FC-Bayern-Trainer Thomas Tuchel mit Noussair Mazraoui

FC Bayern München Tuchel - "Keine heile Welt, aber heilende Wirkung" in der Kabine

Stand: 20.10.2023 15:16 Uhr

Die Pressekonferenz vor dem Spiel gegen Mainz wird Thomas Tuchel in Erinnerung bleiben. Der FC-Bayern-Trainer musste nicht nur die richtigen Worte zur Diskussion um Noussair Mazraoui finden, sondern auch zu Uli Hoeneß und Manuel Neuer.

Von Raphael Weiss

Thomas Tuchel hat schon einige komplizierte Pressekonferenzen abgehalten, seitdem er im März das Traineramt beim FC Bayern übernommen hat. Der Verein, bei dem alles immer ein wenig größer ist als anderswo, hat in dieser kurzen Zeit schon viele Krisen mitgemacht. Doch dieser Termin vor dem Bundesliga-Spiel gegen den 1. FSV Mainz 05 dürfte auch für Tuchel ein besonderer Tag gewesen sein.

Eine knappe Stunde vor Beginn der Pressekonferenz hatte der Verein per Pressemitteilung bekannt gegeben, dass Noussair Mazraoui nach seinen Postings zum Krieg zwischen Israel und Gaza Spieler des FC Bayern bleiben wird. Und Tuchel, wie es vor Bundesligaspieltagen so üblich ist, erschien zur Pressekonferenz. Alleine, ohne Vertreter aus der Führungsetage, betrat er den Raum, auch wenn klar war, dass sportliche Fragen an diesem Tag nur Randnotizen sein würden.

Tuchel: "Besondere Fürsorgepflicht" gegenüber Peretz

Zwei Wochen war es her, dass Tuchel zuletzt hier gesessen hatte. Und seitdem hatten sich einige Themen bei den Münchnern angehäuft. Das drängendste war sicherlich der Krieg in Nahost, der zumindest thematisch auch in der Kabine des FC Bayern angekommen war. Denn zum einen hatte Mazraoui Inhalte gepostet, die suggerierten, er wünsche sich womöglich einen Sieg der Hamas über Israel. Zum anderen hat der FC Bayern den israelischen Torhüter Daniel Peretz im Kader, der sich um Angehörige und Freunde sorgt und persönlich von dem Krieg betroffen ist.

Tuchel musste sich also als Fußballtrainer zur Weltpolitik äußern. Ein ungewohntes Terrain, auf dem er sich bewegte. Und doch wirkte er sicher und überzeugt von dem, was er sagte. "Ich bin froh über das klare Statement, das der Klub abgegeben hat. Ich stehe persönlich einhundert Prozent zu dem Statement", begann der Trainer des FC Bayern seine Ausführung. Er habe sowohl mit Mazraoui als auch mit Peretz gesprochen, sagte Tuchel, wollte allerdings nicht auf Einzelheiten eingehen. Man habe gegenüber Peretz nun "eine besondere Fürsorgepflicht". "Wir müssen Daniel fragen, wie es ihm geht. Es ist ein hochsensibles Thema, vor allem für Daniel Peretz, dessen Familie direkt betroffen ist. Wir werden uns um ihn kümmern", versprach Tuchel.

"Mikrokosmos Kabine" – "Keine heile Welt, aber heilende Wirkung"

Er hoffe zudem auf die "heilende Wirkung", die der Sport in globalen Krisen immer wieder habe und beschwor die Kabine des Rekordmeisters als einen Ort, an dem man Konflikte überwinden könne: "Wir haben keine heile Welt in der Kabine. Aber eine Kabine hat eine heilende Wirkung. Sie ist ein Ort, wo man Widerstände, kultureller und religiöser Art, gemeinsam überkommt und durchsteht. Eine Kabine ist immer ein Ort, an dem man friedlich, freundschaftlich, kameradschaftlich auf ein Ziel hinarbeitet. Es ist immer wieder schön, zu sehen, wie dieser Mikrokosmos funktioniert", so Tuchel.

Es war ein bemerkenswert emotionaler und gleichzeitig analytischer Appell an ein gemeinschaftliches Zusammenleben, bei dem Tuchel in dieser Situation, in der er für den FC Bayern sprach, aber auch als Vorgesetzter und Schutzbefohlener seiner Spieler, viele klare Worte fand.

Tuchel: "Inniges Top-Verhältnis" zu Hoeneß

Doch der FC Bayern ist nun mal der FC Bayern. Einer der wenigen Orte, an dem man wenige Sekunden nach einem bewegten Statement zur Weltpolitik zu den Verletzungssorgen vor dem Mainz-Spiel (Kimmich wird mitfahren, Gnabry, Upamecano und Guerreiro verpassen die Partie), und weiter zu einem Konflikt mit dem eigenen Chef springen muss. Uli Hoeneß hatte nämlich die Länderspielpause genutzt, um nicht nur gegen Ex-Mitarbeiter Oliver Kahn auszuteilen. Er hatte auch eine Schelte für Tuchel parat, der nach Meinung des Ehrenpräsidenten den Verein für seine Transferpolitik besser nicht hätte öffentlich kritisieren sollen.

Und so umspielte ein schelmisches Lächeln den Mund des Trainers, als sich eine Frage zu Hoeneß anbahnte: "Ich habe es natürlich mitbekommen", sagte Tuchel zu der Hoeneß-Aussage, doch traf er auch hier den richtigen Ton: "Es gilt für mich das, was wir intern miteinander sprechen. Ich habe mit Uli ein sehr gutes, ein sehr wertschätzendes, ein inniges, ein Top-Verhältnis. Auch weiterhin."

Neuers Rückkehr steht bevor – allerdings nicht gegen Mainz

Und dann gab es noch die Frage zu klären, die in ruhigeren Zeiten oft genug Streitpotenzial bietet, um in Deutschland zu einem Politikum heranzuwachsen: die Rückkehr von FC-Bayern- und Nationalmannschafts-Torwart Manuel Neuer: "Wir haben Manu im Training. Das ist die sensationell große Nachricht", sagte Tuchel über Neuer, dessen Comeback nach zehn Monaten Verletzungspause unmittelbar bevorsteht.

"Er fühlt sich gut und hat Selbstvertrauen", sagte Tuchel und stimmte dann ein Loblied an: "Ich bewundere ihn, wie er das gemacht hat. Ich bin stolz auf ihn. Von so einer komplizierten Verletzung zurückzukommen, so klar zu sein, durch alle Aufs und Abs unbeirrt weiterzugehen. Dafür gehört ihm der allergrößte Respekt. Jetzt mitzuerleben, wie gelöst er ist, macht mich sehr, sehr glücklich. Seine Qualität im Training ist so augenscheinlich. Es ist ein ganz außergewöhnliches Torwartspiel."

Dass Neuer noch nicht gegen Mainz auflaufen wird, begründete Tuchel nicht mit fehlender Fitness, sondern damit, dass man Neuer derzeit nicht die optimale Vorbereitung bieten könne: "Ihm fehlt ein Training mit Innenverteidigern. Er will wissen: Wie blocken die, auf welche Seite, wie verhalten sie sich. Er möchte ihnen mitteilen, wie er sich wünscht, dass sie sich verhalten – weil es einfach dieses Niveau ist, auf dem er spielt", erklärte Tuchel mit sichtlicher Begeisterung.

Tuchel: "Mainzer lieben die Rolle des Underdogs"

Zu guter Letzt durfte sich Tuchel zu dem äußern, was eigentlich seine Kernkompetenz ist: Der 50-Jährige soll schließlich den FC Bayern zur zwölften Meisterschaft in Folge führen. Ein Sieg am Samstagabend gegen seinen Ex-Klub Mainz würde helfen. Mainz steht in der Tabelle mit nur zwei Punkten auf dem vorletzten Platz. Unterschätzen will Tuchel den kommenden Gegner freilich dennoch nicht: "Die Mainzer lieben die Rolle des Underdogs. Die haben das kultiviert. Das ist ihre besondere Stärke, in Phasen, in denen der übermächtige Gegner kommt, eine Stimmung zu entwickeln, sich in solche Spiele hineinzubeißen", sagte Tuchel, der vier Jahre dort trainiert hat und dabei genau eine solche Stimmung erzeugen wollte, wenn es gegen den FC Bayern ging.

Tuchel weiß daher allerdings auch, worauf es ankommt: "Wir erwarten lange Bälle, wir erwarten viele Zweikämpfe. Das musst du alles wegarbeiten, ohne Schulterklopfen, bis sich irgendwann unsere Qualität durchsetzt", erklärte Tuchel und näherte sich damit dem Ende einer Pressekonferenz, die auch ihm noch lange in Erinnerung bleiben wird. Vielleicht hat er mit seinen Worten zumindest dazu beigetragen, dass beim FC Bayern ein bisschen mehr Ruhe einkehren wird. Und alleine das wäre eine große Leistung.

Tabellenführung und Abstiegskampf, aktuelle Spielpaarungen, Ergebnisse und Liveticker, Torjägerlisten, Laufleistung- sowie Zweikampfstatistiken und noch viel mehr: Fußball im Ergebniscenter von BR24Sport.

Quelle: BR24Sport 20.10.2023 - 18:30 Uhr