Der ehemalige DSV-Präsident Rüdiger Tretow

Hempel lehnt DSV-Angebot ab Früherer DSV-Präsident Tretow: "Vorwürfe hatten mich damals nicht erreicht"

Stand: 24.08.2022 13:19 Uhr

Wer wusste wann über was Bescheid? Der schwer unter Druck geratene Deutsche Schwimm-Verband (DSV) sammelt verzweifelt Hintergrund-Informationen zu den Missbrauchsvorwürfen des ehemaligen Wasserspringers Jan Hempel – seit Dienstag auch per Mail-Fragebogen an aktuelle und ehemalige Mitarbeiter und Funktionäre. 

Von Hajo Seppelt, Bettina Malter, Arne Steinberg, Jörg Mebus

Nach ARD-Recherchen verdichten sich nun die Hinweise, dass die schockierenden Details, die Jan Hempel eigenen Angaben zufolge 1997 an die damalige Bundestrainerin Wasserspringen Ursula Klinger weitergereicht hat, die Fachsparte möglicherweise nie verlassen haben. Der damalige DSV-Präsident Rüdiger Tretow zumindest behauptet, erst durch die ARD-Recherchen von den Missbrauchsvorwürfen Hempels gegen seinen damaligen Trainer Werner Langer erfahren zu haben. 

Gespräch mit Buschkow und Langer

"Das ist für mich unfassbar, ganz entsetzlich. Jan Hempel tut mir wahnsinnig leid. Die Vorwürfe hatten mich damals nicht erreicht, und ich wäre darauf auch nie gekommen", sagte Tretow: "Sonst hätten wir garantiert gehandelt". Diese Umstände gäben laut Tretow "ein schlechtes Zeichen, ein schlechtes Bild nach außen" ab. 

Tretow erinnert sich, dass er damals gemeinsam mit Lutz Buschkow – der heutige Bundestrainer Wasserspringen ist wegen der jüngsten Entwicklungen freigestellt, er war zu jener Zeit Betriebsratsvorsitzender im DSV – ein Personalgespräch mit Langer geführt habe. Es sei nach Tretows Erinnerung allerdings lediglich um Langers Stasi-Vergangenheit gegangen. Er sagt, er habe auch bei dieser Gelegenheit nichts über Missbrauchsvorwürfe erfahren. Hempels Trainer Langer habe sich laut Tretow damals in Bezug auf die Stasi-Vorwürfe reumütig gezeigt und einer einvernehmlichen Trennung vom DSV zugestimmt. 2001 nahm sich Langer das Leben. 

Kritik an DSV-Aufarbeitung

Laut Hempel und weiteren Zeugen wusste Buschkow genau wie andere Trainer und Funktionäre aus der Wassersprung-Sparte von Hempels Missbrauchsvorwürfen. Nutzten sie die Stasi-Vorwürfe gegen Langer, um das Problem einigermaßen geräuschlos und ohne eine schmerzhafte Missbrauchs-Debatte aus der Welt zu schaffen? 

Es ist eine von vielen Fragen, die die aktuelle DSV-Führung im Begriff ist aufzuarbeiten – was im Ausland Kritik hervorruft. Die kanadische Menschenrechtsanwältin und ehemalige Olympiaschwimmerin Nikki Dryden fordert den Weltverband FINA im Gespräch mit der Sportschau auf, einen unabhängigen Ermittler mit der Aufklärung der Missbrauchsfälle innerhalb des DSV zu beauftragen: "Man kann nicht erwarten, dass Deutschland seine eigene Untersuchung durchführt", sagte Dryden, denn auch dies würde möglicherweise mangels Aufklärungswillen "ein Problem" darstellen. In den vergangenen Tagen hatten sich aus der Schwimmszene laut DSV-Leistungssportdirektor Christian Hansmann zahlreiche weitere Menschen, die von Missbrauch betroffen seien, beim Verband gemeldet. 

Hempel will nicht mit Weber sprechen

Derweil gab es nach der Ausstrahlung des Films weitere personelle Konsequenzen. Am Dienstag bestätigte der Schwimmverein Würzburg 05, dass der wegen sexuellen Missbrauchs verurteilte Trainer Stefan Lurz sein Vertragsverhältnis als kaufmännischer Angestellter des Vereins gekündigt habe. Leute aus dem Umfeld des Vereins hatten ihm zudem vorgeworfen, entgegen seinen Bewährungsauflagen weiterhin seiner Trainertätigkeit nachgegangen zu sein. Der DSV hatte unmittelbar nach Erscheinen der Dokumentation “Missbraucht - Sexualisierte Gewalt im deutschen Schwimmsport” am vergangenen Donnerstag (18.08.2022) den Bundestrainer Wasserspringen Lutz Buschkow freigestellt, aber betont, dass für ihn nach wie vor die Unschuldsvermutung gelte. 

Jan Hempel will unterdessen nicht mit der Missbrauchsbeauftragten des DSV, Franka Weber, über seine Vergangenheit und die traumatischen Erlebnisse in den 1980er und -90er Jahren sprechen. Ein entsprechendes Angebot des DSV lehnte Hempel ab. Nach allem, was passiert sei, wolle er erst einmal Abstand vom Verband gewinnen.