel gegen Meuselwitz vor zwei Wochen ist das "Karli" (so der liebevolle Spitzname des Stadions) kulinarisch geteilt: Ein Stand mit klassischer, fleischhaltiger Stadionwurst am Haupteingang und einer, der ausschließlich vegane Produkte verkauft an der Nordkurve. Mehr als zwei Essensstände braucht es hier nicht, im Schnitt kommen rund 2.500 Zuschauer:innen zu den Spielen.

Noch punktet die "klassische" Wurst beim Grill-Duell

Die Stadiontore sind inzwischen geöffnet. Bis zum Anpfiff des Spiels dauert es noch fast eine Stunde, aber entscheidend ist heute nicht nur auf'm Platz, sondern auch auf'm Grill.
 
Und da dominiert die klassische Wurst. Eine lange Schlange bildet sich vor dem Fleisch-Stand am Eingang. "Die schmeckt einfach besser", sagt Marco stellvertretend für die hier Wartenden, während er Senf aus dem Bottich auf seine Bratwurst drückt. Bratwurst und Bier, das ist eben auch jahrzehntelang gelernte, deutsche Fußballkultur.
 
Die Schlange am veganen Stand: Eher kurz, manchmal gar nicht vorhanden. Erst eine halbe Stunde vor dem Anpfiff wird es hier langsam belebter. "Mich hat der Hunger hergebracht", sagt Valentin. Er wirkt eigentlich wie jemand, der hier durchaus absichtlich stehen könnte: Eine-Woche-Bart, hippe Kleidung, schätzungsweise Mitte 20. Dass sein Verein vegane Ernährung vorantreibt, findet er "gut", aber: "Ich glaube, ich gehe eher auf die traditionelle Wurst." Am veganen Stand sei er nur gelandet, weil die Schlange auf der anderen Stadionseite so lang gewesen wäre. Auch das ist stellvertretend für die hier Wartenden. Blöd nur, dass es "normale" Würste am Stand hinter der Nordkurve ja gar nicht mehr gibt. Valentin guckt erstaunt. "Wie, gar nicht?!" Gar nicht ... Valentin zuckt die Schultern und bestellt dann eben vegan. Andere drehen ab und gehen leicht genervt zurück zum volleren Wurststand.

Marketingchef Höntze beobachtet "emotionales Projekt"

Man kann es als durchaus mutigen Schritt bezeichnen, was der SV Babelsberg da wagt - 50% des Essensangebots auf vegan umzustellen. Der Tierschutzverband "Peta" hatte 2019 einmal in einer Statistik die veganen Angebote in den Bundesliga-Stadien verglichen, Babelsberg wäre mit seinem aktuellen Angebot von acht bis neun verschiedenen veganen Gerichten ganz vorne dabei - als Regionalligist. Dirk Zingler, der Präsident von Bundesliga-Tabellenführer Union Berlin, beispielsweise hatte vor nicht allzulanger Zeit in einem "Sportbild"-Interview noch kundgetan, dass es im Stadion An der Alten Försterei auf absehbare Zeit keine veganen Würste geben werde.
 
"Ich mache das jetzt seit 20 Jahren und muss sagen, dass genau dieses Projekt eines ist, auf das die Leute am emotionalsten reagieren", sagt Thoralf Höntze. Die Meinungen zum veganen Essensstand seien aber überwiegend positiv. Der Verein sah sich auch von den eigenen Fans zum Schritt ermutigt. Im Januar hatte Babelsberg eine Online-Umfrage zur Verbesserung des Stadionerlebnisses durchgeführt. Rund 20% der 144 Teilnehmenden sollen Höntze zufolge angeregt haben, das vegane Speiseangebot zu vergrößern.

Babelsbergs Marketing-Verantwortlicher Thoralf Höntze. Bild: rbb

Der Babelsberger Marketingverantwortliche Thoralf Höntze vor seinem neusten Projekt: Dem veganen Essensstand.

Und für sein Kerngebiet Marketing könnte das vegane Essen ein voller Erfolg werden. Der Verein kriegt bisher viel (positive) Presse, "die Zeit" berichtete und das Fußballmagazin "11 Freunde". Bei letzterem durfte Babelsbergs Hauptsponsor "Oatly", ein schwedischer Haferdrink-Hersteller, zusätzlich noch einen gesponserten Werbe-Artikel über vegane Ernährung von Profisportlern platzieren. Die Haferdrink-Marketing-Genies haben vor etwas mehr als einem Jahr mit dem Verein eine Studie (mit echten Wissenschaftler:innen) durchgeführt: Ein Teil der Profi-Mannschaft ernährte sich in der Sommervorbereitung für acht Wochen vegan, der Rest normal. Die Leistungs- und Ernährungswerte wurden verglichen und man kam zu dem Schluss: Profisport und vegane Ernährung schließen sich nicht aus.

Spieler Hoffmann: "Wir sind ein Verein, der Positionen einnimmt"

Der Babelsberger Innenverteidiger Markus Hoffmann war damals in der veganen Gruppe. Auch heute ernährt er sich noch "zu 90%" vegan, wie er selbst sagt. Dass ihn das nicht schwächt, sehen die Zuschauer:innen (ob nun mit Bratwurst oder veganer Chorizo) im Spiel gegen den BAK. Entscheidend ist nach Anpfiff dann eben doch auf'm Platz - und da läuft es gut, Babelsberg erkämpft sich ein 0:0. Danach nimmt sich Hoffmann Zeit, um über die vegane Offensive seines Arbeitgebers zu sprechen.
 
"Ich habe das schon mitbekommen. Wir haben unserem Hauptsponsor auf der Brust und wir sind ja auch ein Verein, der Positionen zu neuen Denkweisen einnimmt. Ich denke mal, dass es zumindest nicht verkehrt ist und, dass es zu uns passt", sagt Hoffmann. Vor der vegangen Feldstudie 2021 (deren Ergebnisse erst in diesem Sommer publik gemacht wurden) habe es aber schon Bedenken im Team gegeben, immerhin sei der Test mitten in der Vorbereitung durchgeführt worden, also in einer Phase, wo die Spieler an ihre Leistungsgrenzen gebracht werden. Umso aussagekräftiger findet er die Ergebnisse: "Wir standen voll im Stress und trotzdem hat der Körper nicht negativ reagiert, sondern im Gegenteil: positiv", sagt Hoffmann.

Hauptsponsor, Stadion, Ernährung - der SV Babelsberg denkt ganzheitlich

Für den SV Babelsberg soll der vegane Essensstand noch lange nicht das Ende der Entwicklung sein. Es hänge "natürlich alles mit allem zusammen", sagt Thoralf Höntze. Der vegane Essensstand, der Hafermilch-Hauptsponsor - wobei er betont, dass Oatly bereits seit 2018 Partner des Vereins sei und sein Engagement nur ausgeweitet habe - und auch das Stadion, in dem die Babelsberger bereits seit 2017 ihre Initiative "Grünes Stadion" vorantreiben, mit Solaranlage und E-Fuhrpark.
 
"Das Feld ist riesengroß", sagt Höntze. Gemeinsam mit den Vereinspartnern wolle man prüfen, wo weiter Energie gespart oder die Umwelt geschont werden könne. Aber alles mit Augenmaß, deshalb gibt es noch einen echten Wurststand im Stadion. Es sei eben nicht so, dass sich 100% der Leute vegan ernähren wollten. "Das", so Höntze, "gibt die Gesellschaft nicht her". Im Gegenteil: Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes [externer Link] konsumiert der durchschnittliche Deutsche immer noch 55 Kilo Fleisch pro Jahr. Allerdings ist diese Zahl rückläufig, während der Markt für Fleischersatzprodukte boomt. Der SV Babelsberg geht also mit dem Trend, könnte man sagen.
 
Noch ist die klassische Wurst der Favorit und auch der gefühlte Sieger im Duell der beiden Grillbuden, als die Stadiontore schließen. Aber wie heißt es so oft im Fußball: Nach dem Spiel ist vor dem Spiel.