Auf dem Tisch liegen Pillen und Spritzen.

Kaum Fahndungsdruck auf Hintermänner Milde für die Masterminds des Massendopings

Stand: 31.03.2023 05:00 Uhr

Die Schwächen der Strafverfolgungsbehörden bei der Dopingproduzentenjagd: kaum Organisation, Kooperation und Motivation.

Von Hajo Seppelt, Wigbert Löer, Peter Wozny, Jörg Winterfeldt

Am Morgen des vorletzten Novembertages 2019 verkündete das Zollfahndungsamt Frankfurt stolz einen großen Fang. "Zollbeamte", teilte es mit, "haben im September und Oktober 2019 etwa 412 Kilogramm Doping- und Arzneimittel sichergestellt."

Die rund 83.000 Ampullen Dopingmittel, 10.000 Tütchen und 11.000 Tabletten Potenzmittel seien, als "Gesundheitsmittel" deklariert, im September und Oktober in zwei Chargen aus Singapur eingetroffen. Angeblich waren sie für Paraguay bestimmt, jedoch waren Zieladresse und Genehmigungspapiere falsch.

Das Bemerkenswerteste ging aus der Mitteilung nicht hervor, sondern aus dem mitveröffentlichten Foto: Darauf war gut zu erkennen, dass es sich um Ware von Alpha Pharma handelte, dem in Mumbai ansässigen Unternehmen des Dänen Jacob Sporon-Fiedler. Der stand zum Zeitpunkt der Beschlagnahmung gerade in London als Hauptangeklagter eines riesigen Doping-Schmuggelrings vor dem berühmtesten Kriminalgericht Ihrer Majestät, Old Bailey – ohne, dass ihm die Frankfurter Funde zum Nachteil gereichten.

Ungebremster Doping-Großhandel

Nach Hinterlegung einer Bar-Kaution von 700.000 Pfund hatte Sporon-Fiedler die Zeit zwischen seiner Verhaftung und der Verurteilung am 14. November 2019 in britischer Freiheit verbringen dürfen. Durch Abgabe seiner drei Pässe und das Tragen einer elektronischen Fußfessel gehindert an der Ausreise. Aber offenbar nicht am palettenweisen Vertrieb seiner verbotenen Dopingmittel nach Europa.

Der Vorgang offenbart gleich mehrere Schwächen des Kampfes gegen den weltweiten Dopingmittelhandel. Die Strafandrohung ist offenbar in vielen Ländern so gering, dass eine Abschreckung kaum stattfindet. Überlastete Polizei- und Anklagebehörden priorisieren andere Straftaten und konzentrieren sich, wenn überhaupt, auf die Straftatbeteiligten in ihrer territorialen Zuständigkeit: Konsumenten oder Zwischenhändler.

Der Unmut vieler Ermittler, sich überhaupt mit Doping im Fitnessbereich auseinandersetzen zu müssen, klang 2020 auch aus dem Evaluierungsbericht nach fünf Jahren deutschem Anti-Doping-Gesetz hervor: Statt sich dem Doping im Spitzensport zuwenden zu können, betrafen "die Verfahren fast ausnahmslos ‚Kraftsport und Bodybuilding‘", klagen Fahnder da.

Selbst bei Zugriffen können Verdächtige offenbar mit Nachsicht rechnen. Im Internet finden sich zahlreiche Beschreibungen verdächtiger Doper oder Dealer, die Razzien bei sich so amüsiert schildern wie der deutsche Kleindealer André Böge aus Niedersachsen: Sein Handy habe er problemlos im Kinderspielzeug verstecken können. "Weil die Zollbeamten damals bestimmte Sachen nicht gefunden haben, konnte mir vieles nicht nachgewiesen werden."

Keine statistische Erfassung nach Produktherstellern

Eine globale Vernetzung von Fahndungserkenntnissen findet nur im Ausnahmefall statt. Das Kriminalamt des Vereinigten Königreichs NCA habe keine Kenntnis von Jacob Sporon-Fiedler gehabt, "bevor der Papierkram auf meinem Schreibtisch landete", sagt der leitende Ermittler John McLaughlin, "und jede Anfrage, die ich an alle Behörden in der Welt schickte, kam nur mit einigen Beschlagnahmungen seines Produkts zurück, aber mit keinem Hinweis auf ihn."

John Mclaughlin im Interview

Aus Deutschland hätte ihm nicht mal dieser Minimalerfolg übermittelt werden können: Auf eine Nachfrage zu den Gesamtmengen der in den vergangenen Jahren konfiszierten Alpha-Pharma-Produkte teilt das Zollfahndungsamt Frankfurt mit, "dass im Rahmen der Dopingmittel-Sicherstellungen keine statistische Erfassung nach Produktherstellern erfolgt". Sie würden also gar nicht merken, wenn tonnenweise Ware desselben Herstellers regelmäßig einkassiert wird. Der Produzent käme wohl davon.

Auch der Ausgang des Verfahrens gegen Jacob Sporon-Fiedler in London ist nicht gerade geneigt, internationale Hintermänner zu verschrecken: Weil er sich frühzeitig geständig zeigte, wurde der Däne zu fünf Jahren und vier Monaten Haft verurteilt. Das klingt viel, war es aber wohl nicht: Schon im Urteil hieß es, er müsse nur die Hälfte verbüßen - abzüglich der Fußfesselzeit von 541 Tagen.

Zum genauen Entlassungszeitpunkt schweigen die Behörden, aber der größte Dopingdealer der britischen Geschichte dürfte bereits nach gut 13 Monaten wieder auf freiem Fuß gewesen sein – und, wie nun auch die ARD-Doku "Geheimsache Doping: DEALER" zeigt, zurück im Geschäft.

Wenn Sie Hinweise oder Anregungen zu Recherchen für unsere ARD-Reihe Geheimsache Doping haben, kontaktieren Sie uns bitte unter teamhajoseppelt@ard.de