Zwift-Training

Sportschau-Selbsttest "Schließe die Lücke" - in der virtuellen Radsportwelt von Zwift und Co.

Stand: 22.06.2023 10:39 Uhr

Radsport aus dem Wohnzimmer: Online-Plattformen wie Zwift machen Rollentraining und -wettkämpfe immer populärer. Wie funktioniert das Ganze? Wir haben es getestet.

Kurz vor dem Trafalgar Square zieht der Australier plötzlich das Tempo an. Der Südkoreaner setzt nach, der niederländische Fahrer und ich haben Probleme, dranzubleiben. Ich zumindest muss aus dem Sattel und richtig Druck auf die Pedalen bringen, um in unserer kleinen Gruppe nicht reißen zu lassen. Ein Blick auf das Display zeigt: Meine Wattleistung schnellt kurzfristig auf weit über 300 an - und tatsächlich schaffe ich wieder den Sprung ans Hinterrad des Südkoreaners.

Radrennen durch Londons Innenstadt

Ich befinde mich mitten in einem Radrennen durch Londons Innenstadt. Fünfmal ist ein Rundkurs von knapp acht Kilometern zu bewältigen. Das sind fast 40 harte Kilometer, denn das Tempo ist hoch - wir sind voll im Wettkampfmodus. Und das an einem gewöhnlichen Werktag um kurz nach elf Uhr vormittags.

In Wirklichkeit strampele ich allerdings mitnichten auf der Insel. Ich sitze auf einer Rolle in einem Wohnzimmer in Koblenz. Ich bin eingetaucht in die Welt von Zwift, einer Online-Plattform für virtuelles Radtraining. Man kann dort auch an Live-Radrennen teilnehmen. Bei einem solchen bin ich heute dabei.

"Auf ganz neues Niveau geklettert"

Ich sitze auf einer Smart-Rolle neben meiner Gastgeberin Celine, die mich eingeladen hat. Gemeinsam mit ihrem Partner Dominik trainiert die 23-jährige Triathletin seit gut zwei Jahren regelmäßig mit Zwift. "Hat mir total was gebracht", sagt sie. "Vor allem in den Wintermonaten bin ich durch dieses Training auf ein ganz neues Niveau geklettert."

Die Vorteile liegen auf der Hand: "Man geht schlechtem Wetter und Dunkelheit aus dem Weg, es gibt keinen störenden Straßenverkehr, keine Ampeln, und Bürgersteige. Und man trainiert irgendwie nicht allein", sagt Celine. Heute will sie mir zeigen, wie das Ganze funktioniert.

Rennradtraining auf der Rolle

Rolle, WLAN und ein Endgerät - virtueller Radsport im Wohnzimmer von Celine

Smart-Rolle, Internetverbindung und Endgerät - los geht's

Im Wohnzimmer stehen zwei Smart-Rollen, die per Bluetooth mit zwei Laptops verbunden sind, auf der die Zwift-Online-Programme installiert sind. Das Grundprinzip: Die Rollen haben einen Leistungsmesser, aus der getretenen Wattzahl und dem Gewicht des Sportlers ermittelt Zwift die Geschwindigkeit des Avatars.

Durch die Eingabe des Körpergewichts des Nutzers berechnet das Programm zudem stets auch die gewichtsbezogene Leistung (Watt pro Kilogramm). Ferner kann mittels Zwift die "Functional Threshold Power" (FTP) bestimmt werden. Dies ist die Leistung, welche der Fahrer für 60 Minuten maximal bewältigen kann. 

Trainingspläne und Workouts zum Nachfahren

Hört sich kompliziert an. Ist aber irgendwie schnell verstanden, wenn sich die unterschiedlichen Trainings- und Wettkampf-Möglichkeiten auftun. Sowohl Zwift als auch kooperierende Firmen stellen Workouts und Trainingspläne zu Verfügung, die von professionellen Coaches zusammengestellt worden sind. Daneben stellen mittlerweile einige Profiteams oder einzelne Profisportler ihre Trainingsprogramme auf Zwift zum Nachradeln zur Verfügung.

Wer ein bisschen mehr Action und Nervenkitzel möchte - für den sind Events und Rennen genau das Richtige. Bei Zwift stehen diverse Rennen zu jeder Tageszeit bereit. Die Rennen sind kurz, aber anspruchsvoll. Die Einteilung in den Gruppen erfolgt durch den ermittelten FTP-Wert. 

Virtuelles Rennen - bloß nicht reißen lassen!

Mit Celine bin ich also in einem Rennen durch London gelandet. Während Celine zu Beginn noch mit ihrer Bluetooth-Verbindung zu kämpfen hatte und erst zwei Minuten nach dem Startschuss hinter dem Feld herhetzen musste, habe ich erstmal klassisch den Start verpennt. Ich gehe die Sache ganz entspannt an - und verpasse gleich die davonstürmende Führungsgruppe.

Wie im richtigen Radsport-Leben erkenne ich meinen Fehler zu spät und schaffe den Anschluss nicht. Auch bei Zwift spielt der Windschatten eine Rolle. Wer den Anschluss verliert, hat kaum Chancen, wieder zurückzukommen. So lande ich in der zu Beginn schon erwähnten Vierergruppe, wir liegen in dem 39 Fahrer starken Feld auf den Plätzen 30 bis 33.

Rennradtraining zu Hause auf der Rolle

Anschluss verloren - aus dem Wohnzimmer in ein virtuelles Rennen

"Schließe die Lücke"

Jeder von uns geht mal in die Führung, kleinere Ausreißversuche werden von den anderen gekontert. "Schließe die Lücke" erscheint als Aufforderung auf meinem Bildschirm, wenn ich drohe, den Anschluss an meine Gruppe zu verlieren. Oder wenn - was während unserer Fahrt immer häufiger passiert - schnellere Radler aus einem anderen parallel stattfindenden Rennen an uns vorbeiziehen.

Die ganze Sache macht Spaß, wir können live so richtig gegeneinander fighten. Die Zeit vergeht wie im Flug. Der Schweiß rinnt mittlerweile in Strömen - doch ein Handtuch aus dem Bad zu holen ist tabu. Ich würde hoffnungslos den Anschluss verlieren und käme niemals zurück. Auf der letzten der fünf Runden geben wir noch einmal richtig Gas und unter dem virtuellen Jubel der Zuschauer am Rand der Strecke rollen wir nach einer guten Stunde über die Ziellinie.

UCI veranstaltet mit Zwift eSport-Weltmeisterschaften

Diese Art Wettbewerb hat was - es motiviert ungemein, wenn man nicht allein vor sich hinradeln muss. Vor allem in der Coronazeit hatte die Zwift-Plattform, die seit 2014 auf dem Markt ist, erheblichen Zulauf. Über drei Millionen angemeldete Nutzer weltweit verzeichnet das amerikanische Unternehmen aktuell - mit 15 Euro Gebühr im Monat ist man dabei.

Insgesamt ist virtueller Radsport mittlerweile in der Szene enorm akzeptiert. In diesem Jahr fanden bereits zum dritten Mal die "UCI Cycling Esports World Championships" statt - die Esports-Indoor-Weltmeisterschaften. Sie werden von der Union Cycliste International (UCI) in Kooperation mit Zwift ausgetragen und sind sogar live auf diversen Streaming-Kanälen zu sehen.

Zwift Academy - über virtuelle Leistung in ein Profiteam

Zudem gibt es seit 2016 die Zwift Academy, die seitdem als Modell für digitale Talentsuche dient. Es ist das erste Programm seiner Art, das Teilnehmern die Chance gibt, sich einen Platz in einem professionellen Team zu verdienen. Weibliche Teilnehmer der Zwift Academy haben die Chance, einen Vertrag mit dem UCI Women‘s WorldTour Team Canyon/Sram Racing zu verdienen und männliche Teilnehmer können einen Vertrag mit dem UCI ProTeam Alpecin-Deceuninck ergattern.

Jay Vine ist dabei unzweifelhaft der größte Erfolg, den die seit 2016 bestehende Zwift Academy hervorgebracht hat. Der Australier setzte sich im Casting-Programm der Online-Plattform 2020 durch, ergatterte so einen Vertrag mit Alpecin-Fenix für 2021 und startete 2022 voll durch: Er gewann zwei Bergetappen der Vuelta a Espana und empfahl sich für einen Zweijahresvertrag beim UAE Team Emirates, wo er seitdem an der Seite von Tadej Pogacar klettern darf.

Virtuelle Online-Radsport-Plattformen:

Zwift macht aus dem Training in den eigenen vier Wänden ein Gemeinschaftsevent mit Wettbewerbscharakter. Verschiedene Welten, mehr als 140 Strecken und viele Rennen und Gruppenfahrten gegen die Langeweile.

Bei Bkool findet man Strecken als 3D-Animation, als 2D-Filmmaterial oder verzeichnet in einer Landkarte. Ein Strecken-Upload ermöglicht es, ganz persönliche Hausstrecken zu fahren oder sich gezielt auf bestimmte Touren vorzubereiten.

Auf Rouvy fährt man als animierter 3D-Avatar über tatsächlich abgefilmte Strecken. Augmented Reality (AR) ist das Merkmal, mit dem man sich von der Konkurrenz abheben möchte.

The Sufferfest (Wahoo Systm) setzt beim Training auf Effektivität. Die App hat klar strukturierte Trainingseinheiten und verzichtet auf virtuelle Animationen. Stattdessen werden aufgezeichnete Profi-Übertragungen aus dem TV zusammengeschnitten.

RGT heißt eigentlich Real Grand Tours - Realismus ist agesagt. Mit dieser App kann man ausschließlich reale Strecken befahren und sich auf eine realistische Fahrdynamik verlassen.