Traum von der Profisport-Karriere Heimweh - ein ungewöhnliches Aus im Profifußball

Stand: 13.10.2021 07:00 Uhr

Fern von der Heimat, weg von den Freunden - für einige angehende Fußballprofis ist das nichts. An Heimweh kann sogar eine ganze Karriere scheitern. Zwei Fußballer berichten über ihre Erfahrungen.

Nils Neumüller kann sich noch ganz genau an diesen Moment erinnern. "Es war am Küchentisch meiner Gastfamilie. Ich saß Georg Streichsbier gegenüber und teilte ihm meinen Entschluss mit. Dass ich aufhöre. Dass ich meinen Traum vom Fußballprofi nicht mehr weiterverfolgen werde."

Streichsbier, der damalige U19-Trainer der TSG Hoffenheim, versuchte zwar noch, seinen 17-jährigen Schützling aus München umzustimmen - doch vergeblich. "Das war keine Entscheidung aus irgendeiner Emotionalität heraus. Sondern wohl überlegt. Mir war klar: Ich wollte nach Hause. Ich hatte Heimweh", präzisiert Neumüller.

Kein gewünschtes Thema in den NLZs

Heimweh. Dass dies ein Grund dafür sein kann, eine aussichtsreiche Karriere als Profisportler zu beenden oder gar nicht erst zu starten - kaum jemand weiß davon. Dabei sagt Sportwissenschaftler Arne Güllich, der intensiv zum Thema Talentförderung forscht: "Natürlich spielt auch Heimweh eine große Rolle in den Nachwuchsleistungszentren (NLZ). Ebenso wie der große Konkurrenzkampf und eine mitunter wenig warmherzige Umgangsweise miteinander."

Vielleicht ist es auch so, dass der oftmals schroffe Umgang mit der Gefühlswelt der Jugendlichen von den Verantwortlichen der NLZs nicht sonderlich gern thematisiert wird. Das zumindest vermutet Güllich: "Es gibt bislang keinerlei veröffentlichte wissenschaftliche Untersuchung zu diesem Thema. Ich weiß allerdings, dass es in einem deutschen NLZ vor nicht allzu langer Zeit mal eine dreijährige Studie zu derlei Problemen gab. Der Verein hat dann aber die Verhinderung der Veröffentlichung betrieben."

Jesus Navas - prominentes Heimweh-Opfer

Dabei könnte sich ein offener Umgang mit so etwas wie Heimweh durchaus lohnen, schließlich gibt es prominente Beispiele im Spitzensport, die damit zu kämpfen hatten. Jesus Navas zum Beispiel. Der spanische Nationalspieler vom FC Sevilla wurde 2004 erstmals für ein U21-Länderspiel seines Landes nominiert. Er musste seine Nationalmannschaftskarriere aber unterbrechen, weil er wegen chronischen Heimwehs immer wieder aus Trainingslagern und Auswärtsspielen abreisen musste. Panikattacken hatten ihn immer wieder aus dem Mannschaftshotel getrieben.

Panikattacken hatte Nils Neumüller in Hoffenheim nicht. Dafür aber den Spaß am Fußball verloren. Er, der 1999 mit sieben Jahren in München beim FC Ismaning mit dem Fußball begann, ehe er bei der SpVgg Unterhaching so richtig durchstartete, war ein buntes Leben mit vielen Freunden und Verwandten gewöhnt. "Wir hatten damals viel Spaß miteinander. Ich bin oft mit meinen Fußballkumpels abends noch in München ausgegangen. Es war immer was los."

Alleingelassen in der Provinz

Das war in Hoffenheim - oder besser gesagt in Zuzenhausen, wo er in einer Gastfamilie untergebracht worden war - plötzlich vorbei. "Ich kam aus der Großstadt und lebte nun plötzlich alleingelassen in einem Provinzdorf, wo das wichtigste Bauwerk die Haltestelle einer Regionalbahn war. Es dauerte keine vier Wochen, da bekam ich schon Sehnsucht nach meinem alten Leben." Hinzu kam: Der 17-Jährige konnte sich nirgendwo richtig fallenlassen. "Meine Gastfamilie war nett, aber wirklich entspannt war ich halt nie. Ich hatte mein eigenes Zimmer, aber wirklich zu Hause war ich eben nicht."

Die seelischen Probleme wirkten sich auf Neumüllers Leistungen aus: Der flinke Außenverteidiger, der auch im zentralen defensiven Mittelfeld schon positiv aufgefallen war, fand in Hoffenheim kaum ins Team. "Das war eine eingespielte Mannschaft, die zwei Jahre zuvor in der U17 gemeinsam den deutschen Meistertitel gewonnen hatte. Die nahmen einen wie mich nicht gerade mit offenen Armen auf. Da war schon auch Konkurrenzkampf ein Thema", sagt Neumüller.

Karriereende mit 18

Die ausgefahrenen Ellbogen der Mitspieler, die Sehnsucht nach familärer Wärme - nach nur drei Monaten bat Neumüller seinen Trainer zu besagtem Gespräch an den Küchentisch seiner Gastfamilie. "Ich war ungeheuer erleichtert, als ich diesen Entschluss gefasst hatte. Auch wenn mir klar war: Das war das Ende meines Traums vom Profifußball."

Er wechselte zurück in die Jugend Unterhachings, aber das Erlebnis in Hoffenheim hatte ihm den Fußball verleidet. Tatsächlich beendete Neumüller seine Fußballkarriere - mit 18. "Ich ging dann nach Berlin, später nach Köln, wo ich ein Studium an der Sporthochschule begann. Ich hab noch einmal ein Jahr in der Kreisliga Amateurfußball gespielt. Aber das war es dann auch", sagt er.

Björn Lindemann in Thailand - "Zum Glück Heimweh überwunden"

Weitaus länger durchgehalten hat Björn Lindemann. Wenngleich er Heimweh in einem ganz anderen Lebensabschnitt kennengelernt hat als Neumüller. Lindemann war 2012 schon 28 Jahre alt und hatte in Deutschlands Dritt- und Zweitligafußball einiges erlebt, als er sich entschloss, künftig in Thailand sein Geld mit Fußball zu verdienen. "Es war natürlich von einem auf den anderen Tag eine ganz andere Welt, in die ich da gekommen bin. Nach ein paar Wochen wollte ich eigentlich wieder nach Hause. Aber zum Glück bin ich geblieben und habe mein Heimweh überwunden. So sind es fünf schöne und für meine persönliche Entwicklung sehr wichtige Jahre in Thailand geworden", sagt der heute 37-Jährige.

Als Lindemann damals nach Thailand kam, zog er in Bangkok erst einmal in ein Hotel. Und versuchte sich irgendwie zurechtzufinden. Mit überschaubarem Erfolg. "Fremde Kultur, fremdes Essen, fremde Sprache. Ich war erst einmal völlig verwirrt. Zudem war die Stadt völlig überfüllt, man stand eigentlich nur im Stau. Der auch noch dafür gesorgt hat, dass man kaum Luft bekam."

Hinter dem Rücken wurde getuschelt

Lindemann lernte, mit öffentlichen Verkehrsmitteln zum Training zu fahren, probierte ungewohnte Speisen, gewöhnte sich an die thailändische Lebensart. Das Sprachproblem aber blieb. "Natürlich war ich für die einheimischen Mitspieler ein Exot. Der auch noch besonders kritisch beäugt wurde, weil er natürlich viel mehr verdiente, als alle anderen. Von daher spürte ich quasi permanent, wie hinter meinem Rücken über mich getuschelt wurde. Ich wurde nicht in die Gemeinschaft aufgenommen. Ich blieb Außenseiter."

Diese Rolle war unangenehm. So unangenehm, dass der erfahrene Profifußballer nach einem Jahr eigentlich nur noch eines wollte: zurück nach Hause. Aber Lindemann blieb. Stellte sich all den Problemen und wurde dafür belohnt. "Ich bin zwar nie wirklich heimisch geworden, habe mich aber nach zwei Jahren so integriert, dass ich mich nicht mehr unwohl gefühlt habe. Aber es war nicht einfach. Ich musste wirklich lernen, das Fremde zu akzeptieren, mich selbst zu ändern, mich anzupassen. Das war sehr ungewohnt für mich, hat mich in meiner Persönlichkeit aber enorm weitergebracht, finde ich."

Rückkehr in die Heimat

2017 kehrte Lindemann nach Deutschland zurück. Und ging so nahe ins warme Nest seiner Ursprünge zurück, wie es eben geht: In seinen Heimatort Münchehagen.

Dort, in der 2000-Seelen-Gemeinde traf er nicht nur seine Familie, sondern auch all seine Freunde wieder, mit denen er große Teile seiner Jugend verbracht hat. Und beim örtlichen Fußballverein, dem VfL Münchehagen, stieg er nun als Spieler wieder ein. Nur, um wenig später auch das Traineramt bei dem Kreisligisten zu übernehmen. "Es war kein anderer da", erklärt er. Und genießt seine neue Freiheit in der alten Heimat: "Ich fahre jetzt mit dem Fahrrad zum Training und treffe dort meine alten Kumpels. Besser geht's nicht."