Fußball | Nations League Deschamps triumphiert auch gegen Zidanes Schatten

Stand: 11.10.2021 08:00 Uhr

Didier Deschamps ballt die Fäuste, die Goldmedaille baumelt um die Brust, er klatscht in Richtung Fankurve, streckt beide Daumen hoch und lässt sich feiern - so schnell hat sich all die harsche Kritik der vergangenen drei Monate in blau-weißen Konfettiregen aufgelöst.

Aber es war schon erstaunlich. Deschamps hat immerhin 2018 die Weltmeisterschaft in Russland gewonnen, doch dafür blies ihm nach dem frühen Aus bei der Europameisterschaft gegen die Schweiz der Wind mit einer wirklich brutalen Schärfe ins Gesicht. Natürlich ist es sehr wahrscheinlich, dass eine Ikone wie Zinédine Zidane irgendwann auch mal die Équipe tricolore trainieren wird. Aber der Zeitpunkt dieses Wechsels auf der Trainerbank ist seit dem Nations-League-Triumph der Franzosen am Sonntagabend (10.10.2021) über Spanien wieder in weitere Ferne gerückt - Deschamps hat auch gegen Zidanes Schatten gesiegt.

Und das mit überragenden Comeback-Qualitäten. Spiele zu gewinnen, die von Beginn an in die richtige Richtung laufen, können viele Trainer. Aber aus einem 0:2 gegen Belgien im Halbfinale die richtigen Schnellschlüsse zu ziehen und die Partie noch zum 3:2 zu drehen, war beeindruckend. Auch gegen Spanien lag Frankreich im Hintertreffen, hatte am Ende nur 40 Prozent Ballbesitz, aber Deschamps schnelles und schnörkelloses Spiel in die Spitze setzte sich dann doch durch - auch dank einer im Juni vom Coach getroffenen und enorm umstritteten Personalentscheidung.

Mit Benzema sportlich alles richtig gemacht

Gegen viele Widerstände hatte sich Deschamps unmittelbar vor der Europameisterschaft für eine Rückholaktion von Karim Benzema entschieden. Zuvor war der oft unterschätzte Weltklassestürmer nach seinem 81. Länderspiel für Frankreich im Oktober 2015 sechs Jahre lang aus der Équipe verbannt gewesen. Der Grund war seine Verwicklung in einen Sextape- und Erpressungs-Skandal um seinen früheren Nationalmannschaftskollegen Mathieu Valbuena, in dessen Folge Deschamps mehrfach ausgeschlossen hatte, dass Benzema je wieder für Frankreich auflaufen würde.

Unmittelbar vor der Nominierung seines 26-Mann-Kaders hatte Deschamps dann umgedacht und begründete das so: "Wir haben uns gesehen und geredet. Das war der wichtigste Schritt. Danach habe ich lange nachgedacht und diese Entscheidung getroffen. Ich kann nicht sagen, worüber wir gesprochen haben, das bleibt unter uns. Am Wichtigsten ist, dass er zurückkehrt. Frankreich steht über allem und ist mit Benzema jetzt besser."

Ein Tor wie ein Gemälde

Das war bei der EURO noch nicht nachhaltig zu beobachten, im Halbfinale und Finale der Nations League aber durchaus. Gegen die Belgier stellte Benzema den Anschluss her. Gegen die Spanier erzielte er ein Tor wie ein Gemälde: Vom linken Strafraumeck zirkelte er den Ball mit ganz viel Linkseffet in den rechten Winkel. Vor der EM hatte Benzema seinen Zweikampf um die Neunerposition im Nationalteam mit Olivier Giroud halb witzig, halb arrogant mit dem Wettrennen zwischen einem Kart und einem Formel-1-Boliden verglichen. Dieser Treffer war auf jeden Fall Königsklasse.

Ob damit aber alles vergessen ist, was die Kritiker Deschamps vorher vorgehalten hatten, bleibt noch abzuwarten. Der Streit zwischen dem Coach und dem angeschlagenen Kingsley Coman in der Verlängerung gegen die Schweiz zeigte schon leichte Risse auf. Auch die Auseinandersetzung zwischen Giroud und Kylian Mbappé moderierte der Coach nicht allzu glücklich, vorher herrschte auch schon zwischen Mbappé und Antoine Griezmann für längere Zeit Funkstille.

Vorwürfe von Viera

Ex-Nationalspieler Patrick Viera warf Deschamps offen vor, die Probleme nicht mehr in den Griff zu bekommen: "Es gibt keinen Zusammenhalt in der Mannschaft. Ein Team, das nicht kollektiv denkt, kann bei einem Turnier nicht weit kommen." Verbandspräsident Noel Le Graët beantworte die Frage nach der Zukunft von Deschamps nach der EURO allerdings ziemlich deutlich, wenn auch mit einer doppelten Verneinung: "Er hat es nicht verdient, nicht weitermachen zu dürfen."

Über eine nochmalige Vertragsverlängerung soll allerdings erst nach der Winter-WM in Katar gesprochen werden, und auch nur bis dahin läuft Deschamps' Vertrag. Dass noch nicht alle Konflikte gelöst sind, obwohl Giroud inzwischen nicht mehr nominiert wird, zeigte aber auch die Siegesfeier nach dem Nations-League-Triumph.

Während der Coach vor allem Kapitän und Keeper Hugo Lloris lange in den Arm nahm, fiel das Abklatschen mit Mbappé ziemlich unterkühlt aus. Frankreich zeigte aber, dass sich mit individueller Qualität vieles lösen und manches übertünchen lässt. Wie nachhaltig - das wird nun die Qualifikation für Katar und dann die WM zeigen. Solange Zinédine Zidane aber ohne Trainerjob ist, wird sein Schatten Deschamps erhalten bleiben.