Wout van Aert (vorne) und Yves Lampaert auf ihren Rennmaschinen

Tour de France Rennräder der Profis - Feilschen um jedes Watt

Stand: 29.06.2023 14:39 Uhr

Bei der Tour de France herrscht eine hohe Leistungsdichte - über Sieg oder Niederlage können winzige Details entscheiden. Hier spielt auch die Technik eine große Rolle: Wo kann man noch ein paar Watt Leistungseinsparung herauskitzeln? Wir geben einen Überblick über den aktuellen Stand der Technik bei der Profi-Aufrüstung.

Von Thomas Braun

Auf dem Rad werden die Fahrer im Wesentlichen durch drei Kräfte ausgebremst: den Luftwiderstand, den Steigungswiderstand und den Rollwiderstand. Beim Material kommt es also auf die richtige Mischung aus Aerodynamik, geringem Rollwiderstand und geringem Gewicht an - zudem dürfen bei den Rädern die Steifigkeit und der Fahrkomfort nicht zu kurz kommen.

Der Rahmen: Aerodynamisch und superleicht

Die Hauptkomponente ist der Rahmen. Dessen grundsätzliche Form ist vom Weltradsportverband UCI vorgegeben. Etwas Spielraum haben die Hersteller aber bei der aerodynamischen Gestaltung der Rahmenrohre. Specialized zum Beispiel, das bei der Tour Bora-hansgrohe, Soudal - Quick-Step und TotalEnergies ausrüstet, hat es nach eigenen Angaben geschafft, das aktuelle Top-Modell S-Works Tarmac SL 7 auf 40 Kilometern noch einmal 45 Sekunden schneller zu machen als den Vorgänger. Ähnliches verspricht Ineos-Ausrüster Pinarello für sein Topmodell. Beim deutschen Hersteller Canyon hat man spezielle Carbon-Fasern verbaut, um das Aerorad 170 Gramm leichter zu machen als den Vorgänger.

Ewig abspecken geht allerdings auch nicht. Die untere Gewichtsgrenze ist im UCI-Reglement festgelegt. Die Räder dürfen zusammen mit dem fest verbauten Zubehör nicht leichter als 6,8 Kilogramm sein. Zuletzt hatten die Hersteller kaum Probleme, an diese Grenze heranzukommen und so auch etwas Luft, um bei den Rahmen an der Aerodynamik herumzufeilen. Die Zeiten, dass es ein Rad für Flachetappen und ein spezielles Bergrad gab, sind bei vielen Herstellern damit vorbei. Ausnahme bleiben die speziellen Zeitfahrräder.

Das Bremssystem: Scheibenbremse hat Felgenbremse verdrängt

Scheiben- oder Felgenbremse: Das war viele Jahre ein heißes Diskussionsthema im Radsport. Drei Jahre dauerte die Testphase an, bis der Weltradsportverband UCI schließlich ab dem 1. Juli 2018 den Einsatz bei Straßenrennen erlaubte.

Mittlerweile haben sich die Discs im Profisport größtenteils durchgesetzt - auch wenn sie schwerer sind als die Felgenbremsen und dadurch der Gewichtsspielraum beim Gesamtrad für die Hersteller etwas eingeschränkt wurde. Üblicherweise werden in den Profi-Rädern Bremsscheiben mit 160 Millimetern Durchmesser eingesetzt, manchmal auch eine Kombination aus 140er und 160er Scheiben. Ein großer Vorteil der Discs: Auch bei großer Hitzeentwicklung etwa in Abfahrten kann sich die Felge nicht mehr verformen.

Die Laufräder: Hohe Felgen aus Carbon

Eine weitere wichtige und auch kostspielige Komponente der Rennmaschinen sind die Laufräder. Sie bestehen aus Felge und Reifen. Bei den Felgen ist schon seit längerem Carbon das Mittel der Wahl. Der Werkstoff ist leicht, bietet eine höhere Steifigkeit, und mit ihm sind bei gleichem Gewicht wie bei Alufelgen andere Formen möglich - insbesondere höhere Felgen. Und je höher die Felge, desto besser die Aerodynamik. Etwa 60 Millimeter Höhe sind aktuell der Standard bei Flachetappen. Wenn es bergauf geht, fährt man auch mal flachere Felgen.

Wichtig ist aber auch das Zusammenspiel von Felge und Reifen, beides muss zusammenpassen und harmonieren. Etwa bei der Breite, aber auch bei der Art des Reifens.

Die Reifen: Schlauchreifen, Clincher und Tubeless

Man unterscheidet grundsätzlich drei Reifentypen: Draht- oder Faltreifen, englisch auch Clincher genannt, Schlauchreifen und schlauchlose Reifen, auch Tubeless, genannt.

Im Freizeitbereich am weitesten verbreitet sind wohl immer noch die Clincher. Hier wird der Reifenmantel an den etwas erhöhten Felgenhörnern aufgehängt. Innendrin ist ein separater Schlauch, der mit Luft gefüllt wird.

Im Profisport waren lange Jahre Schlauchreifen der Standard. Hier sind Schlauch und Mantel miteinander vernäht - der Reifen wird auf die Felge aufgeklebt. Die Felge ist in der Mitte leicht gewölbt, besitzt aber keine seitlich hochstehenden Felgenhörner. Bei einem Defekt haben solche Reifen bessere Notlaufeigenschaften - hinzu kommt der Gewichtsvorteil gegenüber anderen Reifensystemen, da die Felgen leichter konstruiert werden können.

Die neueste Technologie in dem Bereich sind Tubeless-Reifen - also schlauchlose Reifen. Die Felgenform ähnelt der von Drahtreifen. Allerdings wird innen kein gesonderter Schlauch benötigt. Das Ventil ist fest mit der Felge verbunden. Tubeless-Reifen haben den Vorteil, dass man den Luftdruck deutlich variieren kann.

Auch wenn Tubeless-Reifen sich immer mehr durchsetzen – im Profipeloton sind weiterhin sowohl Schlauchreifen als auch Tubeless-Systeme unterwegs. Je nach Streckenprofil setzen die Fahrer und ihre Mechaniker auf unterschiedliche Reifen.

Elektronische Schaltgruppen sind Standard

Damit die Räder überhaupt in Bewegung kommen und die Leistung der Fahrer auf die Straße übertragen wird, braucht es ein weiteres wichtiges Bauteil: Die Schaltgruppe - die neben den Bremsen aus Kurbel, Kettenblättern vorne, Kassette hinten, Umwerfer, Schaltwerk, Schalthebeln und Kette besteht.

Die meisten Teams in der World Tour fahren das Topsystem von Shimano: Dura Ace Di2. Für etwas Aufsehen sorgte, dass gerade die beiden Favoritenteams, UAE Team Emirates und Jumbo-Visma, zu Beginn der Saison auf neue Systeme umgestiegen sind. UAE wechselte von Campagnolo zu Shimano – Jumbo hingegen setzt nun auf den US-Hersteller SRAM statt auf Shimano.

Campagnolo rüstet aktuell mit dem AG2R Citroen Team nur noch eine World-Tour-Mannschaft aus. Alle Profi-Schaltsysteme der drei großen Anbieter sind elektronisch und haben integrierte Leistungsmessgeräte – wobei die Teams mitunter noch Verträge mit anderen Herstellern haben und hier eigene Leistungsmesser einsetzen.

54/39 vorne - und 30er Kassette hinten

Der Standard bei der hinteren Kassette ist – auch dank der mittlerweile verbreiteten Zwölffach-Kassette - ein 30er Ritzel als größtes Ritzel. Kleinere Kassetten werden nur noch selten gefahren, etwa beim Zeitfahren. Größere Ritzel werden im Profibereich nur bei ganz speziellen Bergetappen aufgebaut.

Vorne war lange 53/39 der Standard. Zuletzt legten die Profis aber vermehrt größere Blätter auf – laut Bora-Hansgrohe-Chefmechaniker Risto Usin ist in der deutschen Elitemannschaft mittlerweile 54/39 am weitesten verbreitet. Und Matej Mohoric hatte bei seinem Tour-Etappensieg nach eigenen Angaben sogar ein 55/42er Kettenblatt aufgelegt. Für Sprinter kann es gerne sogar noch eine Nummer größer sein.

Mit dem größeren Kettenblatt vorne haben die Profis wieder mehr Spielraum – müssen dann auf der hinteren Kassette nicht im Randbereich fahren, sondern können die Kette eher mittig laufen lassen.

Seit diesem Jahr gilt eine Mindestbreite für Lenker

Ein weiterer Trend, der die vergangenen Jahre zu beobachten ist: Die Lenker werden immer schmaler. Durch die dadurch veränderte Körperhaltung bietet der Fahrer dem Wind weniger Widerstand und kann mit gleicher Leistung höhere Geschwindigkeiten erreichen.

Das ganze nahm derartige Ausmaße an, dass die UCI nun gegenlenkte. Zunächst wurde bereits 2021 der Unterarmstütz auf dem Lenker verboten. Seit diesem Jahr muss der Lenker zudem mindestens 350 mm breit sein.

Kleidung: Belüftung genauso wichtig wie Aerodynamik

Nicht nur bei den Rädern wird an jedem Detail geschraubt - auch die richtige Bekleidung kann enorme Vorteile bringen. Wie Tests im Windkanal zeigen, können spezielle Aerotrikots bei hohen Geschwindigkeiten um die 30 Watt gegenüber einem Standardtrikot einsparen.

Wichtigstes Kriterium: Die Kleidung muss eng anliegen, darf nicht flattern. Dabei kommen spezielle, elastische Gewebe zum Einsatz. Die Beinabschlüsse haben oft eine Silikongummierung, damit nichts verrutscht.

Es wird auch mit verschiedenen Stoffkombinationen gearbeitet: Teils glatte Gewebe, dort wo der Wind aufprallt. An anderen Stellen hingegen gibt es strukturierte Flächen mit Längsrillen und Wabenmustern, die dafür sorgen, dass sich der Luftstrom vom Trikot löst und es weniger Verwirbelungen gibt. In den Hosen sind Sitzpolster eingenäht, der gewählte Stoff ist extrem dehnbar und leitet Feuchtigkeit gut ab. Wichtig ist auch, dass die Körperwärme gut abgeleitet wird.

Prototypen bei der Tour

Ein Großteil der Ausrüstung der Radsportler wird heute im Austausch mit den Profis entwickelt. Sie sind dann auch teils mit Prototypen unterwegs. Brandneues Material wird aber in aller Regel nicht erst bei der Tour, sondern schon in den Rennen vorher ausgiebig getestet.

Was sich bewährt, kommt kurz darauf auf den freien Markt - eine Vorgabe des UCI-Reglements. Spätestens zwölf Monate nach dem ersten Renneinsatz muss das neue Material für jeden zu kaufen sein, der Radfahren als Sport ausübt.