Martin Hiller im Kanu

Weltmeister unter geheim gehaltenen Dopern Namen unter Verschluss: 76 unbekannte deutsche Doper

Stand: 25.05.2025 22:32 Uhr

ARD-Recherchen zeigen: Deutschlands Dopingjäger veröffentlichen aufgrund datenschutzrechtlicher Risiken seit Jahren die Namen von überführten Dopern nicht mehr. Das wurde nicht einmal in Fachkreisen bemerkt.

Von Hajo Seppelt, Nick Butler und Lea Löffler

Am erstaunlichsten ist, wie lange die Geheimhaltung niemandem aufgefallen ist. Seit März 2020 hat die NADA die eigene namentliche Veröffentlichung von Sanktionsentscheidungen eingestellt. Sie erstellt nur einmal im Jahr, in der Regel irgendwann im Juni, eine Statistik, in der auch die Zahlen zu positiven Dopingproben in Deutschland aufgelistet sind. Die NADA nennt aber keine Namen von Betrügern mehr.

Der ARD-Dopingredaktion ist das Vorgehen erst aufgefallen, als sie sich nun nach einem Hinweis auf einen Dopingfall des deutschen Kanuten Martin Hiller, einem früheren Welt- und Europameister, bei der NADA nach dem Vorgang erkundigte. Die NADA hatte das Verfahren selbst geführt, nicht eine internationale Institution. Sie hatte Hiller, der in zwei Dopingproben positiv auf drei anabole Wirkstoffe getestet worden war, Mitte Februar 2025 rechtskräftig für vier Jahre gesperrt. Den Vorgang hatte die NADA aber nicht öffentlich gemacht, obwohl es sich um einen hochdekorierten Athleten aus einer der erfolgreichsten deutschen olympischen Sportarten handelt.

Martin Hiller im Dress der Nationalmannschaft

Kanute Martin Hiller, früheren Welt- und Europameister

76 Prozent der Betrüger namentlich nicht bekannt

Ein Abgleich der veröffentlichten Zahlen mit den veröffentlichten Namen von Dopern zeigte dann ein eklatantes Missverhältnis: 76 Prozent der Betrüger, so räumte die NADA nach der ARD-Veröffentlichung ein, sind in den vergangenen fünf Jahren nicht öffentlich geworden, in Summe 76 Doper. Sie stammen durchaus auch aus publikumswirksamen Sportarten wie der Leichtathletik oder Schwimmen, aus mindestens 18 olympischen Sportarten. Da die Daten ab 2024 noch nicht veröffentlicht sind, könnten es auch mehr sein.

"Aus Sicht der Öffentlichkeit fehlt es an Transparenz und Offenheit, was die Anti-Doping-Bekämpfung angeht", klagt der Kölner Sportjurist Jan F. Orth: "Man wird ahnungslos gehalten.“ Die Praxis war so lange nicht aufgefallen, weil trotz der restriktiven NADA-Haltung immer wieder einzelne Dopingfälle publik geworden waren, publiziert in diesen wenigen Fällen entweder von Dritten oder den Betroffenen selbst.

NADA führt Rechtsrisiken an

Nur auf konkrete Nachfragen zu namentlich bekannt gewordenen Fällen hatte die NADA dann Medien gegenüber die Sachverhalte eingeräumt. Aus eigener Initiative gingen die Dopingbekämpfer indes nicht an die Öffentlichkeit. Dabei schreibt der Welt-Anti-Doping-Code die Publikation von rechtskräftig abgeschlossenen Fällen unter Nennung des Namens des Dopers und anderer Details ausdrücklich vor. Die NADA hingegen beruft sich auf Rechts-Risiken.

Dr. Lars Mortsiefer fungiert bei der NADA als Vorstandsvorsitzender

Dr. Lars Mortsiefer fungiert bei der NADA als Vorstandsvorsitzender.

Sie stehe, sagt ihr Vorstandsvorsitzender Lars Mortsiefer, "in der Anti-Doping-Arbeit in einem wichtigen Bereich für Transparenz, für Nachvollziehbarkeit und valide Entscheidungen ein. Allerdings beißt sich das im Moment mit dem geltenden Recht im Datenschutz.

Die ewige Prüfung der Datenschützer

Noch immer läuft ein vor über fünf Jahren eingeleitetes Prüfverfahren der für die NADA zuständigen Landesbeauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit Nordrhein-Westfalen. Es wurde angestoßen von einem Amateur-Radfahrer, der sich gegen die Veröffentlichung von Sanktionsentscheidungen wehrt. Nach vorläufiger Einschätzung der Datenschützer ist die Veröffentlichung personenbezogener Informationen nicht zulässig, weil dafür eine Rechtsgrundlage fehle.

Der Kölner Sportrechtler Orth gibt zu bedenken: "Die Rechtsfolgen, die der NADA drohen, Schadenersatzansprüche durch die Athleten oder Bußgelder durch die Datenschutzbehörden nach der Datenschutzgrundverordnung, sind erheblich.“ Allein: Obwohl die zugrunde liegende Datenschutzgrundverordnung für ganz Europa gilt, geht kaum eine andere Nationale Anti-Doping-Organisation ähnlich restriktiv mit der Veröffentlichung von Betrüger-Namen um, wie die deutsche.

"Die Sportler, die ihr Renommee beziehen aus einer medialen Berichterstattung und einem öffentlich gefeierten sportlichen Erfolg haben sich, wenn sie gedopt haben, diesen Erfolg erschummelt“, sagt Sportrechtler Orth, "und dann haben sie, denke ich, aus moralischer, ethischer, aber auch rechtlicher Sicht keine Berechtigung, diesen falschen Gewinnanschein weiter vor sich herzutragen. Und deswegen brauchen wir eine entsprechende rechtliche Möglichkeit.

Entsetzen der Athleten

NADA-Chef Mortsiefer wähnt alle Beteiligten aus Sport, Politik oder Medien informiert über das Vorgehen - zumal die NADA auf das Problem in ihren Veröffentlichungen am Rande hinweist. De facto allerdings reagieren alle überrumpelt vom Vorgehen, weil sie es bisher nicht wahrgenommen haben.

"Ich bin wirklich sehr überrascht, dass die Veröffentlichungspraxis der NADA sich in den letzten Jahren verändert hat“, sagte der sportpolitische Sprecher der CDU/CSU, Stephan Mayer, der ARD-Dopingredaktion: "Wenn das Verfahren abgeschlossen ist, wenn die Strafe auch rechtsgültig festgelegt ist, dann ist es aus meiner Sicht in der Abwägung so, dass die Veröffentlichung stattfinden sollte, weil es sich um staatlich geförderte Athletinnen und Athleten handelt, dass es um Steuergelder geht, die investiert werden in den Sport und dass es natürlich auch aus Wettbewerbsgründen darum geht, dass die Mitbewerberinnen und Mitbewerber auch darüber informiert werden."

Geheimsache Doping - "Die Akte China"

Sportschau, 21.04.2024 08:00 Uhr

Sogar Athletenvertreter mahnen eine Rückkehr zur vorherigen Veröffentlichungspraxis an. "Dopingfälle sind Dopingfälle, egal, wie erfolgreich man ist oder wie erfolgreich man war oder ob man ein Talent ist“, sagt Patrick Dogue, Athletensprecher der Modernen Fünfkämpfer. Er ergänzt: "Wenn man positiv ist, ist man positiv und da hat die sportliche Karriere am Ende nichts mit zu tun, inwieweit das offengelegt werden sollte. Da sollte der Name genannt werden, da sollte die Substanzen genannt werden.

Bob-Anschieber Georg Fleischhauer, Weltmeister von 2023, sagte der ARD-Dopingredaktion: "Die Abschreckung an sich finde ich schon wichtig, weil anderen Sportlern ja auch bewusst sein muss, dass, wenn man was Verbotenes macht, dass man bestraft wird. Und wenn das irgendwann nicht mehr der Fall ist, dann denkt ja auch jeder: Okay, ist ja nicht so schlimm - im Zweifel passiert nichts Schlimmes, ich bin vielleicht ein paar Monate weg und dann geht es weiter. Und das, finde ich, darf halt nicht passieren."

Ein Schild mit der Aufschrift "Dopingkontrolle"

Ein Fall ist jetzt bekannt - wie viele weitere noch folgen, hingegen nicht. Es droht eine Lawine für den deutschen Sport.