9 Minuten angezeigte Nachspielzeit bei Aston Villa gegen Everton am 20. August 2023 in der Premier League

Längere Spiele UEFA gegen FIFA - Krach um die Nachspielzeit

Stand: 01.09.2023 14:04 Uhr

"Vollkommen absurd" - die UEFA hat sich gegen das Vorgehen der FIFA ausgesprochen, deutlich länger nachspielen zu lassen. Die beiden Verbände sind erneut auf Konfrontationskurs.

Lange Nachspielzeiten im zweistelligen Bereich? "Das ist vollkommen absurd", sagt Zvonimir Boban. Der frühere kroatische Nationalspieler ist ein Vertrauter von UEFA-Präsident Aleksander Ceferin und bekleidet bei der UEFA das Amt eines technischen Direktors.

"Was das Wohlergehen der Spieler angeht, ist es eine Art von kleiner oder großer Tragödie, weil wir fast 12, 13, 14 Minuten pro Spiel hinzufügen." Spieler würden in den letzten Minuten der Partie müde. "Und dann kommt jemand und hängt weitere 15 Minuten dran", sagte der UEFA-Funktionär bei einem Medientermin der UEFA am Rande der Champions-League-Auslosung am Donnerstag (31.08.2023) in Monaco.

UEFA-Funktionär Zvonimir Boban: Lange Nachspielzeit "vollkommen absurd!"

UEFA-Funktionär Zvonimir Boban: Lange Nachspielzeit "vollkommen absurd!"

UEFA-Schiedsrichterchef Rosetti: Schnell weiterspielen ist wichtiger als Nachspielzeit

Neben Boban, der früher stellvertretender FIFA-Generalsekretär war, äußerte sich auch der Schiedsrichterchef der UEFA, Roberto Rosetti. "Es gibt etwas Wichtigeres als die genaue Abrechnung der Nachspielzeit", sagte Rosetti. "Warum gefällt den Leuten die Champions League so gut? Weil es intensiv und fantastisch ist und die Spieler nie aufhören."

Die UEFA gehe anders vor, sagte Rosetti. "Wir fordern unsere Schiedsrichter auf, die Wiederaufnahme des Spiels zu beschleunigen, anstatt sich auf die Nachspielzeit zu konzentrieren."

UEFA-Schiedsrichterchef Roberto Rosetti

UEFA-Schiedsrichterchef Roberto Rosetti

FIFA-Schiedsrichterchef Collina: UEFA war an den Beratungen beteiligt

Die FIFA reagierte noch am selben Abend, Schiedsrichterchef Pierluigi Collina meldete sich in einer Mitteilung. "Schon seit einiger Zeit haben Fans, Spieler, Trainer, Klubs, Ausrichter und die Medien den Mangel an effektiver Spielzeit bei Fußballspielen als Problem erkannt", sagte Collina demnach. Viele hielten es für nicht akzeptabel, dass von 90 Minuten der Ball weniger als 50 Minuten im Spiel sei.

Die Schiedsrichter in FIFA-Wettbewerben ließen zuletzt bei den Weltmeisterschaften der Männer 2022 und der Frauen 2023 die Spiele deutlich länger laufen, es kam zu bisher ungewohnt langen Nachspielzeiten. Zum aktuellen Vorgehen habe es im Fußballregel-Gremium IFAB einen Beratungsprozess mit Vertretern aller Konföderationen gegeben - und zwar "einschließlich der UEFA", wie Collina mit einem Hinweis auf die Äußerungen von Boban und Rosetti mitteilte.

Er verwies zudem darauf, "dass die durchschnittliche Nachspielzeit in den kürzlich ausgetragenen Play-off-Spielen zur Champions League 10:00 Minuten, zur Europa League 9:12 Minuten und zur Conference League 10:08 Minuten betragen haben". Jede Änderung der Spielregeln oder jede neue Auslegung würden von vielen mit Skepsis betrachtet, sagte Collina. "Doch wie bei der Einführung des Video-Assistenten gilt auch hier: Wenn die Maßnahmen dem Fussball dienen, werden sie letztendlich akzeptiert."

FIFA-Schiedsrichterchef Pierluigi Collina

FIFA-Schiedsrichterchef Pierluigi Collina

IFAB empfahl allen Wettbewerben grundsätzlich: Macht es wie bei der WM

Im IFAB wurde das Thema zuletzt immer wieder diskutiert, auch eine Form der Nettospielzeit wie im Basketball oder anderen Sportarten war zumindest Gesprächsthema. Diese Idee wurde aber aus verschiedenen Gründen verworfen, das IFAB forderte stattdessen dazu auf, konsequenter nachzuspielen. Auch die UEFA ist im IFAB vertreten - unter anderem durch Zvonimir Boban, der im "Fußball-Beratungsgremium" des IFAB sitzt sowie durch Roberto Rosetti, der Teil eines Expertengremiums für Schiedsrichter im IFAB ist.

Bei der IFAB-Generalversammlung im März hieß es in einer Erklärung: "Der bei der WM 2022 gewählte Ansatz, bei dem eine genauere Berechnung der Nachspielzeit eingeführt wurde, wurde positiv aufgenommen. Es wurde vereinbart, dass Wettbewerbe auf der ganzen Welt diesem Ansatz folgen sollten." Es gehe darum, dass beide Mannschaften die Zeit ersetzt bekommen, die verloren wird, sagte IFAB-Geschäftsführer Lukas Brud im Gespräch mit der Sportschau. "Und das ist sinnvoll. Wie genau das berechnet wird, legen aber die Verbände und Wettbewerbe selbst fest." Die Nachspielzeit bleibt zumindest in Teilen also Auslegungssache. Brud sagte außerdem, dass sich das IFAB einen langfristigen Effekt erhoffe: "Wenn mehr nachgespielt wird, nimmt es Spielern den Anreiz, Zeit zu schinden." So könnte auch die Länge der Nachspielzeit wieder sinken.

Prominente Spieler in England gegen längeres Nachspielen

Eine der größten Ligen ging zuletzt so vor wie von IFAB und FIFA gewünscht. In der Premier League in England kam es an den ersten Spieltagen häufig zu Spielen, die insgesamt länger als 100 Minuten dauerten. Raphaël Varane von Manchester United kritisierte, dass die Gesundheit der Spieler ignoriert werde, Manchester Citys Kevin De Bruyne sagte, die langen Nachspielzeiten würden "keinen Sinn ergeben". Auch Spielergewerkschaften übten Kritik.

Manchester Citys Kevin De Bruyne sprach sich gegen lange Nachspielzeiten aus.

Manchester Citys Kevin De Bruyne sprach sich gegen lange Nachspielzeiten aus.

In manchen Fällen können auch kommerzielle Aspekte gegen mehr Nachspielzeit sprechen. In vielen Wettbewerben ist die zeitliche Abfolge der Spiele aufeinander abgestimmt, um entsprechend Zeit für Interviews und Werbung zu bieten - das gilt auch für viele Spieltage im Europapokal.

In Deutschland soll ebenfalls länger nachgespielt werden, kündigte der DFB an. Allerdings nicht in dem Ausmaß wie bei der WM, sagte DFB-Schiedsrichter-Lehrwart Lutz Wagner im Gespräch mit der Sportschau. Hintergrund ist auch eine Regeländerung, ab dieser Saison muss beispielsweise zwingend der Torjubel nachgespielt werden, was vorher nicht konkret in den Regeln stand.

Hohe Belastung? Die UEFA weitet die Champions League deutlich aus

Die UEFA, die in vielen Fragen in einem Machtkampf mit der FIFA um Geld und Einfluss steht, führte schon bei einer anderen Auseinandersetzung mit dem Weltverband die Gesundheit der Spieler als Gegenargument an. Als die FIFA einen Zwei-Jahres-Rhythmus für die WM der Männer und Frauen zur Diskussion stellte, verwies UEFA-Präsident Aleksander Ceferin immer wieder auf die höhere Belastung.

UEFA-Präsident Aleksander Ceferin (l.) und FIFA-Präsident Gianni Infantino (r.)

UEFA-Präsident Aleksander Ceferin (l.) und FIFA-Präsident Gianni Infantino (r.)

Allerdings nahm die UEFA in dieser Hinsicht selbst eher wenig Rücksicht, als es um die Reform der Champions League 2024 ging. Die Königsklasse wird ab kommender Saison insgesamt 189 statt bisher 125 Spiele haben. Für einen einzelnen Spieler kann die Reform vier Spiele zusätzlich im Vergleich zu heute zur Folge haben. In einem früheren Entwurf waren sogar 225 Spiele vorgesehen. Auch in der Europa League kommen weitere Spiele hinzu.

Die FIFA füllte den Kalender zuletzt ebenfalls: Vor allem die neu gestaltete Klub-WM der Männer wird sich bemerkbar machen. Sie wird ab 2025 alle vier Jahre erstmals mit 32 Teams ausgetragen, in den anderen Jahren soll es weiterhin ein kleines Format geben. Auch bei der WM der Männer-Nationalmannschaften wird es ab 2026 pro Team ein weiteres zusätzliches Spiel geben.