Sebastian Hoerneß hat den VfB Stuttgart über die Relegation zum Klassenerhalt geführt

VfB Stuttgart Sebastian Hoeneß ist ein absoluter Glücksfall für den VfB

Stand: 07.06.2023 09:39 Uhr

Der VfB Stuttgart ist mit einem blauen Auge davongekommen und hat sich über den Umweg Relegation den Klassenverbleib in der Bundesliga gesichert. Für SWR-Sportredakteur Johann Schicklinski ist der Grund dafür vor allem Trainer Sebastian Hoeneß.

Von Johann Schicklinski

Als Sebastian Hoeneß am 3. April beim VfB Stuttgart das Traineramt übernahm, da war es bei den Schwaben Fünf nach Zwölf. 20 Punkte nach 26 Spielen, Tabellenletzter, komplette Verunsicherung bei den Spielern und eine bleierne Schwere über dem ganzen Klub. Der erst in der WM-Pause verpflichtete Coach Bruno Labbadia, der den Verein nach Willen der Bosse als "Feuerwehrmann alter Schule" hätte retten sollen, war krachend gescheitert.

Viele kleine Ziele für ein großes Ziel

Es gab schon bessere Ausgangslagen. Überspitzt formuliert ging Hoeneß ein "Himmelfahrtskommando" an, doch vom ersten Tag an strahlte der 41-Jährige Energie, Selbstbewusstsein und, am wichtigsten, Glaube aus. Glaube an den Erfolg seiner Mission - und an seine Mannschaft.

Er weigerte sich bei Amtsantritt, über das Fernziel Klassenerhalt zu sprechen. Stattdessen setzte Hoeneß zunächst kleine, realistische Ziele. Das Pokalspiel in Nürnberg erfolgreich bestreiten, dann das existentiell wichtige Spiel in Bochum gewinnen. Und immer so weiter.

Er lamentierte nicht, suchte nicht vorab nach Gründen, möglichen Misserfolg zu erklären, sondern ging von Tag eins an voran. Das kam an bei der Mannschaft, die wieder anfing, an sich selbst zu glauben. Deren Brust wieder breiter wurde und die sich auch auf dem Platz etwas zutraute.

Unter Hoeneß über 1,6 Punkte im Schnitt

Während unter "Feuerwehrmann" Labbadia nur ein Sieg in elf Bundesligaspielen gelang, setzte es unter Hoeneß nur eine Pleite in den letzten acht Partien. Er führte den VfB mit 13 Punkten aus diesen Matches noch auf den Relegationsplatz 16, mit einem Schnitt von 1,63 Zählern. Es wäre nicht seriös, diese Zahlen auf eine komplette Saison hochzurechnen - es beweist aber zumindest, dass mit dieser Mannschaft deutlich mehr als Platz 16 drin gewesen wäre.

Die direkte Rettung war dank Hoeneß jedenfalls am 34. Spieltag noch möglich. Stuttgart hatte es in der eigenen Hand, doch gewann nicht gegen Hoffenheim. Doch auch nach diesem Rückschlag ging Hoeneß voran. Er stellte sich direkt nach der Partie gegen die Kraichgauer vor die Cannstatter Kurve, animierte die niedergeschlagenen Fans und strahlte aus: "Wir schaffen das trotzdem!"

Dieses Selbstbewusstsein vermittelte er auch der Mannschaft. "Vor acht Wochen hätten wir alles für diese Ausgangslage gegeben", lautete sein Mantra - das er auch seinem Team implementierte, das dementsprechend in die Relegation gegen den HSV ging. Mit diesem Selbstbewusstsein und insgesamt 6:1 Toren führte Hoeneß den VfB Stuttgart gegen die Hanseaten zum Klassenerhalt.

Glücksfall folgt auf Fehlgriff

Rückblickend lässt sich sagen, dass Hoeneß die taumelnden Schwaben wieder zum Leben erweckt hat. Seine Verpflichtung war ein absoluter Glücksfall für den VfB Stuttgart. Dass sie direkt auf den – man muss es so deutlich sagen - absoluten Fehlgriff Labbadia folgte, verleiht der Personalie zusätzliche Ironie.

Die graue Zeit unter dem Ex-Coach, der von Verunsicherung geprägte Spielstil, wich unter Hoeneß rasch einer offensiveren Ausrichtung, gepaart mit Spielfreude. Allerdings war das Team auch um Spielkontrolle und defensive Stabilität bemüht, trotzdem war es meist für ein Gegentor gut. Doch die Mannschaft fand zu sich selbst. Mehr nach vorne zu spielen passte viel besser zu den Typen, die der junge Stuttgarter Kader nun mal hat. Hoeneß hat das rasch erkannt.

YouTube-Video von SWR Sport Fußball : "3:1-Sieg in Hamburg! VfB Stuttgart bleibt erstklassig – DEIN VfB #75 | SWR Sport"

Hoeneß macht die Spieler besser

Zudem setzte er Spieler auf ihren eigentlichen Positionen ein, nachdem Labbadia - man muss es so krass sagen - bei der Aufstellung in absoluter Sturheit teilweise absurd daneben lag. Das fing bei der Ausrichtung an: Mit Dreier- statt Viererkette korrigierte Hoeneß Labbadias Taktik - was viel besser zum Team und den Spielern passte und bereits unter Ex-Coach Matarazzo praktiziert worden war.

Und das ging beim Personal weiter: Josha Vagnoman etwa, unter Labbadia lange außen vor, wurde zum Faktor und Leistungsträger im Kampf um den Klassenerhalt. Waldemar Anton, der unter Labbadia auf der ungeliebten und ungewohnten rechten Außenbahn ran musste, war im Saisonfinale in der Abwehrzentrale unentbehrlich. Dazu stärkte Hoeneß Enzo Millot, der vom Ex-Trainer mehrfach - auch öffentlich - angegangen worden war, was der junge Franzose mit starken Leistungen zurückzahlte - insbesondere in der Relegation.

Labbadia war ein absoluter Fehlgriff

Es waren die richtigen Maßnahmen und Hebel. Hoeneß ist deshalb der Hauptverantwortliche dafür, dass der VfB gerade nochmal die Kurve bekommen hat. Die Stuttgarter Bosse können von Glück sagen, dass ihr Klub mit einem blauen Auge davongekommen ist.

Labbadia, fast ein Drittel der Saison am Ruder, dürfte als gigantischer Fehlgriff in die Klub-Annalen eingehen. Wäre der VfB abgestiegen, hätten vermutlich über kurz oder lang auch die Verantwortlichen ihren Hut nehmen müssen.

Hoeneß hat sie - wie den ganzen VfB Stuttgart - vorerst davor bewahrt. Die kritische Aufarbeitung der Klub-Bosse steht noch aus, sie soll nun rasch folgen. Klar ist aber bereits jetzt: Fast alle müssen sich hinterfragen, fast alle haben Fehler gemacht. Außer Hoeneß  - er muss das in meinen Augen nicht. Er hat alles richtig gemacht. Seine Leistung ist für mich nicht genug zu würdigen.