Biathlon | Hochfilzen Wachablösung light im deutschen Männer-Team

Stand: 13.12.2021 07:17 Uhr

Bei den arrivierten deutschen Biathleten wie Benedikt Doll und Erik Lesser läuft es in dieser Saison bislang noch nicht so richtig. Zeit also, dass die zweite Reihe aus dem großen Schatten heraustritt und für gute Ergebnisse sorgt. Das gelingt immer besser. 

"Kacke!" platzte es nach dem Verfolgungsrennen von Hochfilzen aus Benedikt Doll heraus. Dieser kurze Ausbruch ist symptomatisch für die momentane Situation des Schwarzwälders. So besorgniserregend die folgende Einschätzung klingen mag, sein 39. Platz im Verfolger mit "nur" drei Schießfehlern war eine Leistungssteigerung.

Der 31-jährige Doll hatte sich nach einem katastrophalen Sprintrennen tags zuvor vom 60. Platz nach vorne gearbeitet. Dieser Umstand allein zeigt bereits schonungslos auf: Der Sprint-Weltmeister von 2017 ist ein sehr großes Stück von der Weltspitze entfernt. Und er läuft den großen Erwartungen hinterher.

Nicht verrückt machen lassen

"Ruhe bewahren" gibt der erfahrene Athlet als Credo für die kommenden Wochen aus. "Ich mache mich nicht verrückt. Natürlich wäre ein fehlerfreies Rennen mal schön." So eines gelang Doll in dieser Saison noch überhaupt nicht. Der Blondschopf wirkt in einigen Momenten fast schon etwas ratlos, wenn er nach verpatzten Rennen beispielsweise noch ein paar Sekunden im Zielbereich verweilt und einfach nur den Kopf schüttelt.

Biathlet Benedikt Doll in Hochfilzen

Biathlet Benedikt Doll in Hochfilzen

18., 14., 22., 60. und 39. - das sind die Platzierungen in den Einzel-Disziplinen dieser Saison. Kein Top-Ten-Ergebnis, kein überzeugender Auftritt. Und auch in der vergangenen Saison hinkte Doll, der auf dem zwölften Platz im Gesamtweltcup landete, bereits den eigenen Ansprüchen hinterher.

Auf gutes Laufen folgt gutes Schießen

"Benni fehlt momentan einfach seine läuferische Stärke", analysiert Sportschau-Expertin und Biathlon-Olympiasiegerin Kati Wilhelm. "Auf die konnte er sich normalerweise verlassen. Wenn er da nicht die Sicherheit hat, in der Weltspitze mit dabei zu sein, dann klappt es eben auch am Schießstand nicht."

Die Situation ist verzwickt. Auf der einen Seite muss der Fanliebling schnell Lösungen für die Probleme auf der Strecke und am Schießstand finden. Auf der anderen Seite sollte sich der als sehr selbstreflektiert bekannte Doll davor hüten, sich in dieses "Negativ-Momentum" hereinzusteigern - findet Kati Wilhelm. "Gerade Benni ist einer, der sehr viel nachdenkt und friemelt. Und das Geschehene auch intensiv analysiert. Vielleicht sucht er momentan Fehler, wo gar keine sind."

Ein großes Bisschen

Benedikt Doll selbst sieht eine positive Entwicklung in den vergangenen Wochen. "Ich bin ein von Natur aus positiver Mensch. Das Läuferische funktioniert immer besser", beschreibt Doll sein Gefühl auf der Strecke.

"Das Laufen ist die wichtigste Grundlage. Am Schießstand habe ich eigentlich auch ein ganz gutes Setting. Es fehlt halt noch ein bisschen was nach ganz oben." Dieses Bisschen, was natürlich so viel mehr ist als nur ein Bisschen, sollte Doll draufpacken, denn seine deutschen Teamkollegen treten mit breiter Brust und starken Auftritten nach und nach aus seinem Schatten.

Vorboten, aber noch keine komplette Wachablösung

Es deutet sich, auch nach dem Karierende von Arnd Peiffer und Simon Schempp, eine Wachablösung im deutschen Männer-Team an. Für die guten Ergebnisse sorgen momentan nicht mehr die arrivierten Leistungsträger, sondern eher die Athleten aus der "zweiten Reihe".

Johannes Kühn lief sich in Hochfilzen in den Fokus, zeigte vor allen Dingen läuferisch eine herausragende Leistung im Sprint und gewann zum ersten Mal in seiner Karriere ein Weltcuprennen. Philipp Nawrath, dem einige Experten das größte Potenzial in der Mannschaft attestieren, hat mit einem sechsten und einem achten Platz die Olympia-Norm bereits übererfüllt. 

Auch Roman Rees zeigte bereits starke Ansätze und lief in die Top 15. "Das ist ja das, was wir schon lange wollten", sagt Bundestrainer Mark Kirchner. Der 51-Jährige ist froh, dass die schwachen Leistungen der Etablierten von der zweiten Reihe kompensiert werden.

"Da stehen die Jungs dann eben auch in der Verantwortung. Die müssen sie übernehmen, und das gelingt zusehends besser. Wir werden daran arbeiten, dass das weiter an Konstanz gewinnt." Eine Wachablösung sieht der Bundestrainer aber noch nicht. Nichtsdestotrotz werden die Vorboten immer sichtbarer. Benedikt Doll, normalerweise für jede Staffel gesetzt, wurde nach 34 Monaten in Hochfilzen erstmals nicht berücksichtigt.  

Auch Erik Lesser steckt in der Formkrise

Ähnliches wie für Doll gilt in Sachen Suche nach der Form für Erik Lesser. 44., 48., 18., 34. und 28. - mit Weltspitze haben auch die Platzierungen des 33-Jährigen nur wenig zu tun. Das größte Problem des charismatischen Thüringers liegt wohl auf der Strecke. Die Laufleistungen des Weltmeisters sind bei Weitem nicht mehr Weltklasse, im Schnitt verliert er rund vier Sekunden pro Kilometer auf die schnellsten Athleten. 

"Man kann von Erik in Einzel-Disziplinen keine Heldentaten mehr erwarten", sagt Expertin Kati Wilhelm. "Für mich sind, was Erik angeht, die Einzel-Disziplinen aber gar nicht so wichtig. Er ist eine wichtige Staffelgröße." Im vergangenen Jahr plagte sich Lesser bereits mit Verletzungen und Leistungsschwankungen herum.

Sportschau-Wintersport-Podcast, 02.12.2021 12:22 Uhr

Dass er es noch kann, zeigte Lesser in beiden Staffeln des laufenden Winters, als der Startläufer starke Leistungen ablieferte und vollends überzeugte. Ganz ohne geht es ohne die langjährigen Leistungsträger im deutschen Team noch nicht - es ist also eine Wachablösung light, die bei den Männern stetig voranschreitet.