Nationalspieler Deniz Undav gibt Autogramme im DFB-Trainingslager
analyse

Nationalmannschaft vor EURO 2024 Über die Schwierigkeit von Prognosen im Fußball

Stand: 29.05.2024 09:02 Uhr

Im Jahr 2017 hat ein junges deutsches Team den Confed Cup gewonnen, die U21 wurde Europameister. Eine erfolgreiche Zukunft schien gesichert. Es kam anders. Jetzt ist die Frage, welchen Weg das Team in diesem Jahr geht - bei der Heim-EM 2024.

Von Marcus Bark, Blankenhain

Nach und nach trudeln die Spieler im Trainingslager der deutschen Nationalmannschaft ein (heute ab 13.10 Uhr im Livestream - die Pressekonferenz aus dem DFB-Trainingslager).

Erst nach dem ersten von zwei ausstehenden Testspielen vor dem Beginn der Europameisterschaft, der Partie gegen die Ukraine am Montag (03.06.2024) in Nürnberg, soll der Kader vollständig versammelt sein.

Wessels weckt Erinnungen ans "Team 2006"

Auch der Trainerstab ist aktuell noch nicht komplett. Daher hilft Stefan Wessels aus, der in der Regel bei den Junioren des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) die Torhüter trainiert. Der 45 Jahre alte Wessels war selber Torwart. Er spielte unter anderem in der Bundesliga und in der Premier League, gewann 2001 mit dem FC Bayern als Nummer zwei hinter Oliver Kahn die Champions League.

Torwarttrainer Stefan Wessels beim U20-Länderspiel Deutschland gegen Tschechien

Torwarttrainer Stefan Wessels beim U20-Länderspiel Deutschland gegen Tschechien

Im selben Jahr wurde vom DFB als Reaktion auf das desaströse Abschneiden bei der EM 2000 das "Team 2006" aus der Taufe gehoben. Darin sollten Spieler auf internationalem Niveau gefordert werden, mit der Perspektive, 2006 dann eventuell für die A-Nationalmannschaft die WM in Deutschland zu spielen.

Ein weiteres "Perspektivteam" entstand 2017

Stefan Wessels ist einer von 73 Spielern, die im "Team 2006" zum Einsatz kamen. Er bestritt nie ein A-Länderspiel, wie viele andere der 72 Kollegen auch. Timo Achenbach, Simon Cziommer und Alexander Huber werden nur älteren und eingefleischten Fußballfans etwas sagen. Mario Gomez und Arne Friedrich hingegen machten auch in der Eliteauswahl des DFB Karriere.

Ein zweites Perspektivteam bildete sich 2017. Es war allerdings keinem desaströsen Abschneiden, sondern dem Gegenteil geschuldet: Deutschland war 2014 Weltmeister geworden.

Sieg im Confed-Cup 2017 - mit welchem Wert?

Bundestrainer Joachim Löw wollte den Titel in Russland mit aller Macht verteidigen. Deshalb gönnte er seinen etablierten und hoch belasteten Kräften wie Manuel Neuer, Toni Kroos und Thomas Müller einen längeren Urlaub, den sie 2016 wegen der EM in Frankreich auch nicht hatten.

Für den Confed Cup 2017 in Russland berief Löw daher weitestgehend eine Mischung aus etablierten Kräften aus der zweiten Reihe wie Lars Stindl, Sebastian Rudy und Sandro Wagner, dem Assistenten des aktuellen Bundestrainers Julian Nagelsmann. Dazu kamen Spieler wie Niklas Süle, Julian Brandt und Timo Werner, die auch noch für die U21-Nationalmannschaft spielberechtigt gewesen wären, die im selben Sommer eine EM spielte.

Siegenthaler warnt - "Scharf aufpassen"

Sie gewann das Turnier aber durch ein 1:0 im Finale gegen Spanien auch ohne Süle, Brandt und Werner. Da die A-Nationalmannschaft auch ohne Neuer, Kroos und Müller den Confed-Cup durch ein 1:0 im Finale gegen Chile gewann, stand der deutsche Fußball mit einer glänzenden Perspektive dar.

Das DFB-Team jubelt mit dem Pokal über den Sieg beim Confed Cup 2017

Das DFB-Team jubelt mit dem Pokal über den Sieg beim Confed Cup 2017

Aber Urs Siegenthaler, damals rechte Hand von Löw als Analyst, mahnte schon auf dem Rückflug von St. Petersburg im Gespräch mit einigen Reportern. "Es wird brutal schwer", sagte der Schweizer, "die anderen Nationen sind extrem gewarnt." Deutschland habe "keine 50 Spieler von Weltformat", Siegenthaler mahnte: "Wir müssen scharf aufpassen."

Deutscher Fußball: Alarmsignale ohne Wirkung

Er war nicht der erste, der vor Fehlentwicklungen in der deutschen Nachwuchsausbildung warnte. Löw hatte das vorher schon getan, auch Hansi Flick, als der zwischen Herbst 2014 und 2017 Sportdirektor beim DFB war.

Das erste ernüchternde, geradezu niederschmetternde Ergebnis gab es dann bei der WM 2018. Erstmals schied Deutschland nach der Vorrunde aus. Bei der EM 2021 reichte es auch nur knapp zum Achtelfinale, das gegen England verloren ging, die WM in Katar endete wieder nach der Gruppenphase.

Über Jahre entwickelte der Verband das "Projekt Zukunft Fußball", aber so richtig drangen die Alarmsignale nicht ins Bewusstsein der Öffentlichkeit. Schließlich kam die U21 bei der EM 2019 ins Finale, zwei Jahre später gewann sie wieder den Titel, 2023 wurde die deutsche U17 Weltmeister.

Hoffnung durch Wirtz und Musiala

Außerdem gibt es die jeweils 21 Jahre alten Jamal Musiala und Florian Wirtz, die beiden außergewöhnlich hoch veranlagten Nationalspieler, die bei der EM 2024 für die Startelf vorgesehen sind.

Wirtz fehlte bei der WM im Herbst und Winter 2022 nur, weil er sich im Frühjahr einen Kreuzbandriss zugezogen hatte. Musiala war schon dabei, genau wie Youssoufa Moukoko, damals drei Tage vor dem ersten Gruppenspiel gegen Japan 18 Jahre alt geworden.

Eine Prognose ist immer ein Drahtseilakt

Das Beispiel des Dortmunders zeigt, wie schwierig Prognosen bei Fußballern sind, wie schnell sie von einem kommenden Superstar zu einem "Na-ja-so-gut-ist-er-doch-nicht-Talent" heruntergestuft werden können.

Aus dem Kader der U21, die 2017 die EM gewann, hat es in Waldemar Anton einer in den aktuellen Kader für die EM der A-Nationalmannschaften geschafft. Er war damals ohne Einsatz geblieben. Torhüter Julian Pollersbeck, Jeremy Toljan, Max Meyer, Niklas Stark und Maximilian Arnold wurden hingegen von der UEFA in die "Elf des Turniers" gewählt. Sie sind heute weit, sehr weit bis unendlich weit von der A-Nationalmannschaft entfernt.

Julian Draxler, der 2017 als Kapitän zuerst den Pokal in die Höhe stemmen durfte, spielt inzwischen in Katar. Er galt schon lange nicht mehr als Kandidat für die EM 2024. Auch Werner hatte nur sehr geringe Chancen. Süle, Brandt, Leon Goretzka und Emre Can durften sich Hoffnungen machen, wurden aber auch nicht berücksichtigt.

Undav aus der Provinz zur DFB-Elf

Stattdessen ist Deniz Undav dabei, 1996 geboren, wie auch Brandt, Süle und Werner. Als die 2017 den Confed Cup gewannen, wechselte der heutige Stürmer des VfB Stuttgart vom TSV Havelse zu Eintracht Braunschweig. Von da ging es weiter zum SV Meppen, von da zur Saison 2020/21 zu Royale Union Saint-Gilloise, das damals noch in der zweiten belgischen Liga spielte.

Eine Perspektive, mit der deutschen Nationalmannschaft die EM im eigenen Land zu spielen, gab es damals nicht.