Tadej Pogacar (l.) und Jonas Vingegaard fahren durch dichte Fanreihen
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Motorräder, Fans, Strecke Die Tour de France stößt an ihre Grenzen

Stand: 23.07.2023 20:44 Uhr

Die Tour de France 2023 war geprägt vom Duell zwischen Jonas Vingegaard und Tadej Pogacar. In Erinnerung bleiben werden aber auch zahlreiche Vorfälle mit Fans und Begleitfahrzeugen. Die Tour stößt beim Versuch weiter zu wachsen an Grenzen.

Von Michael Ostermann, Paris

Der Toursieger stand im Pariser Abendlicht auf diesem großen gelben Podium mit dem Arc de Triomphe im Rücken. "Es war eine überwältigende Tour de France für mich, für uns", sagte Jonas Vingegaard. "Ich danke meinen Gegnern, es waren drei tolle Wochen, in denen wir gegeneinander gekämpft haben." Und das war dann das Schlusswort der 110. Ausgabe der Tour de France.

Es ist eine Ausgabe gewesen, die in Erinnerung bleiben wird. Es gab ein spektakuläres Duell zwischen Vingegaard und Tadej Pogacar, das manch einer sogar als episch bezeichnete. Obwohl der Mann im Gelben Trikot am Ende fast siebeneinhalb Minuten Vorsprung auf den Zweiten hatte. Es gab kleine und große Dramen, und das alles auf einer Strecke, die viele Gemeinheiten für das Peloton bereithielt: 55.460 Höhenmeter mussten die Radprofis auf den 3.404 Kilometern bewältigen - eine brutale Kletterei.

Reißzwecken auf der Straße, Begleitmotorräder im Stau

Die Tour de France bleibt das wichtigste, größte und wohl auch schwerste Radrennen der Welt mit einer globalen Aufmerksamkeit, die keine andere Veranstaltung dieses Sports erreicht. Das Spektakel auf den französischen Landstraßen ist ein Publikumsmagnet an den TV-Geräten und Smartphones weltweit sowie entlang der Strecke in Frankreich.

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Doch genau da beginnt leider auch das Problem. In diesem Jahr haben sich die Vorfälle gehäuft, bei denen Zuschauer oder Begleitfahrzeuge die Sicherheit der Fahrer gefährdeten oder das Renngeschehen beeinflussten. In einem Fall vielleicht sogar entscheidend, als zwei Motorräder nicht schnell genug durch das dichte Gedränge der Zuschauer auf dem Col de Joux Plane kamen, die Strecke blockierten und damit einen Angriff von Tadej Pogacar ausbremsten. Es gab Reißzwecken auf der Straße und von Fans verursachte Stürze.

Der Tourdirektor kündigt Maßnahmen an

Der Tourdirektor Christian Prudhomme hat das in einem Interview mit dem französischen Radiosender "France Info" zum Abschluss der Rundfahrt den "Preis des Erfolges" genannt. Es seien mehr Menschen entlang der Straßen der Tour de France unterwegs gewesen, als er jemals gesehen habe. Das Publikum sei "zu 99 Prozent familiär und supersympatisch", auf den Rest aber müsse man aufpassen. "Wir werden also sicherlich weitere Maßnahmen ergreifen müssen", erklärte Prudhomme.

Vielleicht sollte der Tourdirektor damit anfangen, das Marketingkonzept seines eigenen Hauses - des Tourveranstalters ASO - zu überdenken. Zu den neuen Partnern der Tour gehört die Social-Media-Plattform TikTok, die ganz klassisch einen Wagen platziert hat in der Werbekarawane, die dem Peloton vorausfährt.

Doch der Deal soll vor allem den angeblich "alten" Radsport einer neuen, jüngeren Zielgruppe zugänglich machen. Als die Partnerschaft kurz vor dem Grand Départ der Tour in Bilbao verkündet wurde, schwärmte der ASO-Marketingdirektor Julien Goupil, dass die "frischen Inhalte von der Straße" für ein "noch stärkeres Gemeinschaftsgefühl" rund um die Tour sorgen würden.

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Widerspruch zur eigenen Vermarktungsstrategie

Vielleicht war das auch die Idee jenes Zuschauers, der auf der 15. Etappe beim Versuch ein Selfie vor heranrasendem Feld zu schießen, den Amerikaner Sepp Kuss zu Fall brachte und damit einen Massensturz auslöste. Es ist jedenfalls ein Widerspruch, wenn man einerseits Content vom Streckenrand für eine bessere Vermarktung nutzen will, andererseits dann in Videoclips zu mehr Respekt vor den Fahrern aufruft und dabei explizit fordert, Selfies doch bitte zu unterlassen.

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Natürlich lebt der Radsport von der besonderen Nähe des Publikums zu seinen Akteuren. Wie der Radsport aussehen würde, wenn das Spektakel auf der Strecke nicht von begeisterten Fans eingerahmt wäre, konnte man auf der Etappe hinauf zum Puy de Dome erleben. Dort waren auf den letzten vier Kilometern aus Gründen des Naturschutzes und der Sicherheit keine Zuschauer zugelassen. Das Rennen hinauf auf den Vulkan war spannend, wirkte dann aber eben doch auch ein bisschen steril.

Tourdirektor Prudhomme irrt

Die Rückkehr der Tour de France auf den Puy de Dome nach 35 Jahren war ein Herzenswunsch des Tourdirektors. Christian Prudhomme und der Streckenchef Thierry Gouvenou haben darüber hinaus in den vergangenen Jahren immer wieder versucht, neue spektakuläre Streckenabschnitte zu finden.

Mit Erfolg. Aber oft ist das mit großen logistischen Herausforderungen verbunden. Etwa am Col de la Loze, einer schmalen Fahrradstraße, auf der Fanmassen und Begleitfahrzeuge sich diesmal ins Gehege kamen und den Mann im Gelben Trikot aufhielten.

Die Tour de France stoße nicht an ihre Grenzen, hat Christian Prudhomme im Interview mit "France Info" behauptet. Das Gegenteil ist richtig. Das größte Radrennen der Welt wandelt auf einem schmalen Grat und muss aufpassen nicht abzustürzen.