Der gestürzte Mark Cavendish wird an der Schulter behandelt
Tourreporter

Sturz auf der 8. Etappe Cavendishs letzte Tour de France endet in Schmerzen

Stand: 08.07.2023 20:59 Uhr

Die Tour de France hätte zu einer letzten Triumphfahrt werden sollen für Mark Cavendish. Doch statt mit einem 35. Etappensieg endet die Tour de France mit einem Sturz auf der 8. Etappe. Das schmerzt auch die Konkurrenten.

Von Michael Ostermann, Limoges

Radsport ist brutal. Schmerzen bilden den Kern dieser Sportart. Das ist keine ganz neue Erkenntnis, aber auf der 8. Etappe der Tour de France nach Limoges wurde sie noch einmal auf eine besonders dramatische Weise unterstrichen.

Mark Cavendish lag nach einem Sturz knapp 65 Kilometer vor dem Ziel auf der Straße, hielt sich die rechte Schulter und es war recht schnell klar: Es würde nicht weitergehen für den britischen Sprinter. "Es war ein dummer Sturz", sagte der Spanier David de la Cruz später im Ziel, einer von Cavendishs tief erschütterten Teamkollegen.

Mit leerem Gesichtsausdruck

Als Cavendish zu Fall kam, war die Rennsituation entspannt: vorne ein Ausreißer-Trio mit kontrolliertem Abstand und hinten im Feld die Erwartung auf ein Sprintfinale in Limoges. Das Peloton bewegte sich auf einer breiten, leicht ansteigenden Straße. "Da ist man nicht voll fokussiert", sagte de la Cruz.

Cassalette, Moritz, Sportschau Tourfunk, 08.07.2023 18:58 Uhr

Bevor Cavendish ins Krankenhaus nach Perigueux gebracht wurde, war er noch einmal zu sehen, wie er schon in einem Auto saß mit leerem Gesichtsausdruck. Der psychische Schmerz dürfte da bereits sehr viel größer gewesen sein, als der physische des gebrochenen Schüsselbeins. Es war ja seine letzte Tourteilnahme, die da auf dem Asphalt in der Dordogne endete. Im Mai hatte Cavendish, 38, sein Karriereende zum Saisonende angekündigt.

Cavendishs Liebe zur Tour war immer groß

In all den Jahren seiner 2007 begonnenen Karriere als Radprofi hatte Cavendish stets betont, dass die Tour de France das Rennen sei, das er am meisten liebe und welches ihm im Laufe der Jahre die größten Emotionen beschert habe. Und Erfolge: Mit 34 Etappensiegen bei der Tour teilt er sich den Rekord mit dem großen Eddy Merckx.

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Seine letzte Tourteilnahme sollte ihm nun diesen einen Sieg zusätzlich bringen und ihn zum alleinigen Rekordhalter machen. Und auch, wenn die Konkurrenz beim wichtigsten Radrennen der Welt nicht bereit war, Cavendish diesen Erfolg einfach zu schenken, gibt es innerhalb des Fahrerfeldes viele, die ihm diesen Erfolg gegönnt hätten.

Van Aert: "Eine Schande"

"Ich habe so sehr gehofft, dass ihm dieser 35.Sieg gelingt", sagte der Däne Mads Pedersen, der die Etappe in Limoges gewann. "Dass er das Rennen jetzt nach einem Sturz verlassen muss, ist schmerzhaft, nicht nur für ihn, sondern auch für viele Fahrer im Peloton und die Fans."

Auch Wout van Aert, in Limoges auf Rang drei angekommen, bekundete sein Mitgefühl: Es sei eine "Schande", dass Cavendish die Tour auf diese Weise verlassen müsse. "Er hätte es verdient gehabt, das hier stilvoll zu beenden", sagte der Belgier. Zumal Cavendish ja am Tag zuvor erst gezeigt habe, dass er immer noch einen Etappensieg in sich habe.

Am Freitag war Cavendish in Bordeaux auf den zweiten Platz hinter dem Belgier Jasper Philipsen gesprintet. Bis 30 Meter vor dem Ziel hatte er sogar schon wie der sichere Sieger ausgesehen und hinterher Probleme mit der Schaltung mitverantwortlich gemacht dafür, dass Philipsen noch vorbeiziehen konnte.

Tränen beim Team

Cavendish hatte vor der Saison Unterschlupf beim Team Astana gefunden, nachdem er im Winter ohne Vertrag dastand. Bei der kasachischen Equipe haben sie allerdings keine Erfahrungen mit Sprintern, weshalb die Vorbereitung für die Finale meistens ziemlich durcheinander liefen.

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"Er war unser Leader", sagte Cavendishs Teamkollege de la Cruz nun in Limoges. "Wir haben geduldig gearbeitet und haben wirklich geglaubt, dass wir diesen einen Sieg mit ihm schaffen können." Mark Renshaw, einst wichtiger Anfahrer für Cavendish und vor der Tour kurzfristig als Sprintberater engagiert, berichtete, er habe geweint, als er seinen Sprinter habe auf der Straße liegen sehen, und er sei nicht der einzige gewesen.

Fährt Cavendish noch mal ein Rennen?

Für das Team ist mit dem Ausscheiden des Briten das Ziel verloren gegangen. Für Cavendish stellen sich grundsätzlichere Fragen: Zur Tour de France wird er nur noch als Gast zurückkehren. Und ob er nach diesem Schlag nun überhaupt noch mal die Motivation findet, ein Rennen zu bestreiten, bevor er am Ende der Saison ganz aufhört, ist fraglich. "Das sollte er lieber nicht heute Abend entscheiden", sagte Rolf Aldag, der sportliche Leiter des Bora-hansgrohe-Teams.

Aldag hat viele Jahre mit Cavendish zusammengearbeitet. Die Bewertung von Cavendishs Leistungen hingen nicht von dem einen, nun nicht mehr erreichbaren, 35. Etappensieg ab, findet Aldag. Ob Cavendish damit der größte Radsportler der Geschichte geworden wäre, darüber wären die Meinungen dann sicher auseinandergegangen. "Aber dass er auch ohne diesen Sieg der größte Sprinter aller Zeiten ist, steht außer Frage."