Fußball | Videoschiedsrichter VAR abschaffen? Ja, der Videobeweis ist endgültig gescheitert

Stand: 26.04.2022 23:00 Uhr

Woche für Woche sorgt der Videobeweis für Diskussionen - dabei sollte er diese doch beenden. Also kann man den VAR auch wieder abschaffen, oder? Ja, sagt Sportschau-Reporter Alexander Küpper.

Pro: Der VAR ist gescheitert - von Alexander Küpper

Der VAR ist gescheitert. Endgültig. Er hat den Fußball nicht gerechter gemacht, er hat den Fußball ins Chaos gestürzt. Das zeigte die vergangene Woche in Pokal und Bundesliga mit schonungsloser, nie dagewesener Eindrücklichkeit. Einst angetreten, um hundertprozentige Fehlentscheidungen zu verhindern, verliert sich der VAR in Graubereichen und Auslegungsfragen und lässt Spieler, Trainer und Fans gefühlt in einem rechtsfreien Raum zurück.

Leipzig - zwei Mal Schauplatz innerhalb von vier Tagen

Beispiel eins, Leipzig, DFB-Pokalhalbfinale: Union Berlin führt mit 1:0, als Christopher Nkunku im Strafraum fällt. Schiedsrichter Felix Brych pfeift zunächst nicht. Review-Area! Warum es die überhaupt gibt, wenn der VAR wie einst mal versprochen nur glasklare, unzweideutige Fehlentscheidungen korrigieren will, bleibt das Geheimnis der Regelhüter. Sie ist ein Widerspruch in sich, aber das nur am Rande.

Brych korrigiert seine Entscheidung, Elfmeter für Leipzig. Der erste Kontakt ist minimal, vor dem zweiten hat Nkunku schon begonnen, zu fallen. Ein Graubereich, ein klassischer Kann-Elfmeter, aber ein Fall für den VAR? Niemals!

Endgültig absurd wird das Ganze nur vier Tage später, gleicher Ort, gleiches Spiel, anderer Wettbewerb. Nordi Mukiele trifft Niko Gießelmann am Knie. Einhellige Meinung: Elfmeter. Spätestens nach Ansicht der Bilder. Denkste: Dieses Mal bleibt es dabei, Schiedsrichter Schlager gibt auch nach dem Blick auf den Bildschirm keinen Strafstoß. Fassungslosigkeit, nicht nur bei Union Berlin.

Gerechter? Nein! Verwirrung? Ja!

Einen 50:50-Elfmeter für Leipzig korrigiert, einen klaren Strafstoß für Union verweigert - hat der VAR die Spiele gerechter gemacht? Antwort: klares Nein! Hat er für viel Verwirrung, Spielverzögerung, Frust und Ärger gesorgt? Ja! Und dieser Bundesligasamstag hatte noch mehr zu bieten.

Review Area wird auch Freiburg zum Verhängnis

Freiburg gegen Gladbach. Nicolas Höfler grätscht und bekommt den Ball an die Hand. Kein Elfmeter, sagt Schiedsrichter Benjamin Brand. Vorerst. Und ändert seine Meinung in der Review Area.

Wer in seinem Leben einmal in vollem Lauf zur Grätsche angesetzt hat, der weiß: Höflers Handhaltung ist nicht unnatürlich und damit nicht strafbar. Sagt sogar Gladbachs Trainer Adi Hütter: "Das ist eine natürliche Bewegung von Höfler, da kann kein Mensch was dafür".

Wo sind wir mittlerweile angekommen, wenn der VAR für Entscheidungen sorgt, die selbst der profitierende Trainer für falsch hält?

Gipfel im Topspiel

Der Gipfel des VAR-Versagens am Abend in München. Benjamin Pavard räumt Jude Bellingham ab. Zweifellos ein Foul! Video-Assistent Marco Fritz sieht das anders, greift nicht ein. Schiedsrichter Daniel Siebert tags darauf einsichtig: "Strafstoß wäre die richtige Entscheidung gewesen." Besonders grotesk: Siebert geht nicht raus in die Review-Area, guckt sich die Szene nicht nochmal an. Warum nicht, wo die Schiedsrichter doch mittlerweile Dauergast am Spielfeldrand sind? Der BVB und Fußballdeutschland bleiben ratlos zurück.

Die VAR-Willkür ist schlicht nicht mehr nachvollziehbar.

Auch das wichtigste Spiel des Weltfußballs wurde schon verzerrt

Das System ist für den Fußball ungeeignet – das hat nicht zuletzt bereits das WM-Finale 2018 bewiesen, als der VAR einen Witz-Freistoß für Frankreich nicht korrigieren durfte, sich aber bei einer 50:50-Elfmeterentscheidung zugunsten Frankreichs einsetzte. Kann eine Technik, die das wichtigste Spiel des Weltfußballs massiv zuungunsten des Underdogs verzerrt, diesen Sport wirklich gerechter machen? Natürlich nicht!

"Bitte gebt uns den Fußball zurück"

Der Video-Assistent löst keine Probleme, er verlagert sie lediglich auf eine andere Ebene. Jeder, der den Fußball in all seiner Dynamik wahrnimmt, weiß: Man kann nicht beweisen, was bewertet werden muss. Am Ende bleibt es fast immer Auslegungssache, am Ende wird trotzdem diskutiert. In den vergangenen fünf Jahren seit VAR-Einführung mehr als je zuvor. Der Preis, den dieser einst wunderbar einfache Sport für diese Pseudo-Gerechtigkeit bezahlt, ist immens.

Der Fußball gewinnt nichts. Und verliert so viel. Nicht zuletzt den goldenen, ekstatischen Moment des Torjubels, der längst nicht mehr so emotional ist wie früher, weil im Hinterkopf immer die Review-Area droht.

Der VAR ist gescheitert. Bitte gebt uns die Tatsachenentscheidung zurück. Bitte gebt uns den Fußball zurück, in den wir uns einst alle mal verliebt haben.