von oben: Adam Lallana und Pascal Gross

Brighton erfolgreich trotz Ausverkauf Der schlauste Klub Europas spielt an Englands Südküste

Stand: 20.09.2023 20:07 Uhr

In jedem Jahr verliert Brighton & Hove Albion seine Leistungsträger. Trotzdem wird der Verein immer besser. Das Geheimnis des Erfolgs ist langfristige Planung.

Brighton & Hove Albion macht Überraschungen zur Normalität. Als der Verein von der Südküste im Mai des vergangenen Jahres 4:0 gegen Manchester United gewann, mag das noch Erstaunen beim englischen Publikum ausgelöst haben, doch Brightons Sieg gegen den Rekordmeister am vergangenen Wochenende - nach 70 Minuten stand es 3:0, am Ende hieß es 3:1 - musste fast schon als Pflichterfüllung gelten.

Es war der vierte Premier-League-Erfolg nacheinander für die "Seagulls" (Möwen) gegen den Klub aus dem Old Trafford. Dass Brighton gegen Manchester United gewinnt, ist zur Gewohnheit geworden.

Zum einen liegt das natürlich am besorgniserregenden Zustand von United selbst, das sich seit dem Abschied von Sir Alex Ferguson vor zehn Jahren in einem endlosen Kreislauf von Krisen auf und neben dem Platz befindet, zum anderen hat aber auch Brighton einen bemerkenswerten Wandel vollzogen seit dem Aufstieg in die Premier League im Jahr 2017.

Der Verein mit Neu-Nationalspieler Pascal Groß hat sich etabliert in der erweiterten Spitzengruppe der englischen Eliteklasse und spielt in dieser Saison zum ersten Mal in seiner 122-jährigen Geschichte international. Beim Debüt gab es am Donnerstag (21.09.2023) zum Start der Europa League aber eine Enttäuschung bei der 2:3-Niederlage gegen AEK Athen. In der Premier League ist Brighton nach fünf Spieltagen als Tabellenfünfter die Mannschaft mit den meisten Toren.

Geschäftsmodell als Erfolgsfaktor

Das Erstaunliche an Brightons Erfolg ist das Geschäftsmodell dahinter. Es sieht vor, vergleichsweise unbekannten Spielern eine Chance zu geben und sie dann für hohe Summen an die reiche Konkurrenz zu verkaufen. Beispiele aus der jüngeren Vergangenheit sind Ben White (für 58,5 Millionen Euro zum FC Arsenal), Yves Bissouma (für 29 Millionen Euro zu Tottenham Hotspur) und Marc Cucurella (für 65 Millionen zum FC Chelsea).

In diesem Sommer verlor der Klub gleich zwei Schlüsselspieler im Mittelfeld. Der argentinische Weltmeister Alexis Mac Allister schloss sich für 42 Millionen Euro dem FC Liverpool an, Moisés Caicedo erlöste bei seinem Wechsel zu Chelsea die englische Rekordsumme von 116 Millionen Euro. Brighton ist über diese und die vergangene Saison im internationalen Vergleich der Klub mit dem größten Transfer-Plus, gefolgt von Ajax Amsterdam und Sporting aus Lissabon.

Die "Seagulls" handeln allerdings nicht nur mit Spielern. Im vergangenen Jahr warb Chelsea Trainer Graham Potter und mehrere seiner Mitarbeiter als Nachfolger von Thomas Tuchel ab. Und es illustriert gut den Unterschied zwischen den beiden Vereinen, dass Potter längst schon wieder entlassen wurde, während Brighton sich unter seinem Nachfolger Roberto De Zerbi ständig verbessert.

Scouting nach Zahlen und Daten

Das gar nicht so geheime (aber dennoch schwer zu kopierende) Geheimnis des Erfolgs ist die weitsichtige Planung, die Brighton zum wohl schlausten Klub Europas macht. Besitzer Tony Bloom ist ein Glücksspiel-Guru und hat bei dem Verein ein auf Zahlen und Daten ausgerichtetes Scouting etabliert. Geschäftsführer Paul Barber hat für jeden Schlüsselspieler, für jeden wichtigen Mitarbeiter schon einen oder mehrere Nachfolger im Kopf. Beziehungsweise, wie er im Frühjahr der "New York Times" verriet: in einer Datei auf seinem Laptop.

Wenn Brighton mal wieder einen wichtigen Fußballer für viel Geld abgibt, steht der Ersatz oft schon im Kader, und es ist in der Regel ein preisgünstiger Ersatz. Englands Medien haben vergnügt vorgerechnet, dass Brightons Startelf beim Sieg gegen Manchester United nur rund 17 Millionen Pfund gekostet hat - ein Viertel jenes Betrags, den der Rekordmeister alleine für den mittlerweile in Ungnade gefallenen Jadon Sancho ausgegeben hat.

Dass Brightons Personal bei den Edelmarken des Betriebs gefragt ist, deutet Besitzer Bloom als Kompliment: "Das ist mir lieber, als wenn sich niemand für unsere Spieler oder Mitarbeiter interessieren würde. Wir müssen also etwas richtig machen", sagte er gerade dem "Athletic".

Auf Abschiede vorbereitet

Man darf davon ausgehen, dass Brighton auch künftig die Premier-League-Prominenz beliefert. Aktuelle Profis der “Seagulls” wie die Außenverteidiger Pervis Estupiñán und Tariq Lamptey, Linksaußen Kaoru Mitoma, kürzlich beteiligt an Japans 4:1 gegen Deutschland, und der 18 Jahre junge Stürmer Evan Ferguson stehen schon bei größeren Klubs auf dem Zettel.

Roberto De Zerbi

Roberto De Zerbi

Trainer Roberto De Zerbi wird als potenzieller Nachfolger von Pep Guardiola gehandelt, wenn dieser irgendwann Abschied nimmt von Manchester City. Wie belastbar solche Gedankenspiele sind, ist natürlich schwer einzuschätzen. Sicher ist aber, dass Brighton auch in Zukunft vorbereitet ist auf den Abschied wichtiger Mitarbeiter. Der "Guardian" verglich den Verein gerade mit der Hydra, jenem Wesen aus der griechischen Mythologie, dem ständig neue Köpfe wachsen - weil Brighton mit jedem Weggang stärker zu werden scheint.

Dieses Thema im Programm: Das Erste | Sportschau | 20.09.2023 | 19:00 Uhr