Tunesiens Mittelfeldspieler Hannibal Mejbri in Aktion

FIFA WM 2022 Tunesiens Hannibal Mejbri - mit Herz und Hirn eines Anführers

Stand: 21.11.2022 18:09 Uhr

Mit seinen 19 Jahren gilt Hannibal Mejbri als das größte Versprechen des tunesischen Fußballs. Bei der Weltmeisterschaft in Katar könnte er groß rauskommen - dabei hatte sein Vater einst ganz andere Pläne.

Arzt oder Anwalt solle sein Sohn werden, hat Lotfi Mejbri, der Vater von Hannibal, einmal gegenüber der Pariser Tageszeitung "Le Parisien" gesagt. Das sei ohnehin viel realistischer als eine Karriere als Fußballer. Und für den unwahrscheinlichen Fall, dass es sein Sohn, damals 13 Jahre alt und wegen seines außergewöhnlichen Talents bereits im Fokus vieler Spieleragenten, doch schaffen sollte, sein Geld mit Fußball zu verdienen, dürfe er die Schule trotzdem nicht vernachlässigen. Schließlich solle er doch bitte mehr in seinem Kopf haben als nur eine "pois chiche", eine Kichererbse.

Sechs Jahre sind seither vergangen. Hannibal Mejbri, inzwischen 19, studiert weder Medizin noch Jura. Stattdessen steht er als jüngster Spieler im WM-Kader Tunesiens. Und obwohl er noch kein Stammspieler ist, richten sich auf ihn die meisten Blicke.

Hannibal Mejbri - Auffällige Frisur, auffälliger Spieler

Das liegt nicht allein an seinem Haarschopf, der an die Simpsons-Figur Tingeltangel-Bob erinnert. Wegen dieser Ähnlichkeit hatten ihn Fans von Leeds United beim FA Youth Cup mit Sprechchören beleidigt. Mejbri gewann das Spiel mit Manchester United und amüsierte sich hinterher auf seinem Instagram-Kanal über die Vergleiche.

Dass er ins Auge sticht, liegt aber auch an seiner Dynamik, seiner Klasse am Ball und daran, dass der 1,84 Meter große Spielmacher die Fähigkeit besitzt, das Tempo eines Spiels zu bestimmen. Er hat die Gabe, "Dinge vor anderen zu sehen", sagt Reda Bekhti, einst sein Jugendtrainer beim Pariser FC, gegenüber dem Internetportal "Goal.com". Ein moderner Mittelfeldspieler, der Bälle erobern, schnell umschalten und abschließen könne.

Benannt nach einem der größten Feldherren der Antike

Seine Eltern sind tunesischer Abstammung, sein Vater hat in der zweithöchsten tunesischen Liga gespielt. Hannibal ist eine Referenz auf den karthagischen Heerführer, der dem Römischen Reich im zweiten punischen Krieg eine denkwürdige Niederlage verpasste und es am Rande des Untergangs hatte. Ein Stratege, der die Alpen mit wahrscheinlich mehr als 50.000 Soldaten, Tausenden Reitern und Dutzenden Elefanten überquerte. Selbstredend hat der Heerführer Hannibal, ein Dirigent des Todes, nichts mit dem Fußballer Hannibal, ein Dirigent des Spiels, zu tun. Aber wenn ihm seine Eltern bereits durch die Wahl seines Vornamens die Charakterzüge einer Kämpfernatur mitzugeben versucht haben, dann ist ihnen das gelungen.

Hannibal Mejbri stand schon als Kind im Rampenlicht

Mejbri ist in Paris geboren, in einem Arbeiterviertel aufgewachsen. Mit dem Fußballspielen begonnen hat er beim Pariser FC. Er war noch in der Grundschule, als ein Agent auf ihn aufmerksam wurde. Lyon, Barcelona, beide Vereine aus Manchester, Arsenal, Liverpool, Chelsea, PSG, Bayern München: Sie alle sollen Interesse an ihm gezeigt haben. Als Zehnjähriger wollten bei einem Jugendturnier etliche Fans Fotos mit ihm machen. Mit 13 nahm ihn Adidas unter Vertrag.

Auf den Spuren von Henry und Mbappé

Mejbri wechselte in die Talentschmiede des AC Boulogne-Billancourt. Er hat wie Thierry Henry, Kylian Mbappé und andere große Namen des französischen Fußballs das Institut National du Football de Clairefontaine durchlaufen, das Leistungszentrum des Französischen Fußballverbandes. Ein Jahr spielte er in der Jugend des AS Monaco, ehe ihn Manchester United 2019 für rund 10 Millionen Euro in die Akademie holte. Hannibal war 16.

Gary Neville lobte ihn für seine Mentalität

2021 feierte er sein Debüt in der Premier League. Drei Mal spielte er da für die "Reds". Als er im April dieses Jahres gegen Liverpool beim Stand von 0:4 eingewechselt worden war, trat er frech, gar ungestüm auf und scheute sich nicht, harte Zweikämpfe mit Stars wie Jordan Henderson und Naby Keita zu führen. United-Legende Gary Neville sagte hinterher, er sei stolz auf den Willen des jungen Talentes.

Leihe zu Birmingham: Ein Schritt zurück, um nach vorne zu kommen

Um Spielpraxis zu sammeln, hat ihn Manchester United im Sommer an Birmingham City ausgeliehen. In der zweithöchsten Spielkasse kam er in 15 Saisonspielen zum Einsatz und legte zwei Tore vor. Sein Trainer John Eustace ist ein Fan von ihm, von seiner Persönlichkeit. "Er ist ein fantastischer Spieler, er bringt etwas Besonderes auf den Platz." Und er habe alle Rekorde gebrochen, was die zurückgelegte Laufdistanz eines Spielers angehe. Oft allerdings führe er Zweikämpfe am Rande des Erlaubten. Er müsse lernen, seine Leidenschaft zu kontrollieren.

Entscheidung für die tunesische Nationalmannschaft

Für die "Adler von Karthago", wie die tunesische Fußball-Nationalmannschaft genannt wird, hat sich Hannibal aufgrund der Abstammung seiner Eltern entschieden. Und weil die Konkurrenz in Frankreichs Nationalteam, für das er im Juniorenbereich aufgelaufen war, deutlich größer ist. 18 Spiele hat er für Tunesien gemacht. Es sollen bei dieser Weltmeisterschaft mindestens drei dazukommen: in der Gruppe D gegen Dänemark (22.11.2022), Australien (26.11.) und sein Geburtsland Frankreich (30.11.).

Hannibal Mejbri hat zwar nicht die akademische Laufbahn eingeschlagen, aber dem Wunsch seines Vaters ist er gewissermaßen dennoch nachgekommen: Schließlich besitze er, wie sein Jugendtrainer Bekhti einst formulierte, eine außergewöhnliche Intelligenz, nicht nur auf dem Platz. Er hat also mehr im Hirn als eine "pois chiche", eine Kichererbse.