Frust bei Darmstadt 98

Darmstadt 98 vor Abstieg Lilien hissen die weiße Fahne

Stand: 07.04.2024 13:51 Uhr

Der SV Darmstadt 98 geht gegen Mainz 05 unter und verliert damit auch die letzte Hoffnung auf den Klassenerhalt. Trainer Torsten Lieberknecht wünscht sich nur noch einen vernünftigen Abschied, Ex-Manager Carsten Wehlmann bekommt sein Fett weg.

Von Mark Weidenfeller

Torsten Lieberknecht war nach Abpfiff der 0:4-Klatsche im Kellerduell bei Mainz 05 am Samstag sichtlich darum bemüht, positive Ansätze zu finden. Sein Team, so wollte es der Trainer des SV Darmstadt 98 gesehen haben, sei in der ersten Hälfte mit den in allen Belangen überlegenen Gastgebern "auf Augenhöhe" gewesen und hätte durchaus in Führung gehen können. "Wir hatten unsere Momente", sagte er.

Besonders ein Konter in der Anfangsphase über Braydon Manu und Mathias Honsak, der in letzter Sekunde vom herausgeeilten Mainzer Keeper Robin Zentner gestoppt worden war, spukte Lieberknecht bei seinen Ausführungen auf der Pressekonferenz noch im Kopf herum. "Wenn Honsak die Fußspitze dranbekommt und wenn er den absoluten Willen zeigt, kann er den Ball vorbeispitzeln", fasste Lieberknecht die Aktion und damit ungewollt auch das Darmstädter Dilemma zusammen. Den absoluten Willen zeigte Honsak – genau wie viele andere – nämlich nicht. In einem Spiel mit dieser Bedeutung ist das nicht weniger als eine Bankrotterklärung.

Es fehlen die entscheidenden Prozente

Nun machte Lieberknecht dem österreichischen Flügelflitzer für seine Zurückhaltung im Zweikampf nicht einmal einen Vorwurf. "So ist sein Charakter." Auch Urteile über seine Mannschaft mit Begriffen wie "Auflösungserscheinung", "katastrophal" oder "keine Einstellung" wolle er nicht hören.

Da allerdings auch Kapitän Fabian Holland zugab, dass die Lilien in diesem Duell um die allerletzte Chance auf den Klassenerhalt nicht an ihre Leistungsgrenze gelangt waren, kann man nur ratlos mit dem Kopf schütteln. "Wir haben es nicht geschafft, 100 Prozent auf den Platz zu bringen", so Holland. "Und wenn du das nicht schaffst, dann kann das mal so aussehen." Zwei Sätze, die die ganze Saison beschreiben. Die Südhessen haben sich den Abstieg selbst zuzuschreiben.

Aytac Sulu im heimspiel!

Der ehemalige Lilien-Spieler Aytac Sulu wird am kommenden Montag Gast im heimspiel! sein. Die Sendung wird um 23:15 Uhr im hr-Fernsehen ausgestrahlt, außerdem zuvor in der Mediathek zu sehen sein. Sulu lief insgesamt 193 Mal für die Lilien auf und gehörte der Aufstiegsmannschaft an.

Lilien realistisch: Der Abstieg naht

Dass es so kommen wird und sich Darmstadt 98 nach nur einem Jahr wieder in die Zweitklassigkeit verabschiedet, ist für einen Aufsteiger sicher keine Schande und alles andere als eine Überraschung. Dass es so kommen wird, ist in Mainz angesichts von neun Punkten Rückstand auf Relegationsplatz 16 endgültig aber auch in den Köpfen der Lilien angekommen. Nach Wochen voller Durchhalteparolen und mehr oder weniger glaubhaften Kampfansagen an die Konkurrenz hissten die Südhessen in Mainz die weiße Fahne und begruben auch das letzte Fünkchen Hoffnung.

"Wir müssen realistisch sein. Es geht jetzt darum, unsere Aufgaben sauber und sorgfältig zu beenden", betonte Lieberknecht. "Jetzt heißt es, noch einmal Herz zu zeigen. Das sind wir unseren Fans schuldig", ergänzte Holland. Die Abschiedstournee hat also begonnen, der kurzzeitige Bundesliga-Traum der Lilien dauert noch genau sechs Spiele an und wird dann am 18. Mai zu Ende gehen. In der kommenden Saison heißen die Gegner wieder Paderborn, Nürnberg oder Greuther Fürth.

Lilien-Fans sauer

In welcher Stimmungslage diese neuen und deutlich weniger attraktiveren Aufgaben in Südhessen angepackt werden, entscheidet sich wohl auch in den kommenden Wochen. Die Lilien, die nach dem erneuten Debakel mit hängenden Köpfen in Richtung ihrer proppevollen Fankurve getrottet waren und danach wie geprügelte Hunde durch die Katakomben in Richtung Kabine schlichen, wollen und müssen sich mit ihrem Anhang versöhnen.

Teile der Fans stimmten ganz am Ende dieses schwarzen Nachmittags zwar "Wir sind Darmstädter" an und stärkten dem Team damit akustisch den Rücken. Die Spieler mussten sich wie schon nach dem 0:6 gegen Augsburg aber auch einige deutlich Worte der verärgerten Anhänger anhören. "Der Gang in die Kurve war schwer. Diese Gesichter zu sehen, ist extrem bitter", so Holland. Die Harmonie war in Südhessen definitiv schon einmal größer.

Lieberknecht kritisiert Wehlmann

Passend dazu nutzte Lieberknecht auf der Pressekonferenz die Gunst der schweren Stunde und schickte im Rahmen einer Ursachenforschung ein paar freundliche Grüße in Richtung Kiel und Ex-Manager Carsten Wehlmann. Angesprochen auf die möglicherweise fehlende Qualität im Kader kritisierte Lieberknecht erstmals öffentlich den Abgang des ehemaligen Sportlichen Leiters in der Winterpause und schob damit einen großen Teil der Verantwortung zu Wehlmann. "Das mussten viele Leute mit Herzblut auffangen. Wir mussten durch diese Entscheidung noch mehr Energie reinbringen."

Wehlmann, so führte Lieberknecht aus, habe seine Kündigung völlig unerwartet zwei Tage nach einer neunstündigen Sitzung zur Kaderplanung eingereicht und den Club damit vor den Kopf gestoßen. "Das war keine einfache Situation." Dass Lieberknecht den Namen Wehlmann bei seinen Erklärungen nicht einmal erwähnte, verdeutlichte das zerrüttete Verhältnis zusätzlich. Lieberknecht und Wehlmann, das ehemalige Aufstiegshelden-Duo, werden wohl vorerst keine Freunde mehr.

Lieberknecht hat noch Kraft

Bei den Lilien, das wurde in Mainz gleich an mehreren Stellen klar, ist in dieser Saison einiges zu Bruch gegangen. Die sportlichen Fehler müssen aufgearbeitet werden, der Kader braucht eine Generalüberholung. Trainer Lieberknecht kündigte an, weiter genug Kraft für diese Herausforderungen zu haben und diese annehmen zu wollen. Ob er das Vertrauen bekommt, wird sich zeigen müssen. Die dann anstehenden Aufräumarbeiten werden aber dauern.