Simone Biles is back

Turnen Turn-Weltmeisterschaften als Qualifikation für Paris 2024

Stand: 28.09.2023 16:28 Uhr

Neuer Modus, lange Qualifikationen. Die deutschen Turn-Teams kämpfen um das Olympiaticket. Nach den Verletzungen von Elisabeth Seitz, Emma Malewski und Andreas Toba wird das noch schwerer. Die Turnwelt freut sich dagegen auf das Comeback von Superstar Simone Biles.

Der Weg nach Paris 2024 - Olympi-JA oder NO-lympia?

In Antwerpen haben Turnerinnen und Turner die Chance, sich für die Olympischen Spiele in Paris 2024 zu qualifizieren, aber auch für die WM-Finalwettbewerbe. Jeder Wettbewerb ist in zwei Teile gegliedert: Qualifikation und Finale. Dabei zählt der Qualifikationswettbewerb gleich für mehrere Finals. Beispiel: Lukas Dauser turnt mit der deutschen Mannschaft am Samstag. Die Wertung, die er für seine Übung am Barren bekommt, fließt in die Teamwertung, die ausschlaggebend ist für die Olympia-Qualifikation und für die Qualifikation zum WM-Teamfinale der besten acht Mannschaften. Dausers Barrenwertung zählt aber auch für ihn als Einzelturner. Die besten acht Barrenturner qualifizieren sich für das Finale an diesem Gerät. Turnt Dauser an allen sechs Geräten, werden seine einzelnen Wertungen addiert (Barren, Reck, Boden, Pauschenpferd, Ringe, Sprung). Von diesen „6-Kämpfern“ qualifizieren sich die besten 24 für das Mehrkampffinale.

Und genau das macht die Quali "tricky". Um im WM-Finale am Barren turnen zu dürfen, muss Dauser schon in der Qualifikation eine Weltklasseübung zeigen, aber auch darauf achten, nicht zu viel zu riskieren, um mit einer hohen Wertung die Olympia-Qualifikation zu stützen. Das Gleiche gilt für Pauline Schäfer-Betz, die sich am Schwebebalken für das Einzelfinale qualifizieren möchte.

Seit es Mannschaftswettbewerbe im Turnen bei Olympischen Spiele gibt, waren die deutschen Turner immer dabei. Bei den Frauen verpasste die deutsche Mannschaft nur die Spiele 1996 in Atlanta und 2000 in Sydney.

Neuer Modus in der Olympia-Qualifikation

Es wird ein Rechenspiel: USA, GBR, CAN + neun bei den Frauen. CHN, JAP, GBR + neun bei den Männern. Die Olympia-Qualifikation begann bereits bei der WM 2022 in Liverpool. Erstmals wurden drei der 12 Olympia-Startplätze für Mannschaften schon vor der eigentlichen Qualifikation vergeben. Für die Teams aus den USA, Großbritannien und Kanada bei den Frauen sowie China, Japan und Großbritannien bei den Männern war die Medaille im Teamfinale bei der WM 2022 gleichzeitig das Ticket für die Paris 2024. Von den 24 Nationen, die nun in Antwerpen antreten, kämpfen 21 also um die übrigen neun Plätze.

Wettkampf-Modus: Die Mannschaft in der Qualifikation besteht aus fünf Turner:innen. Pro Gerät können vier Turner:innen eingesetzt werden, die besten drei Wertung werden addiert. Eine verpatzte Übung kann sich ein Team pro Gerät theoretisch leisten. Die Punkte, die jedes Team pro Gerät sammelt werden am Ende zu einem Gesamtergebnis addiert. Die Herausforderung besteht darin, aus der 5er-Riege, die jeweils vier besten, stabilsten Turner:innen pro Gerät einzusetzen.

Für die drei besten Länder, die sich nicht als Team qualifizieren (Plätze 13–15) gibt es je einen Quotenplatz für eine Turnerin bzw. einen Turner, der namentlich erstmal nicht vergeben wird.

Die Qualifikationen ziehen sich über jeweils eineinhalb Tage hin. Denn in Antwerpen gehen nicht nur Teams an den Start, sondern auch Turnerinnen und Turner, die sich über den Mehrkampf qualifizieren können (14 Turnerinnen, acht Turner). Erstmals können auch Spezialist:innen nur an einem einzelnen Turngerät antreten. Der Grieche Eleftherios Petrounias tritt ohne Team an, turnt nur an den Ringen, an denen er in Rio de Janeiro die Olympische Goldmedaille gewann. Die Vergabe der Quotenplätze (Mehrkampf und Einzelgeräte) zieht sich bis kurz vor den Olympischen Spielen in Paris hin.

So werden die WM-Titel vergeben

Weil es bei der WM nicht nur um die Olympia-Qualifikation geht, sondern auch um Weltmeistertitel, werden in einem Qualifikationswettkampf auch die Startplätze für die WM-Finals vergeben.

WM-Teamfinale: Die besten acht Nationen aus der Qualifikation turnen um den WM-Titel im Team. Im Finale können pro Gerät nur noch drei Turner:innen eingesetzt werden, alle Wertungen zählen.

Mehrkampffinale: Die besten 24 Turner:innen, die in der Qualifikation an allen Geräten geturnt haben, treten gegeneinander an. Allerdings sind nur zwei Turner:innen pro Nation im "All Around Final" zugelassen. Bei der WM 2022 führte das dazu, dass Jordan Chiles (USA, 12.), Ondine Achampong (GBR, 15.) und Aline Friess (FRA, 22.) nicht im Finale starten durften, weil zwei Turnerinnen aus ihrem Land besser waren. Aufgefüllt wird das 24er-Feld mit Turner:innen, die nachrücken.

Einzelgeräte-Finals: Davon gibt es zehn. Bei den Frauen werden vier Einzeltitel vergeben (Sprung, Stufenbarren, Schwebebalken, Bodenturnen) und sechs bei den Männern (Boden, Pauschenpferd, Ringe, Sprung, Barren, Reck) Die besten acht Turner:innen aus der Qualifikation gehen nacheinander ans Gerät. Auch hier gilt die Regel, dass nur zwei Turner:innen pro Nation starten dürfen. Davon profitierte die Stuttgarterin Lisa-Katharina Hill, die 2014 ins WM-Finale am Stufenbarren rutschte.

Die Chancen der deutschen Turnerinnen

Die beste deutsche Turnerin Elisabeth Seitz, Medaillengewinnerin bei Welt- und Europameisterschaften fällt wegen einer Verletzung aus. Seitz turnte schon in London, Rio und Tokio, ist die erfahrenste und erfolgreichste Turnerin. Sie fehlt dem Team genauso, wie Emma Malewski, die 2022 Europameisterin am Schwebebalken wurde. Die erfahrene Kim Bui ist zurückgetreten. Bui, Seitz und Malewski waren im Team, das bei der EM 2022 in München Bronze gewann. Anführen werden die Mannschaft in Antwerpen Aktivensprecherin Sarah Voss (Köln) und Pauline Schäfer-Betz. Die 23-jährige Voss war im Bronze-Team von München, gewann zweimal den Mehrkampftitel bei Deutschen Meisterschaften, stand im Olympiateam von Tokio und will nach Paris – auch deshalb heißt ihr Account bei Instagram: „Sarah Voss OLY“. Pauline Schäfer-Betz, Weltmeisterin am Schwebebalken 2017 und weiß wie „how to turn to the Olympics“ geht: In Rio 2016 und Tokio 2021 war sie dabei. Neben den beiden Erfahrenen turnen Meolie Jauch (16, MTV Stuttgart), Lea Quaas (18, TuS Chemnitz-Altendorf), Karina Schönmaier (18, TuS Chemnitz-Altendorf) und als Ersatzturnerin Anna-Lena König (17, KRK Karlsruhe). Für den Bundestrainer der Frauen, Gerben Wiersma, ist es die erste internationale Bewährungsprobe.

International: Bei den Europameisterschaften im Frühjahr in Antalya landete das deutsche Team auf Platz 9. Europameister wurde das Team GB, das bereits für Paris qualifiziert ist. Schon in Europa lagen also sieben Mannschaften vor der deutschen Riege. Internationale Konkurrenz um den Olympiastartplatz kommt noch aus Brasilien, China, Japan, Kanada.

Die Chancen der deutschen Turner

Bei der WM 2019 schaffte das Team nur ganz knapp den Sprung zu den Olympischen Spielen in Tokio, qualifizierte sich dort dann aber sogar für das Team-Finale. Der Leader ist Lukas Dauser, Vize-Weltmeister am Barren und Silbermedaillengewinner bei den Spielen in Tokio. Auf die EM musste Dauser noch verzichten, Mitte September meldete er sich zurück, mit einem souveränen Weltcupsieg in Paris am Barren. Andreas Toba aus Hannover fällt mit einer Knieverletzung kurzfristig aus. Toba wäre der Allrounder gewesen, so einen braucht das Team. Unvergessen – auch international – seine Verletzung bei den Olympischen Spielen in Rio 2016 und seine Courage, trotz schwerer Verletzung noch am Pauschenpferd zu turnen. Für ihn rückt Nick Klessing (SV Halle) ins Team. Dazu kommt der neue Deutsche Mehrkampfmeister Pascal Brendel (Wetzlar), Nils Dunkel (SV Halle), Bronze bei der EM am Pauschenpferd 2022 und Lucas Kochan (SC Cottbus).

International: Noch frisch sind die Erinnerungen an die EM im Frühjahr. Das deutsche Team mit Toba, Dunkel, Klessing, Kochan und Brendel wurde 5. Vor Deutschland lag mit Team GB nur ein Team, das bereits für Paris qualifiziert ist. Hoch motiviert wird aber auch Frankreich an den Start gehen, bei der EM hinter Team GER platziert. Außerhalb von Europa kommen noch USA, Brasilien und Korea dazu.

Das sind die Favoriten und Stars

Simone Biles, USA. Es gibt nur wenige, die den Zusatz "Superstar" verdienen. Simone Biles ist ein Superstar. 25 Medaillen bei Weltmeisterschaften gewonnen, sieben bei den Olympischen Spielen. 2016 in Rio de Janeiro räumte die damals 19-Jährige richtig ab. Viermal Gold. In Tokio verlor Biles bei einem von ihr erfunden Sprung die Orientierung, musste aufgeben, gewann mit dem Team dennoch Silber und kehrte eine Woche später zum Finale am Balken zurück, wo sie Bronze gewann. Lange war nicht klar, ob Biles überhaupt wieder turnen würde. Im Frühjahr heiratet Biles, gewann die US-Meisterschaften und kehrt nun dorthin zurück, wo sie 2013 ihren ersten WM-Titel gewann – nach Antwerpen.

Melanie de Jesus de Santos, Frankreich. Die Französin trainierte für längere Zeit in den USA, war nach den Spielen von Tokio mit Simone Biles auf einer Turn-Tournee unterwegs. Geboren in Martinique zählt Melanie zu den elegantesten Turnerinnen, die Spiele nächsten Jahr in ihrer Heimat Frankreich sind die extra Portion Motivation.

Shilese Jones, USA. Die 21-Jährige aus Seattle gewann bei der WM in Liverpool die Silbermedaille im Mehrkampf – hinter Sunisa Lee (USA), die in Antwerpen fehlen wird. Jones gehörte zum Team USA, das den Team-Titel 2022 bei der WM gewann und damit frühzeitig die Olympiaticket sicherte. Bei den nationalen Meisterschaften sicherte sich Jones Platz zwei hinter Simone Biles – allerdings mit großem Rückstand.

Rebeca Andrade, Brasilien. Bei den Spielen in Tokio gewann Andrade die Silbermedaille im Mehrkampf und Gold am Sprung. Im vergangenen Jahr bei der WM in Liverpool gewann Andrade als erste Brasilianerin den WM-Titel im Einzelmehrkampf. Beim Weltcup in Paris Mitte September zeigte die 24 Jahre, dass mit ihr zu rechnen ist. Neu in ihrem Programm am Stufenbarren war der Doppelsalto mit Doppelschraube als Abgang.

Daiki Hashimoto, Japan. Der 22-Jährige ist der aktuelle Olympiasieger im Mehrkampf. In Tokio gewann Hashimoto auch Gold am Reck – Nachfolger von Fabian Hambüchen, der 2016 am Reck gewonnen hatte. Dass Hashimoto aber kein "Eintagsflieger" ist, zeigte er bei der WM 2022, wo er in Liverpool den Titel im Mehrkampf gewann.

Asher Hong, USA gewann die US-Meisterschaften Mitte September in San Jose. Es war der erste nationale Titel für den 19-Jährigen aus Plano in Texas. In Deutschland kennt man Hong vom DTB-Pokal in Stuttgart, wo er im Frühjahr 2023 mit dem US-Team die Team-Challenge gewann. Seine Spezialdisziplin ist der Sprung, an dem Hong als einer von wenigen den Doppel-Tsukahara mit ganzer Schraube zeigt.

Adem Asil, Türkei. Der 24-Jährige ist mehr als nur ein Geheimfavorit für den Gewinn einer Medaille. Asil, geboren in Ägypten gewann im Frühjahr den EM-Titel – im Mehrkampf und an den Ringen. Bei der WM in Liverpool sicherte er sich den WM-Titel an den Ringen

Lukas Dauser, Deutschland. Den größten Erfolg feierte Dauser bisher bei den Olympischen Spielen in Tokio mit dem Gewinn der Silbermedaille am Barren. Im Dezember 2022 verletzte sich Dauser an der Schulter, fiel für die EM 2023 aus. Aber: Beim Weltcup in Paris Mitte September gewann Dauser am Barren – überlegen. In Antwerpen muss Dauser pokern. Schwierig turnen, um das Finale am Barren zu erreichen, sicher turnen, um die Olympia-Qualifikation mit dem Team zu schaffen.

Max Whitlock, Großbritanien. Bei den Heimspielen 2012 in London bekam Whitlock zu spüren, was es heißt, bei Olympischen Spielen in der Heimat starten zu dürfen. Die ausverkaufte Arena brodelte, als Team GB die Bronzemedaille gewann. In Rio de Janeiro war er bereit für Olympisches Gold. Er gewann am Boden und am Pauschenpferd. Ein Jahr zuvor war er Weltmeister am Pferd geworden. Auch 2017 und 2019 in Stuttgart gewann Whitlock den WM-Titel am Pferd. Olympiasieger an diesem schwierigen Turngerät 2021 in Tokio? Whitlock, Max Whitlock!