Joshua Kimmich (rechts) bei seiner Auswechslung gegen Leverkusen

Vor Duell mit Manchester Kimmich unter Tuchel: Kein Leader mehr

Stand: 20.09.2023 10:05 Uhr

Die Auswechslung von Joshua Kimmich gegen Bayer Leverkusen schlägt beim FC Bayern hohe Wellen. Trainer Thomas Tuchel spart nicht an Kritik, Kimmich selbst hält sich nicht an taktische Vorgaben. Von seinem Status als Leader scheint wenig übrig.

Von Hannes Nebelung

Es lief die 60. Minute des Spitzenspiels zwischen dem FC Bayern und Bayer Leverkusen, als Thomas Tuchel Joshua Kimmich zur Seitenlinie rief. Nicht um seinem Mittelfeld-Strategen beim Stand von 1:1 neue Anweisungen zu geben. Er nahm ihn vom Feld. Die Auswechslung von Kimmich habe nichts mit dessen Leistung zu tun, beschwichtigte Tuchel nach der Partie. Nachdem der 28-Jährige muskulär angeschlagen von der Nationalmannschaft zurückgekehrt war, habe sich sein Trainer exakt an "die medizinische Maßgabe gehalten", erklärte der Coach, auch mit Blick auf das anstehende Duell mit Manchester United am Mittwoch.

"Frag den Trainer": Kimmich heizt Spekulationen an

Ganz so einvernehmlich schien die Sache jedoch nicht zu sein. Auf dem Weg durch die Interview-Zone in den Katakomben der Münchner Arena reagierte Kimmich kurz angebunden. "Frag den Trainer", entgegnete er im Vorbeigehen auf eine Journalisten-Frage, ob seine Auswechslung körperliche Gründe hatte. Es ist das nächste Kapitel eines schwelenden Konflikts.

Bevor Tuchel das Traineramt beim FC Bayern übernommen hatte, war Kimmich beim unumstritten. Unter Julian Nagelsmann war er die Gegenwart und Zukunft des Rekordmeisters. Als Manuel Neuer nach seinem kritischen Interview das Kapitänsamt zu verlieren drohte, schien Kimmich die einzig logische Alternative zu sein.

Ballack: "Weltklasse nur als Rechtsverteidiger"

Sechs Monate später ist Kimmich öffentlich angezählt. Kaum eine Woche vergeht, in der der Mittelfeldspieler nicht angezweifelt wird. Jüngste Wortmeldung: "Weltklasse ist er für mich nur als Rechtsverteidiger", sagte Ex-Bayern-Kapitän Michael Ballack im "kicker": "Im Zentrum will er manchmal zu viel, das macht die Mannschaft mitunter anfällig." Dies sei nicht grundsätzlich Kimmichs Schuld, findet Ballack, der eine Parallele zu Philipp Lahm zog. "Wenn du außen Weltklasse bist, funktioniert das auf einer anderen Position nicht zwangsweise ebenso."

Ex-Bundesliga-Profi Thomas Broich nahm Kimmich im "Blickpunkt Sport" ein wenig in Schutz. "Ich glaube, dass viel an ihm festgemacht wird. Er ist das Sinnbild des Ganzen und er ist da in einer Sache gefangen, die nicht nur etwas mit seiner sportlichen Leistung zu tun hat."

Die Kritik an Kimmich begann mit dem enttäuschenden Ausscheiden der Nationalmannschaft bei der WM in Katar. Doch nach seiner Rückkehr ebbte sie wieder ab. Die Äußerungen von Tuchel, der schon ganz früh in der Vorbereitung anmahnte, dass Kimmich nicht seine Wunschlösung auf der "Holding Six", dem absichernden defensiven Mittelfeldspieler, sei, gaben der Kritik neue Nahrung.

"Es ist meine Beobachtung, dass wir diesen Spielertyp nicht haben, aber man kann auch ohne solch einen Spieler Spiele gewinnen. Wir müssen andere Lösungen finden", sagte Tuchel damals. Und seither wird fast täglich darüber diskutiert, wie gut Kimmich tatsächlich ist und ins System des Trainers passt.

Kimmich hält sich offensichtlich nicht an Tuchels Vorgaben

Denn Tuchels Spielidee fruchtet in München noch nicht. Die angekündigte Lösung in der Zentrale scheint noch nicht gefunden, auch weil Kimmich seine Rolle weitehrin phasenweise anders interpretiert als von Tuchel gewünscht. "Die ersten 20 Minuten waren bockstark und das lag vor allem an Joshua Kimmich", bewertete Broich: "Erst als Leverkusen sein Spiel umgestellt und Kimmich unter Kontrolle gekriegt hat, hat sich auch das Spiel ein bisschen gedreht.”

Dann klafften im Spielaufbau der Münchener und im Spiel gegen den Ball riesige Lücken im zentralen Mittelfeldraum. Auch gegen Leverkusen ließ sich Kimmich durch das Kurzpassspiel des Gegners aus seiner Position herauslocken. Diesen Raum nutzte dann Bayer-Youngster Florian Wirtz ein ums andere Mal aus, unter anderem beim Abseitstor von Victor Boniface (31.).

Dies blieb auch Tuchel nicht verborgen: "Wir müssen insgesamt stabiler und griffiger werden. Mal hatten wir die Kontrolle, mal keine. Mal waren wir kompakt, mal nicht. Da haben wir Luft nach oben." Zwar nannte der FCB-Coach Kimmich nicht beim Namen, doch Spielkontrolle und das Herstellen von Kompaktheit sind die Kernaufgaben einer defensiven Sechs.

Tuchel konnte bisher kein stabiles System etablieren

Allerdings: Die unbeständigen Leistungen des FC Bayern nur an Kimmich fest zu machen, wäre zu kurz gegriffen. So hat es Tuchel seit seiner Ankunft in München nicht geschafft, eine Mannschaft zu formen und ein System zu etablieren, das sowohl gegen individuell deutlich schwächer besetzte Gegner als auch gegen Top-Teams erfolgreich greift.

Mit dem vorhandenen Spielern konnte der frühere Chelsea-Coach nicht die angekündigte Lösung präsentieren. Und auch die Münchner Verantwortlichen haben es verpasst, die Forderungen Tuchels zu erfüllen, Kimmich einen echten Abräumer an die Seite zu stellen. Und so steht der einst unumstößliche Leader nicht nur auf, sondern auch neben dem Platz bisweilen ziemlich alleine da.

Blickpunkt Sport: Thomas Broich unter anderem zu Joshua Kimmich

Thomas Broich

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Quelle: BR24Sport im Radio 18.09.2023 - 14:55 Uhr