Tadej Pogacar und Jonas Vingegaard
Tourreporter

1. Etappe der Tour de France Das Duell Vingegaard gegen Pogacar geht direkt los

Stand: 01.07.2023 09:03 Uhr

Jonas Vingegaard und Tadej Pogacar sind die Topfavoriten im Kampf um das Gelbe Trikot bei der Tour de France. Das erwartete Duell wird wohl schon auf der ersten Etappe eine zentrale Rolle spielen.

Von Michael Ostermann, Bilbao

Eine Atempause noch. Das Fahrerfeld der Tour de France rollt durch die Straßen von Bilbao, vorbei am geschwungenen Bau des Guggenheim-Museums, hinaus aus der Stadt - in einer Art Parade. Nach 11,3 Kilometern Defilee schwenkt Tourdirektor Christian Prudhomme aus seinem roten Auto hinaus mit einer Fahne und startet die 110. Ausgabe der Frankreich-Rundfahrt. Und dann?

3.221 Höhenmeter zum Auftakt in Bilbao

"Diese Tour startet mit einem großen Knall", sagt der Pole Michael Kwiatkowski vom Team Ineos Grenadiers. Schon die erste Etappe könne zeigen, wer die Tour am Ende gewinnt. Kwiatkowski kennt sich aus mit so was. Er begleitete Christopher Froome und Egan Bernal bei ihren Toursiegen als wichtiger Helfer.

Es gibt diesmal kein Einrollen, keinen Appetizer auf die kommenden drei Wochen Radrennen, es geht gleich zur Sache. Die erste Etappe der Tour de France führt über 182 Kilometer rund um Bilbao. Auf dem Menü stehen zum Auftakt 3.221 Höhenmeter. Mit dem Pike Bideo - den die Franzosen für ihr Rennen in Côte de Pike umgetauft haben - wartet rund neun Kilometer vor dem Ziel ein zwar nur zwei Kilometer langer, aber im Schnitt zehn Prozent steiler Anstieg, der auf den letzten Metern sogar 15,6 Prozent Steigung erreicht.

Pogacar - der Kannibale im Frühjahr

Spätestens dort werden die beiden haushohen Favoriten im Kampf um das Gelbe Trikot also aufeinander prallen. Denn - da sind sich alle einig - die Tour de France wird auch in diesem Jahr wieder ein Duell zwischen Jonas Vingegaard, 26, dem Gesamtsieger im vergangenen Sommer, und Tadej Pogacar, 24, dem Toursieger der Jahre 2020 und 2021. Die anderen Klassementfahrer gelten allenfalls als Anwärter auf den verbleibenden Platz neben den beiden auf dem Podium in Paris.

Pogacar hatte im Frühjahr seinem Ruf als der neue Kannibale im Fahrerfeld alle Ehre gemacht. Wie einst Eddy Merckx dominierte er die meisten Rennen, bei denen er antrat. Zehn Siege gelangen ihm bis Mitte April - gerne im Alleingang. Darunter waren Erfolge bei der Flandern-Rundfahrt, dem Amstel Gold Race und dem Flèche Wallone. Doch dann beendete ein Sturz bei Lüttich-Bastogne-Lüttich die Siegesserie des Slowenen abrupt und störte seine Vorbereitung auf die Tour de France empfindlich.

Pogacars Handgelenk fast wieder hergestellt

Mit drei gebrochenen Knochen im linken Handgelenk und Gips war Training auf der Straße nicht möglich, sechs Wochen setzte ihn die Verletzung weitgehend außer Gefecht. Die Hand bereite ihm inzwischen aber keine Schmerzen mehr und die Mobilität des Gelenks sei zu 60, 70 Prozent wieder hergestellt, berichtete Pogacar. Eine Computer-Tomographie am vergangenen Montag habe ergeben, dass zwei der drei kaputten Knochen inzwischen vollständig geheilt seien, der dritte brauche noch ein bisschen.

Er habe in den vergangenen Tagen also ordentlich trainiert, erklärte Pogacar. Nebenbei räumte er bei den slowenischen Meisterschaften beide Titel ab. Das Straßenrennen gewann er natürlich im Solo und im Einzelzeitfahren war er mehr als fünf Minuten schneller als der Zweite. "Die Beine sind gut, die Mentalität ist super gut", konstatierte Pogacar vor dem Start in Bilbao trocken.

"Deine Tour", Folge 4 - Die Tourgiganten

Sportschau, 26.06.2023 13:24 Uhr

Vingegaard sieht sich nicht als Gejagten

Bei Vingegaards Team Jumbo-Visma glauben sie ohnehin nicht daran, dass Pogacar nicht im Vollbesitz seiner Kräfte zur Tour de France angereist ist. "Ich erwarte, dass er in absoluter Topform ist", sagt der Sportliche Leiter des Teams, Grischa Niermann. Dass der Slowene in den Tagen vor der Tour versucht hat, Vingegaard die alleinige Favoritenrolle zuzuschieben und seinen neuen Edelhelfer im Team UAE Emirates, den Briten Adam Yates, als Co-Kapitän ins Spiel zu bringen, haben sie bei Jumbo-Visma als Psycho-Spielchen verbucht.

Vingegaard selbst hat die Rolle des Gejagten in Bilbao gleich mal in die des Jägers umgewandelt, denn schließlich jage er ja seinen zweiten Toursieg. Der Däne hatte ein nicht ganz so herausragendes Frühjahr wie sein Rivale. Bei Paris-Nizza war er Pogacar deutlich unterlegen. Doch bei der Dauphiné-Rundfahrt im Juni, einem bedeutenden Formtest vor der Tour de France, fuhr Vingegaard der Konkurrenz dann ebenfalls spielend davon.

Sportschau Tourfunk, 30.06.2023 12:51 Uhr

Attacken gleich zu Beginn

Der Vorjahressieger rechnet fest damit, dass Pogacar schon gleich zu Beginn der Tour attackieren wird - schon allein um zu zeigen, dass er da ist. Die kürzeren, aber steilen Anstiege auf der ersten Etappe sind zudem eher das Terrain für den Slowenen mit seiner explosiven Fahrweise, während Vingegaard eher die langen Anstiege im Hochgebirge präferiert.

Aber natürlich ist der Däne vorbereitet. "Wir haben das auch trainiert", sagt sein Sportlicher Leiter Niermann. Und bei der Dauphiné habe Vingegaard zuletzt bewiesen, "dass er auch enorm gut ist mittlerweile an diesen kurzen, steilen und explosiven Anstiegen." Und Pogacar auf den Zahn fühlen - beziehungsweise auf das Handgelenk - werden Vingegaard und sein Team auch wollen.

Für Fahrer wie den Franzosen Julian Alaphilippe oder den Niederländer Mathieu van der Poel, denen ein Profil wie das der ersten Etappe liegt und die sich vielleicht Hoffnungen auf das erste Gelbe Trikot machen, sind das alles keine guten Nachrichten. "Ich frage mich, ob UAE und Jumbo versuchen werden, die ganze Etappe zu kontrollieren und schwer zu machen", sagt Michael Kwiatkowski. Denn dann würde es schon gleich zu Beginn der Etappe mit zwei Anstiegen unmittelbar nach Kilometer null schwierig: "Es wird auf jeden Fall einer der härtesten Starts der Tour de France jemals."