Englische Fans vor einer Fotowand mit den Fußball-Europameisterinnen auf dem Trafalgar Square

Nach Englands EM-Titel "Lionesses" fordern mehr Mädchenfußball in Schulen

Stand: 04.08.2022 13:34 Uhr

Englands Fußballerinnen wollen den Frauenfußball nachhaltig fördern. Die "Lionesses" haben die künftige Regierung aufgefordert, mehr in den Mädchenfußball zu investieren, vor allem in den Schulen.

Die britische konservative Partei ist gerade damit beschäftigt, eine neue Regierung zu bilden. Englands Fußballerinnen haben sich aber jetzt schon mit einem drängenden Anliegen an Liz Truss und Rishi Sunak gewandt, die zwei Tory-Spitzen, die sich um das Amt des Premiers bemühen: Es müsse jetzt "absolute Priorität" sein, in den Mädchenfußball an Schulen zu investieren, schrieben die "Lionesses" an die Adresse des künftigen Regierungschefs oder der künftigen Regierungschefin.

"Wir haben viel erreicht für den Frauenfußball, wir stehen aber immer noch am Anfang", schrieb das Team, das dem Mutterland des Fußballs den ersten Titel seit 1966 gewonnen hat. "Wir haben jetzt die große Gelegenheit, eine echte Veränderung anzustoßen. Eine Veränderung, die Auswirkungen auf das Leben von Millionen junger Mädchen hat."

Die EM in England, mit dem krönenden Abschluss des Endspiels in Wembley vor 87.000 Fans, wurde in der Berichterstattung überwiegend als Erfolg verbucht für die Entwicklung und Sichtbarkeit des Frauenfußballs. Vor allem die englische Profiliga, mit ihrer professionelleren Vermarktung und deutlich besser dotierten TV-Verträgen, wurde rund um das Turnier dabei immer wieder als Vorbild gerühmt, etwa auch für die Frauen-Bundesliga.

Doch an der Basis, in den Vereinen und beim Schulsport, gibt es auf der Insel ähnlich große Defizite wie fast überall sonst: Nur 63 Prozent der Mädchen haben in den englischen Schulen die Möglichkeit, im Sportunterricht Fußball zu spielen, wie Untersuchungen des Fußballverbandes FA ergaben. Bei den weiterführenden Schulen bieten sogar weniger als die Hälfte den Schülerinnen einen gleichberechtigten Zugang zum Fußball im Sportunterricht. Für die konkrete Gestaltung der Lehrpläne seien die Schulen selbst zuständig, hieß es dazu aus dem Bildungsministerium.

Vorstoß der "Lionesses": Mehr Mädchenfußball im Sportunterricht

Englands Nationalspielerinnen forderten nun aber in ihrem Vorstoß von der künftigen Tory-Regierung eine konkrete Vorgabe, Mädchenfußball in den Schulen verbindlich ins Curriculum aufzunehmen. Mindestens zwei Stunden pro Woche sollen dafür künftig im Sportunterricht reserviert werden. Wie groß der Nachholbedarf ist, darauf deuten weitere Zahlen der FA hin: Demnach wollen 60 Prozent der englischen Schülerinnen mehr Fußball auf dem Lehrplan.

"Wir möchten, dass jedes Mädchen in der Schule die Möglichkeit hat, Fußball zu spielen“, schrieben die Europameisterinnen. "Mädchen sollen die Möglichkeit haben, alles zu machen, worauf sie Lust haben. Egal, wie gut sie sind oder nicht, lasst sie einfach spielen, miteinander."

Matchwinnerin Kelly: Mädchenteams "fundamental wichtig"

Chloe Kelly, Siegtorschützin im Endspiel gegen Deutschland, kickte in ihrer Jugend auf dem Bolzplatz fast nur mit ihren Brüdern und deren Freunden. Auch in ihrer Schule in West-London spielte sie im Jungsteam. Eine eigene Mädchenmannschaft gab es dort nicht - doch gerade dies sei "fundamental wichtig" für die Entwicklung, wie Kelly nun bei der BBC betonte: "Junge Mädchen wollen eine Umgebung, in der sie sich wohlfühlen können."

Wenig schwarze Spielerinnen, kaum Vorbilder

Der Vorstoß von Englands Europameisterinnen berührt auch ein anderes Thema: die fehlende Diversität, die sich vor allem im englischen Frauenfußball bemerkbar macht. Die Zahl der schwarzen Nationalspielerinnen ist in den vergangenen Jahren immer mehr zurückgegangen, in der Women's Super League sind 90 Prozent der Spielerinnen weiß. Vielen jungen Mädchen, vor allem aus Familien, die aus den ehemaligen britischen Kolonien stammen, fehlen damit auch die sichtbaren Vorbilder.

Viele machen dafür auch den nach wie vor verbreiteten, strukturellen Rassismus im Sport verantwortlich. Die Professionalisierung des Frauenfußballs in England habe die Benachteiligung eher noch verschärft, wie die frühere Nationalspielerin Fern Whelan bemerkte: "Die Spielerinnen trainieren jetzt in den Akademien, die zum Teil weit draußen sind und schwer erreichbar", sagte Whelan bei "Sky Sports". "Viele schwarze Mädchen spielen Fußball und träumen von einer Profikarriere. Aber wenn es auf das nächste Level geht, in die Nachwuchsakademien - haben ihre Eltern aus den ärmeren Schichten dann überhaupt die Möglichkeit, sie zum Training zu fahren?"

Schulfußball gegen "kulturelle Barrieren"

Ex-Profispielerin Eartha Pond, die den englischen Verband auch in Gleichstellungsfragen berät, sprach in diesem Zusammenhang in der "Süddeutschen Zeitung" von "kulturellen Barrieren", gerade bei der schwarzen und asiatischstämmigen Community. Für manche Mädchen aus diesen Milieus bietet der Schulsport überhaupt erst eine Möglichkeit, Zugang zum Fußball zu bekommen.

Dieses Thema im Programm: Das Erste | Sportschau | 31.07.2022 | 17:30 Uhr